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Gewalt

Neubrandenburgs Problem mit Messerattacken hält an

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Wieder eine gefährliche Attacke in Neubrandenburg, wieder eine Messerstecherei, wieder junge Männer. Die Messergewalt beschäftigt weiterhin Neubrandenburg und die Polizei.
Veröffentlicht:14.11.2023, 15:02

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Die Sorge wegen blutiger Messerangriffe in Neubrandenburg hält an: Erst verkündete am Montag die Polizei und Staatsanwaltschaft einen Ermittlungserfolg im Falle der tödlichen Messerattacke auf einen 21-Jährigen. Am Abend wurde dann schon die nächste Messerattacke in der Stadt bekannt. Dieses Mal zum Glück nicht tödlich. 

Polizei: Zahl der Messer-Attacken hat zugenommen

Die Vorfälle mit Stichwaffen in den vergangenen Wochen und Monaten halten die Polizei in der Region in Atem. Denn Messer-Vorfälle machen der Polizei in Neubrandenburg und MV auch weiterhin schwer zu schaffen. „Die Zahl der Messer-Attacken hat gerade in der jüngeren Vergangenheit zugenommen“, konstatierte bedrückt eine Sprecherin der Polizei auf Nordkurier-Nachfrage. Im vergangenen Jahr mussten die Ordnungshüter in Mecklenburg-Vorpommern 442 angezeigte Messerangriffe registrieren. Zehn Jahre zuvor tauchte dieser Straftatbestand in der Statistik der Landespolizei im Nordosten noch nicht einmal auf. Teils sind Polizeibeamte selbst von Angriffen mit Stichwaffen betroffen

Auch bei dem grausamen Gewaltverbrechen an Joel (6) in Pragsdorf war ein Messer die Tatwaffe. Der Schuljunge war erstochen worden.

Kramer: Neubrandenburg wird zum Brennpunkt

Nach dem Vorfall im Markplatz-Center sagte AfD-Landtagsmitglied Nikolaus Kramer am Dienstag, dass Neubrandenburg immer mehr zum „Brennpunkt der Messerkriminalität in MV“ werde. Kramer, ehemaliger Polizist aus Greifswald, betonte, dass „keine Waffenverbotszonen oder anderweitige Schaufenster-Politik“ helfe und dass die Landesregierung, nun alles daransetzen müsse, „die Messerkriminalität in Neubrandenburg zu beenden“. Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion forderte dafür mehr Beamte auf der Straße und regelmäßige und präventive Kontrollen.

Blutige Messer-Vorfälle in der Seenplatte-Kreisstadt

Die traurige Bilanz gleich mehrerer Gewalttaten mit Messern in Neubrandenburg noch vor der tödlichen Attacke in der Ihlenfelder Vorstadt:

Im Einkaufscenter auf dem Neubrandenburger Datzeberg wurde im Juni ein 34-Jähriger mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Die Kripo ermittelt wegen versuchten Totschlags, bislang konnte aber noch kein mutmaßlicher Täter gefunden werden.

Ende Mai hatte ein 20-Jähriger Iraner sogar versucht, mit einem Messer in der Hand eine Filiale der Sparkasse auszurauben. Der Versuch endete kläglich, wenig später konnte der Möchtegern-Räuber festgenommen werden. Die Täter, die im Frühjahr einen 19-jährigen Neubrandenburger mit einem Messer verletzten, sind jedoch noch weiter flüchtig.

Dazu kommen weitere Ausnahmesituationen: Ein 24-Jähriger bedrohte mehrere Passanten in der Oststadt mit einem Messer, die Polizei konnte diesen Mann aber in Gewahrsam nehmen, bevor etwas Schlimmes passieren konnte.

Im April stach ein Ex-Lehrling auf seinen ehemaligen Ausbilder in einem Neubrandenburger Betrieb ein. Der 23-jährige Eritreer war für den lebensgefährlichen Angriff sogar aus Berlin angereist. Er wurde am Dienstag vom Landgericht vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, aber in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Im September musste die Polizei einschreiten, weil eine verwirrte Frau mit mehreren Messern auf dem Datzeberg unterwegs war.

