Kurs für Senioren
Sie lernen auch im Alter noch, was so ein Tablet alles kann
Seenplatte / Lesedauer: 5 min

Susanne Schulz
Irgendwann, ahnte Gislinde Neumann, würden die Kinder sie zu einem Computer überreden wollen. Doch die 81-Jährige, der lange Zeit „ein Schreibprogramm und ein bisschen Kartenspielen“ genügten, kam dem Nachwuchs zuvor. „Schuld“ daran ist die Hochschule Neubrandenburg, die Senioren vor allem aus ländlichen Regionen eingeladen hatte, digitale Erleichterungen für den Alltag auszuprobieren.
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Gerade dort seien Wege zu Ärzten, Apotheken und Therapien mit viel Aufwand verbunden und setzten Mobilität voraus, hinzu komme die Vereinsamung – so der Ausgangsgedanke aus der Initiative „Hochschule in der Region“ für das Projekt „Leben im Alter“. Mehr als 200 Menschen hatten sich beworben.
Gratis-Software inklusive
Gislinde Neumann gehörte zu jenen 15, die für die Teilnahme ausgewählt wurden. „Warum nicht so ’n bisschen teilnehmen an der modernen Welt?“, schildert sie ihre Motivation. „Wenn man im Alter allein lebt, ist es gut zu wissen, wie man beweglich bleibt – nicht nur körperlich.“ Noch kann sie zu Hause in Friedland alle Wege selbst erledigen. Aber was, wenn das mal nicht mehr geht?
Digitale Angebote zu medizinischer Versorgung, Therapie und Pflege in Kooperation mit Partner aus dem Gesundheitswesen gehören ebenso zum Projekt-Programm wie Kalenderfunktionen, Rezepte, Spiele, eine Mediathek oder auch der Kontakt zwischen den Teilnehmern. „MeinPaul“ heißt die Software auf den Tablets, die von der Hochschule für den Projektzeitraum gratis zur Verfügung gestellt werden.
Die jüngste Teilnehmerin ist 66 Jahre alt
„Alleine wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mir so ein Gerät zu kaufen“, sagt Gislinde Neumann. Ihre Sorge, ob sie nicht zu alt für solche Neuerungen sei und dass sie doch kaum Vorkenntnisse habe, teilte sie mit vielen Bewerbern, wissen die Betreuerinnen Annegret Fechtner und Bengta Leopold. „Wiederholung ist der Schlüssel, um solche Ängste abzubauen“, bestätigten ihnen die ersten Projekt-Monate, in denen es zunächst um Selbstvertrauen in technischen Belangen ging, bevor die Gesundheitsthemen aufs Tapet kamen.
Eindrücklich war übrigens auch für die Neubrandenburger Wissenschaftlerinnen, wie lang die Wege in Mecklenburg-Vorpommern sein können: Ihre Schützlinge sind in einem weitläufigen Einzugsgebiet zwischen Friedland und Hohen Wangelin, Plau am See und Alt Rehse zu Hause. Die Älteste – 12 der 15 Auserwählten sind Damen – ist 95 Jahre alt. Die Jüngste erst 66: Vor einem Jahr stand Evelin Garmig noch im Berufsleben, das durchaus computergeprägt war. Doch außerhalb der dienstgebundenen Programme spielte die digitale Welt keine große Rolle für die agile Frau aus Alt Rehse.
Bekanntschaften pflegen
Umso präziser sind ihre Erfahrungen mit der Handhabung von Tablet und „Paul“. So lobt sie die großen Symbole auf dem Bildschirm und einige praktische Funktionen von Spielen und Rezepten bis hin zur Erinnerung an regelmäßiges Trinken, kritisiert indessen – wie auch andere Probanden – die zu kleine und immer neu zu aktivierende Menüleiste während der Videokonferenzen.
Denn neben digitalen Alternativen zum Arztbesuch und Hilfen bei Pflegebedarf weiß sie auch die Möglichkeit zu schätzen, trotz abgelegenen Wohnen Bekanntschaften zu schließen und zu pflegen. Mit drei anderen Projekt-Teilnehmenden „trifft“ sie sich regelmäßig zu Video-Telefonaten, mittlerweile sind auch Besuche geplant.
In Kontakt mit den Enkeln
Dass einige solcher kleinen Gruppen entstanden sind, sehen Annegret Fechtner und Bengta Leopold mit Freude; zumal das Vorwissen der Senioren über Computer und Internet sehr unterschiedlich ist: „Von Gleichaltrigen zu lernen, funktioniert super“, stellt Annegret Fechtner fest.
Auch die Hochschulmitarbeiterinnen übrigens haben einiges gelernt: Die „Lehr-Stunden“ gerade zu Beginn – der Corona-bedingt bereits digital erfolgen musste – zeigten den Jüngeren, die alltäglich mit modernen Medien und Netzwerken umgehen, über welch vermeintliche Selbstverständlichkeiten es noch mal nachzudenken lohnt; angefangen mit Cookie-Anfragen, Datenschutz und Sicherheit im Internet.
Folgeprojekt geplant
„Es sind viel mehr Angebote nötig für Senioren im digitalen Raum“, sagt Bengta Leopold. Derzeit werden Ideen zu Folgeprojekten für „Leben im Alter“ geprüft. „Da wollen wir beide auf jeden Fall wieder dabei sein“, kündigt Ruth Gall aus Friedland für sich und ihre Beinahe-Nachbarin Gislinde Neumann an, mit der sie sich gern über ihre Erfahrungen austauscht. „Ich freue mich immer schon auf die nächste Stunde“, sagt die 88-Jährige, die im vorigen Jahr durch einen Nordkurier-Beitrag auf das Projekt aufmerksam geworden war und sich sofort beworben hatte. Ihre Erwartungen wurden mehr als erfüllt: Die Wissenschaftlerinnen hätten „uns Aspiranten frisch und gut durch die Stunden geführt“, lobt Ruth Gall und möchte ausdrücklich Dank sagen für die kostenlos bereitgestellte Technik und Literatur.
Selbst etwas tun zu können, um im Alter nicht nur auf andere angewiesen zu sein: „Hier lerne ich, wie das gehen kann“, sagt die lebhafte Seniorin, die auch malt und mit der großen Familie – unter anderem mit Enkelkindern in Österreich und England – gut in Verbindung bleiben will. Sie hat sich bereits ein eigenes Tablet gekauft, um auch nach dem Projektzeitraum „den Gören zu beweisen, dass ich das kann“.