Kulturerbe

Schlummert im Gutshaus Dahlen eine kleine Sensation?

Dahlen / Lesedauer: 4 min

Gehört das Gutshaus Dahlen bei Neubrandenburg zum Gesamtwerk des Malers Philipp Otto Runge? Die neuen Besitzer glauben, Anzeichen dafür gefunden zu haben.
Veröffentlicht:13.04.2021, 09:11

Von:
  • dpa
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„Ich glaube nicht, daß es nöthig ist, grade an einem Ort wie Dresden, Wien, Paris zu leben ... In vielen Fällen hat es, um sich Raths erholen zu können, sein Gutes. Würken laßt sich aber gewiß leichter an einem Ort, wo noch eigentlich keine Kunstmeynungen herrschen.“

Diese Erkenntnis des berühmten Malers der Epoche der Romantik, Philipp Otto Runge, könnte ohne Zweifel für moderne mecklenburgische Landflüchter und Feingeister gelten. Gilt sie auch für Dahlen? Jenen recht unspektakulären Ort abseits aller Kunstmetropolen, 15 Kilometer nördlich von Neubrandenburg? Wohl. Denn offenbar „würkte“ der gebürtige Wolgaster Kaufmannssohn Philipp Otto Runge, der mit seinem Kupferstich-Zyklus „Die Zeiten“ als erster Maler das Programm für die neue Kunst der Romantik in Deutschland aufstellte, vor rund 200 Jahren in diesem Niemandsland.

Als die Rensower Gutshausretter Knut Splett-Henning und Christina von Ahlefeldt-Laurvig jüngst das „hässliche Entlein“ mit seinem unschönen Grauputz und den Konsumgitterfenstern am Dorfrand von Dahlen erwarben, hatten sie vielleicht schon einen „Riecher“ für das Besondere eines Hauses. Dass jedoch das Gutshaus, das seit 1997 eher einen Klotz am Bein der Gemeinde Brunn darstellte, sogar eine „kleine Sensation“ verbergen sollte, haben sie freilich nicht gewusst.

Das stellte sich erst heraus, als sie sich nun aufmachten, den Spuren der Geschichte des Hauses zu folgen. Denn das Gebäude war ungewöhnlicherweise dreimal in Besitz von Frauenhand, zudem auch in kulturhistorisch recht prominenter: 1806 nämlich wurde Gut Dahlen von Isabel Dorothea Helwig – geborene Runge und Schwester des Malers Philipp Otto Runge – erworben. Seit 1801 hatte der Bruder David Joachim Runge das Nachbargut Brunn gepachtet. Dendrochronologische Untersuchungen, also Prüfungen des Holzalters, datieren einen Umbau des Dahlener Hauses auf 1806. Dass sich Bruder Philipp Otto stark in Geschäfte und Gestaltung von Gut Dahlen einbrachte, entnehmen die neuen Hausherren mit fiebriger Begeisterung dem regen Briefwechsel zwischen den Geschwistern Runge.

Aus diesem geht nach Angaben von Knut Splett-Henning Folgendes hervor: Für seine Schwester auf Dahlen kümmerte sich Philipp Otto Runge um Kauf und Verkauf von Schafen, Schweinen und Butter. Später beriet er seinen Bruder beim Einrichten einer Branntweinbrennerei. Er versuchte zudem, in Hamburg Aufkäufer für Wolle und Flachs zu finden und vermittelt Schafe und Schäfer von Mecklenburg nach Holstein. Aus dem Schriftwechsel der Runges geht weiter hervor, dass sich Dorothea von ihrem Bruder Johann Daniel, Kaufmann in Hamburg, 7000 Reichstaler Gold – heute ein Millionenbetrag – für den Erwerb von Dahlen lieh.

„Die Kaufleute Runge haben sich wohl als ein großes Familienunternehmen begriffen, in dem sich alle stets gegenseitig unterstützt haben“, schließt Knut Splett-Henning. Philipp Otto Runge hat mehrfach Besuche in Dahlen notiert. Der berühmte Maler verstarb 1810 im selben Jahr wie seine Schwester Dorothea. Das Anwesen ging dann über an deren Tochter Wilhelmina Helwig. Das „Mienchen“, wie Philipp Otto seine geliebte Nichte in Briefen nannte, hatte er 1807 porträtiert. Das liebevolle Bildnis ist heute im Pommerschen Landesmuseum Greifswald zu bewundern.

Gutshausretter entdecken altes Gebäude neu

Wenn die Gutshausretter sich nun staunend durch das mittlerweile entkernte Ex-“Sorgenkind“ der Gemeinde bewegen, dann fallen nicht nur ihnen das besondere Licht und die Farben als ungewöhnlich für diese Zeit auf. Licht wurde hier eindeutig bewusst als Gestaltungselement eingesetzt, mutmaßen sie. Sie wissen, dass Runge sich zu jener Zeit intensiv mit Goethe zur Farbenlehre ausgetauscht hat. Unwahrscheinlich also, dass Runge sich nicht für das imposante Bauvorhaben seiner Familie interessiert hat, und demzufolge ebenso unwahrscheinlich, dass er, der immer Malerei, Dichtung, Musik und Architektur in einem Gesamtkunstwerk zu vereinen suchte, mit seinem vielfältigen musischen Interesse keinen Einfluss auf die Gestaltung von Gutshaus Dahlen hatte. So könnte es sein, dass Dahlen zum Gesamtwerk Runges gehört. Splett-Hennings sensitives Gespür für Perlen im Dornröschenschlaf schlägt jedenfalls Alarm: „Schon bei unseren ersten Besuchen hier hatte ich Freunden gegenüber scherzhaft geäußert, dass Gestaltung, Schlichtheit und Farbgebung mich an Goethes Gartenhaus in Weimar erinnerten. Sowohl in Dachhöhe und Proportionen. Die schlichte Fassade. Die Farbgestaltung im Innenraum betreffend … „„Des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben“ schrieb Goethe damals schließlich, und auch Runge vertrat diese Auffassung.

Die schöne wie markante Schlichtheit des gesamten Ensembles gefiel auch einer Delegation der Landesdenkmalbehörde sowie den entsprechenden Experten des zuständigen Landkreises Seenplatte, die auf das mittlerweile wieder unter Denkmalschutz stehende Gebäude aufmerksam geworden ist. Dem Sinn einer Farb- und Materialuntersuchung stimmen sie daher unbedingt zu. Wer weiß, was dabei noch für Überraschungen zutage treten!

Der Rundgang um das Gutshaus mit der klösterlich anmutenden Gutsmauer gibt jedenfalls weiteren Phantasien Raum. An deren Südseite mag man, wie damals üblich, auch exotische Blumen angepflanzt haben. Die Amaryllis, die Philipp Otto so kunstvoll malte? Schließlich hat Wilhelmina von seinen Blumendarstellungen Stickereien für Kissen entworfen und die Amaryllis als Vorlage für Möbelbezüge verwendet – sehr zur Begeisterung ihres Onkels!