Noch in aller Munde in der Kreisstadt ist jenes Ereignis aus dem November 2022, als ein 20-jähriger Deutscher einen Jugendlichen lebensgefährlich mit einem Messer verletzte. Dafür wurde er wegen versuchten Mordes zu einer Jugendhaftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der junge Mann hatte im Prozess allerdings etwas Bemerkenswertes ausgesagt: Aus Angst vor Übergriffen in Neubrandenburg gehe er nicht mehr unbewaffnet aus dem Haus. In Neubrandenburg gelten Oststadt, Innenstadt und Südstadt in absoluten Zahlen bei Gewalt-Straftaten als die gefährlichsten Viertel.

Mehr dazu: Was ist der gefährlichste Stadtteil in Neubrandenburg?

Niemand will offiziell darüber reden, weil belastbares Zahlenmaterial noch fehlt – aber die Zunahme der gefährlichen Angriffe mit Messern hat wohl auch mit der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen zu tun. Eine Annahme, die gern von jenen kolportiert wird, die sich lautstark als Gegner geltender Asylbestimmungen offenbaren.

Aber auch in Flüchtlingsunterkünfte kommt es zu Messer-Gewalttaten zwischen Migranten, wie ein Fall in Greifswald von Anfang Oktober zeigt. Im Oktober 2022 soll ein 42-Jähriger aus Marokko in einer Asylbewerber-Unterkunft seine Frau erstochen haben.

Weitere Messerattacken in der Region

Anfang des Jahres ist ein 33 Jahre alter Angeklagter aus Demmin zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Der Verurteilte hatte im Juli 2021 sein Opfer zu Boden gerissen und viermal auf ihn eingestochen, nur eine Not-OP im Krankenhaus rettete ihm das Leben.

Auch in Anklam kam es im Juni zu einer Messerstecherei zwischen zwei Männern. Ein Verletzter musste nach Greifswald mit dem Hubschrauber ins Klinikum gebracht und dort operiert werden.

Auch in der Hansestadt machte eine brutale Attacke auf dem Bahnhofsvorplatz von sich reden: Ein 34-Jähriger soll im Oktober letzten Jahres von einem 26-Jährigen mit einem Messer lebensgefährlich am Hals verletzt haben.

„Zumeist impulsiv ausgeführte Straftaten“

Wie es zu Gewalt mit Messern kommt, ist gut erforscht: in Situationen nämlich, in denen etwas eskaliert und nicht viel nachgedacht wird. Messerangriffe seien zumeist „impulsiv ausgeführte Straftaten“, sagt Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, die für Bund und Länder Kriminalität dokumentiert und erforscht. Klar ist auch, wer die Täter sind, hauptsächlich Männer, wie bei den meisten Straftaten. Das Messer gehört zu den gefährlichsten Waffen. Weil die Opfer schnell verbluten oder Bakterien in den Körper gelangen. Vor allem aber, weil Messer leicht erhältlich sind.

Für manche Jugendliche sei das Messer eine Art Lifestyle-Produkt geworden, sagte der Soziologe Dirk Baier in der „Süddeutschen Zeitung“. Baier leitet in Zürich das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, seit Ende der 1990er-Jahre beschäftigt er sich mit Messern. Gerade unter Jungs gehöre es dazu, zumindest gelegentlich ein Messer in der Hosentasche zu haben, „es gibt einen Hang, im Jugendalter aufzurüsten“.

Welche Messer in der Öffentlichkeit sind erlaubt?

Die rechtliche Situation in Deutschland variiert je nach Klingenlänge und Aufbau des Messers. In Deutschland ist der Erwerb von Klappmessern erlaubt. Das öffentliche Führen von feststellbaren Einhandmessern hingegen nicht. Pfadfinder- und Fahrtenmesser dürfen in der Öffentlichkeit nur geführt werden, wenn ihre Klingenlänge zwölf Zentimeter unterschreitet. Bei Taschenmessern ist die Funktionsweise von übergeordneter Bedeutung. Wenn sich die Klinge ausschließlich mit beiden Händen ausklappen lässt, unterliegen Taschenmesser nicht dem Waffengesetz.

Im nördlichen Nachbarland Schweden sind die Ordnungsbehörden ungleich strenger als in Mecklenburg–Vorpommern: Niemand darf dort mit einem Messer in der Tasche in der Öffentlichkeit herumlaufen — es sei denn, er oder sie kann nachweisen, diesen scharfen und spitzen Gegenstand für die Arbeit zu benötigen.