Querdenker-Handy bleibt in Neubrandenburg
Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Simone Schamann
Wer erinnert sich nicht an den Besuch vier bekannter Corona-Maßnahmen-Kritiker in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen – Stichwort: Rein, raus, wieder rein! Den Livestream, in dem der Neubrandenburger Polizeichef Torsten Rusch vergeblich versuchte, vier im Querdenken-Umfeld agierende Aktivisten an der B96 in Weisdin zur Umkehr zu bewegen, verfolgten im Internet zeitweise bis zu 80 000 Menschen. Teile des stundenlangen Mitschnitts, in dem unfassbar viel und zum Schluss nicht mehr ganz so freundlich über Landesverordnungen und Grundgesetz diskutiert wurde, gingen viral.
Unsägliches, aber interessantes Hickhack
Großes Debattenthema danach: War es supercool und konsequent (fanden viele, zum Beispiel Ministerpräsidentin Schwesig, SPD) oder vorschnell und übergriffig (fanden einige, zum Beispiel das Verwaltungsgericht in Schwerin), dass MV die umstrittenen Busketiere – ursprünglich unterwegs zu einer Kundgebung in Neubrandenburg – unter Berufung auf das derzeitige Einreiseverbot gemäß Corona-Landesverordnung so rigoros aus dem Land schmeißen wollte? Und genau das am nächsten Tag nach erfolgtem Eil-Beschluss des Amtsgerichts Greifswald mittels großem Polizeieinsatz auch tat! Das Verwaltungsgericht Schwerin entschied allerdings fast im selben Atemzug: Stop, Einreise sehr wohl erlaubt – und ließ die vier Redner zu einer Veranstaltung in Schwerin dann doch sofort wieder ins Bundesland. Kurz: Es war ein unsägliches, aber auch sehr interessantes Hickhack.
Die Sache ist noch nicht ausgestanden
Fest stand danach eigentlich nur: Nie zuvor wurde an einer Mecklenburger Bushaltestelle so viel geredet wie an besagtem Abend. Und: Die Sache ist noch nicht ausgestanden. Unter anderem, weil die Neustrelitzer Polizei beim Ausweisungsversuch das Handy eines der Anti-Maßnahmen-Aktivisten einkassiert und der Neubrandenburger Staatsanwaltschaft zum Auslesen übergeben hatte. Seinem Besitzer, dem Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, selbst nicht ungeschickt im Heraufbeschwören justiziabler Sachverhalte, wurde vorgeworfen, Teile des Polizeieinsatzes mit dem Smartphone aufgenommen und somit eine „Verletzung gegen die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes” begangen zu haben. Ob die Beschlagnahme gerechtfertigt war, musste zunächst ein Richter am Amtsgericht entscheiden – und gab vergangenen Freitag grünes Licht, wie eine Sprecherin des Jusitzzentrum Neubrandenburg dem Nordkurier bestätigte. Das Handy werde demnächst von der Staatsanwaltschaft ausgelesen.
„Eigentlich gleich der nächste Skandal”
Eigentlich ganz normal – und doch sieht es ganz danach aus, als hätte die MV-Justiz den Querdenkern in dieser Angelegenheit gleich die nächste Steilvorlage für Beschwerden geliefert. Denn: Als der Nordkurier Ralf Ludwig am Sonntag fragt, was er zur richterlichen Auslese-Erlaubnis sagt, wusste dieser nach eigenen Angaben noch gar nicht darüber Bescheid. „Ich habe keinerlei Kenntnis davon”, so Ludwig zum Nordkurier. Sein Anwalt habe mehrfach beim Amtsgericht Neubrandenburg nach dem Stand der Dinge gefragt – und im Gegensatz zum Nordkurier noch nichts von dem Richterspruch gehört. „Dass ich erst durch eine Presseanfrage den aktuellen Verfahrensstand mitbekomme, ist eigentlich gleich der nächste Skandal”, so Ludwig zum Nordkurier.
Mehr lesen: Wie quer muss man denken, um dieses Hickhack zu verstehen?
Stadt Schwerin macht Rückzieher
Geht das Paragraphen-Theater zwischen den Anti-Maßnahmen-Aktivisten und MV jetzt also in die nächste Runde? Dass die Unruhestifter mit ihrem Rechtsverständnis nicht immer daneben liegen, zeigt, was aus der angedachten Klage der Stadt Schwerin gegen das Urteil zur Einreiseerlaubnis wurde. Das Amtsgericht Schwerin hatte in seinem Urteil pro Querdenker unter anderem auf das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht verwiesen und bestätigte damit in weiten Teilen deren Argumentation. Die Stadt Schwerin hatte in Erwägung gezogen, die Entscheidung am Oberverwaltungsgericht rückwirkend überprüfen zu lassen. „Wir haben davon Abstand genommen”, teilte ein Sprecher der Landeshauptstadt dem Nordkurier nun aber mit. Grund: mangelnde Erfolgsaussichten.