Gedenkfeier am Weltfriedenstag
Neue Dokumente zum Lager Fünfeichen
Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Anke Brauns
Er hat lange daran geschrieben, manches später eingefügt. Vielleicht, weil es ihm wieder eingefallen ist, vielleicht auch, weil es ihm schwerfiel, manches auszusprechen. Ludmila Mischke kann an der Handschrift ihres Vaters sehen, dass ihn vieles bewegt hat, als er seine Erinnerungen zu Papier brachte. Sie hat ihn darum gebeten, als er krank wurde. Nikolai Wassiljewitsch Tschumak ist inzwischen 15 Jahre tot und seine Erinnerungen haben jetzt den Weg nach Neubrandenburg gefunden.
Seine Tochter Ludmila übergab die Originaldokumente und Fotos an die Stadt, als sie am Samstag zum ersten Mal an dem Ort war, wo ihr Vater im Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener inhaftiert war. Am Weltfriedenstag wurde dort der Opfer der Kriegsgefangenenlager und des späteren Internierungslagers des sowjetischen Geheimdienstes gedacht – 70 Jahre nach der Schließung des letzten Lagers.
Minutiös die Ereignisse im Lager aufgeschrieben
Die sowjetischen Soldaten wurden im Stammlager II A in Fünfeichen am schlechtesten behandelt, bekamen das wenigste Essen, starben wie die Fliegen, wurden in Massengräber gekippt. Nikolai Wassiljewitsch Tschumak aber hat überlebt und als sie sich nach seinem Tod intensiv mit den Aufzeichnungen befasste, staunte seine Tochter, wie genau, mitunter minutiös er sich an Geschehnisse erinnerte, wie viele Namen er noch wusste. „Als ich Kind war, hat er manchmal aus dieser Zeit erzählt, aber ich wusste keinen Ort, nur dass er in Deutschland war“, erzählt die Schauspielerin, Redakteurin und Autorin, die mit ihrem Mann in Berlin lebt.
Erst als sie seine Aufzeichnungen las und für ihre Kinder übersetzte, fand sie den Ort Neubrandenburg. „Eigentlich waren diese Briefe nur für die Familie gedacht, aber jetzt war die Zeit reif“, begründet die 70-Jährige, warum sie die Dokumente der Stadt für weitere Forschungen und Geschichtsarbeit überlässt.
Ministerin: der Wahrheit heute so nah wie nie zuvor
Ihre erste Begegnung mit Fünfeichen berührte Ludmila Mischke sehr. Sie sei „glücklich, dass hier ein Ort ist, wo man offene Ohren und Herzen“ finde. In den Gesprächen kam ihr die Idee, die Aufzeichnungen ihres Vaters für eine Hör-CD einzulesen, um die Erinnerungen für Projekte und Schulen besser nutzbar zu machen.
Bei der Gedenkveranstaltung knüpfte sie deshalb Kontakt zu Costanze Jaiser, die im Projekt „Zeitlupe“ mit Jugendlichen arbeitet und sie dafür begeistert, sich mit Vergangenheit und Parallelen zur heutigen Zeit zu befassen. Die Schüler lasen bei der Gedenkfeier aus Erinnerungen von Kriegsgefangenen an das Lager aber auch von Inhaftierten des späteren Internierungslagers des
sowjetischen Geheimdienstes.
Nachdem in der DDR größtenteils der Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde über das, was in Fünfeichen geschah, ist inzwischen viel durch die Stadt und die Arbeitsgemeinschaft aufgearbeitet worden. „Der Wahrheit über diesen Ort sind wir heute so nah wie nie“, sagte Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU) in ihrer Rede. Tausende Tote bekamen schon ihre Namen wieder und die „mühevollen Recherchearbeiten“ dazu gehen weiter, so Oberbürgermeister Silvio Witt, der allen dankte, die sich für die Gedenkstätte einsetzen. Jüngstes Beispiel ist das neue gestützte Kreuz am Eingang. Ohne großes finanzielles Engagement der Arbeitsgemeinschaft wäre die Erneuerung des Symbols von Fünfeichen nicht möglich gewesen.