Hochschule sucht Probanden

Seenplatte-Senioren gesucht mit Mut zum Tablet

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Die Hochschule Neubrandenburg will Senioren mit Tablets ausstatten und erkunden, wie die neue Verbindung zur Außenwelt der Vereinsamung entgegenwirken kann.
Veröffentlicht:07.05.2021, 17:13

Von:
  • Susanne Schulz
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Wer ist eigentlich Paul? Lange her, dass dieser Satz Furore machte und viel populärer wurde als das Produkt, in dessen TV-Werbespot er vorkam. In der Seenplatte soll in den nächsten Monaten ein anderer Paul von sich reden machen: eine Software, die in der Langfassung „persönlicher Assistent für unterstütztes Leben” heißt und alten Menschen mit Funktionen vom Videoanruf bis zur Dokumentation der Medikamenteneinnahme das Leben erleichtern soll. Menschen, die sonst nicht gerade in digitalen Welten zu Hause sind; dafür in einer ländlichen Region, in der durch die Corona-Pandemie das Leben noch einsamer geworden ist.

Sie sind eingeladen, digitale Möglichkeiten zu erkunden: Die Hochschule Neubrandenburg sucht derzeit Teilnehmer für ein Modellprojekt aus dem Reallabor „Leben im Alter”. Neun Monate lang können sie mit den eigens zur Verfügung gestellten Tablets ausprobieren, ob nicht Paul und andere Programme so manche Herausforderung des Alltags meistern helfen.

Medizinische und therapeutische Unterstützung

„Wir möchten digitale Möglichkeiten in den ländlichen Raum bringen”, sagt Annegret Fechtner. Sie ist ebenso wie ihre Projekt-Kollegin Bengta Leopold wissenschaftliche Mitarbeiterin im Format HiRegion (Hochschule in der Region), das Forschungsthemen der Hochschule mit konkreten praktischen Herausforderung der Region verzahnt. Einer Region mit ausgedünnter Infrastruktur, in der allein lebende ältere Menschen in Zeiten coronabedingter Kontaktbeschränkungen noch mehr vereinsamen als ohnehin schon. „Der Wunsch nach Kontakt zu Familie und Bekannten ist groß”, weiß Annegret Fechtner.

Doch nicht allein die Verbindung zur privaten Außenwelt soll digital erprobt werden, sondern auch die Möglichkeiten medizinischer, pflegerischer, therapeutischer Unterstützung: „Wir wollen zeigen, welche Möglichkeiten sich da auftun, damit Senioren möglichst lange im eigenen Zuhause leben können, auch wenn keine Angehörigen in der Nähe sind”, sagt die Wissenschaftlerin.

87-Jährige mag nicht aufs Tablet verzichten

Die Vorbehalte vieler alter Menschen gegenüber undurchschaubaren elektronischen Gerätschaften sind den Forschern durchaus bewusst. Aber sie sind widerlegbar, verweisen die Initiatoren Prof. Steffi Kraehmer und Prof. Stefan Schmidt auf die Erfahrungen eines früheren Projekts, bei dem es vor allem um die Kontakte der Teilnehmer unter einander ging.

Da wurden die Tablets teils vom „Teufelszeug” zum Lebensmittel: Steffi Kraehmer, Professorin im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung, erinnert sich besonders gern an das Fazit einer 87-jährigen Dame, sie könne nunmehr „eher auf den Kühlschrank verzichten als auf das Tablet”. Und ein alter Herr hatte sich nach einer Präsentation in der Familie beklagt, dass – eigentlich um die Probanden nicht zu überfordern – gar nicht alle Funktionen freigeschaltet waren. „Eine solche Limitierung nehmen wir nicht noch mal vor. Diesmal stellen wir die ganze Palette zur Verfügung”, kündigt Steffi Kraehmer an.

Nutzen für Alltag soll erlebbar werden

Gesucht werden nun also Senioren aus der Seenplatte, die allein im eigenen Haushalt leben und bislang keine oder wenig Erfahrung mit digitalen Geräten haben. Sie bekommen zunächst eine Einführung in die Nutzung der Tablets, deren Benutzeroberfläche – in früheren Projekten erprobt – eine einfache Handhabung ermöglicht. „Sie sollen das Gerät mit allen Facetten kennenlernen”, verspricht Bengta Leopold. Zudem werde es digitale Themennachmittage geben etwa zum Umgang mit Medien und Daten, aber auch zu den Möglichkeiten ärztlicher Online-Sprechstunden oder den Angeboten von Pflegediensten.

So soll spürbarer Nutzen für den Alltag erlebbar werden, wünscht sich Prof. Stefan Schmidt, der sich im Fachbereich Gesundheit, Pflege, Management schwerpunktmäßig mit Pflege- und Versorgungskonzepten befasst. Dabei komme auch den Familien eine wichtige Rolle zu: „Viele Kinder und Enkel sind – obwohl selbst die ganze Zeit online – noch nie auf den Gedanken gekommen, das auch mit ihren Eltern oder Großeltern auszuprobieren.” Auch besonders sensible Themen könnten mittels elektronischer Verbindung zur Außenwelt aus dem geschützten privaten Raum heraus leichter angesprochen werden als in der Arztpraxis oder Apotheke.

Mindern von Isolation und Distanz

„Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass die digitale Welt die reale ersetzen kann”, stellt Steffi Kraehmer klar. Aber sie könne bei privaten Kontakten wie auch solchen zu professionellen Akteuren im Gesundheitswesen Distanz und Isolation mindern.

Vergleichbare Ansätze fanden die Neubrandenburger Wissenschaftler etwa in Österreich, wo nicht das flache, sondern das bergige Land zu Vereinsamung führe, und in Finnland, das mit kostenloser Internetversorgung und intuitiv zu handhabender Software punkte. „Dort ist man schon weiter als hier, aber da docken wir an”, sagt Steffi Kraehmer.

Wer an dem Projekt teilnehmen möchte, sollte sich bis zum 28. Mai melden bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Annegret Fechtner und Bengta Leopold, Reallabor Leben im Alter, Hochschule Neubrandenburg, Brodaer Straße 2, 17033 Neubrandenburg; Telefon 0395 5693 4525, E-Mail: [email protected]