Parteiaustritt

Neubrandenburgs neuer Stadtpräsident ist gar kein Linker

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Jan Kuhnert ist zwar Mitglied der Linken-Fraktion. Aber aus der Partei war der 56-Jährige bereits vor längerer Zeit ausgetreten – und ist damit nicht der einzige Stadtpolitiker.
Veröffentlicht:27.08.2022, 10:17
Aktualisiert:27.08.2022, 10:20

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Der neue Stadtpräsident ist ein „Linker“ – als der Nordkurier mit dieser Schlagzeile vor wenigen Tagen die Wahl von Jan Kuhnert in dieses Ehrenamt der Neubrandenburger Stadtvertretung bekannt gab, protestierte niemand. Nicht der so bezeichnete Stadtvertreter, nicht die Fraktion der Linken und auch nicht die Partei. Dabei war es eine Lüge. Zumindest, wenn man die getroffene Aussage auf die Parteizugehörigkeit des Kandidaten bezieht.

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Denn Jan Kuhnert ist gar nicht mehr Mitglied der Partei „Die Linke“, wie er auf Nordkurier-Anfrage bestätigt. „Ich habe meine Mitgliedschaft vor einigen Monaten beendet“, gibt der Gewerkschafter zu. Verantwortlich dafür sei ein ganzes Bündel an Gründen. „Meine politische Heimat ist mir mit den Jahren etwas fremd geworden“, fasst Kuhnert seine Unzufriedenheit in Worte. Das habe nichts mit der Politik der Partei und der Fraktion auf lokaler Ebene zu tun, sondern hänge eher mit Personalien und Entwicklungen auf Landes- und Bundesebene zusammen. „Weiter ins Detail möchte ich aber nicht gehen“, wehrt Kuhnert Nachfragen ab.

Positionen zu vielen Themen „klassisch links”

Dass er als Stadtpräsident ein „Linker“ sei, möchte der gelernte Maler und Lackierer trotzdem nicht in Zweifel ziehen lassen. „Auch wenn ich nicht mehr Parteimitglied bin, sind meine Positionen zu vielen Themen eigentlich klassisch links. Aber ein Freund dieses Koordinatensystems bin ich ohnehin nicht.“ Allein durch seine Arbeit als Gewerkschafter, für den die Rechte der Arbeitnehmer ganz oben auf der Agenda stehen, sei die Linke schon weiter seine politische Heimat. „Aber in anderen Punkten kann ich eben nicht konform gehen und dann bin ich jemand, der auch Konsequenzen zieht“, macht Kuhnert deutlich.

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Als er diese Entscheidung traf, habe er die Links-Fraktion der Stadtvertretung darüber informiert und seinen Rücktritt von allen Ämtern wie auch die Rückgabe seines Mandats als Stadtvertreter angeboten. „Die ganze Fraktion hat abgestimmt und mir hundertprozentig das Vertrauen ausgesprochen“, freut sich Kuhnert. „Auch Amina Kanew war dafür“, hebt er hervor. Seine junge Rats-Kollegin, immerhin Bundestag-Kandidatin der Linken in der Seenplatte, hatte jüngst mit der Neubrandenburger Fraktion gebrochen, weil diese aus Ihrer Sicht keine ausreichende Distanz zur AfD erkennen lasse. Dies bezog sie auch in besonderem Maße auf die Wahl Kuhnerts, dessen Mehrheit in geheimer Abstimmung möglicherweise nur mit Stimmen der AfD zustande gekommen war.

Als Stadtpräsident ohnehin überparteilich

Kuhnert macht jedenfalls klar: Das Votum der Fraktion sei für ihn ein ermutigendes Zeichen gewesen, sowohl als Stadtvertreter weiterzuarbeiten als auch Aufgaben darüber hinaus, also einen Ausschussvorsitz oder nun das Amt des Stadtpräsidenten, anstreben und ausfüllen zu können. „Ich habe ohnehin versprochen, dieses Amt überparteilich zu verstehen. Da kommt es noch weniger darauf an, ob ich nun ein Parteibuch habe oder nicht“, bekräftigt der 56-Jährige.

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Und auch für den Fraktionschef der Linken in der Stadtvertretung, Toni Jaschinski, ist die Parteizugehörigkeit seines Kollegen nicht von maßgeblicher Bedeutung. „Als ich das Amt des Fraktionschefs übernahm, war ich noch parteilos“, blickt er zurück. Auch wenn sich das inzwischen geändert habe: Entscheidend seien die Themen, die man setze, und für die man sich einsetze.

Auch ehemalige Vize-Stadtpräsidentin gab ihr Parteibuch ab

Jaschinski sieht durchaus die Gefahr, dass langjährige Parteimitglieder mit Kuhnerts Schritt ein Problem haben könnten. Aber gerade auf lokaler Ebene sei nicht ein Parteibuch entscheidend, sondern es gehe um konkrete Probleme der Menschen in der Region und entsprechende Lösungen. „Ich kann nicht für die jeden in der Fraktion sprechen, aber ich sehe in dem Votum der Mitglieder schon einen Vertrauensbeweis für Jan Kuhnert. Sonst hätten wir ihn ja auch nicht als Stadtpräsidenten vorgeschlagen.“

Kuhnerts Wahl hatte auch für ein anderes Fraktionsmitglied Konsequenzen. Renate Klopsch trat als stellvertretende Stadtpräsidentin zurück. In diesem Amt hatte sie besonders auf sich aufmerksam gemacht, als sie die noch immer unbelegten Mobbing-Vorwürfe gegen Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) vortrug – ohne bis heute einen Urheber zu nennen. Auch Renate Klopsch hat mittlerweile ihr Parteibuch abgegeben, wie der Kreisverband der Linken auf Anfrage bestätigte. Zu den Gründen wurden bislang keine Angaben gemacht.