Mitschnitt aufgetaucht

Tonaufnahme von Enrico Komning (AfD) löst hitzige Debatte aus

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Enrico Komning soll sich im Jahr 2016 dafür ausgesprochen haben, unser politisches System abzuschaffen – so ein Medienbericht. Doch stimmt das wirklich?
Veröffentlicht:26.05.2020, 14:56

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Der partei-interne Machtkampf in der AfD Mecklenburg-Vorpommern scheint sich zuzuspitzen. Am Dienstag wurde eine Audio-Aufnahme aus dem Jahr 2016 öffentlich, in der sich der heutige Neubrandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete Enrico Komning für das Ende der parlamentarischen Demokratie in Deutschland ausgesprochen haben soll. Doch auf den zweiten Blick stellt sich die ganze Geschichte etwas anders dar.

Denn die Schweriner Volkszeitung, die einen Teil der Tonaufnahme veröffentlichte und darüber berichtete, berichtet vor allem über den ersten Teil der Aufzeichnung. Diese Sequenz erweckt tatsächlich den Eindruck, als wolle Komning die Demokratie abschaffen. In dem Gespräch, das Anfang Dezember 2016 in Demmin aufgezeichnet wurde, spricht Komning über den parlamentarischen Staat und „wie auch immer diese Demokratie heißt”. Komning war damals noch Abgeordneter im MV-Landtag, in den Bundestag wurde er 2017 über die AfD-Landesliste gewählt.

Dem Nordkurier liegt die gesamte Tonaufnahme vor

Er sagt in der Aufnahme über die parlamentarische Demokratie: „Die wollen wir ja aber gar nicht. Die wollen wir doch abschaffen”. Er wird kurz unterbrochen und holt dann wieder aus, spricht von der Theorie einer Person namens Holger – es könnte sich dabei um den damaligen AfD-Landtagsabgeordneten Holger Arppe handeln, der später in Folge mehrerer Skandale aus seiner Partei ausgeschlossen wurde. Komning fährt fort: Diese Theorie „stimmt nur dann, wenn wir das Parteiensystem, so wie es jetzt ist, fortführen wollten. Und das wollen wir nicht.”

Dem Nordkurier liegt die gesamte Audiosequenz vor. Komning sagt darin weiter – hier ungekürzt wiedergegeben: „Ja, ich will es nicht. Ich will es nicht. Ich möchte eigentlich, dass wir da oben gar nicht mehr sitzen, sondern dass vielleicht nur noch ein, zwei oder fünf oder wieviel auch immer, also ganz viel, viel weniger Leute sitzen und die nur eigentlich mehr oder weniger die Strukturen begleiten, aber dass die wirklichen Entscheidungen beim Volk bleiben. Und zwar viel mehr, als dass die Schweizer das machen. Die Schweizer bestimmen ja nur über ganz, ganz wenige Sachen mit. Ich finde, fast alles sollte das Volk bestimmen und nur ganz wesentliche, strukturelle Sachen sollten wirklich bei gewählten Abgeordneten bleiben.”

Mehr zum Thema: Warum die AfD jetzt vor ihrer schwersten Entscheidung steht 

Was sich also anfangs wie eine Aufforderung zur Abschaffung der Demokratie anhört, ist im Prinzip nur eine Fortführung des AfD-Parteiprogramms, demzufolge Berufspolitikertum auf eine notwendiges Minimum reduziert und die direkte Demokratie gestärkt werden soll. In diesem Programm heißt es: „Die AfD setzt sich dafür ein, Volksentscheide in Anlehnung an das Schweizer Vorbild auch in Deutschland einzuführen. Wir wollen dem Volk das Recht geben, über vom Parlament beschlossene Gesetze abzustimmen.”

Selbstverständlich kann man darüber streiten, ob mehr Volksentscheide wirklich gut wären. Es gibt gute Gründe, die für eine parlamentarische und gegen eine in der Breite angewandte direkte Demokratie sprechen. Doch die Debatte, die in Folge der Berichterstattung über Komnings Worte nun entstanden ist, dreht sich vornehmlich um etwas anderes. Sie konzentriert sich auf die Frage, ob Komning angesichts seiner Worte Verfassungs-Untreue vorzuwerfen ist. Komning selbst reagierte empört auf die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen: „Ich verwahre mich gegenüber jedem Vorwurf, ich stünde nicht zum Grundgesetz. Das Gegenteil ist der Fall. Seit ich mich politisch engagiere, kämpfe ich für dieses Grundgesetz.” Die bisherige Berichterstattung erfolge „ausschließlich über den absichtlich abgekürzten und aus dem Zusammenhang gerissenen Audiomitschnitt”, der „offensichtlich” aus dem parteipolitischen Umfeld der AfD „durchgestochen” wurde. Das sei der „eigentliche Skandal”.

Linke sehen „bürgerlichen Anstrich” der AfD verblasst

Die Linksfraktion im Schweriner Landtag, der mutmaßlich auch nicht der komplette Mitschnitt vorliegt, sieht das anders: „AfD-Mann Komning mag die parlamentarische Demokratie nicht, die will er lieber abschaffen. Mit dieser Aussage von 2016 konfrontiert meint er, er habe sich hinreißen lassen”, sagte der innenpolitische Sprecher der Linken, Peter Ritter. Dieser Vorgang zeige, „wes Geistes Kind führende Funktionäre der AfD sind”. Der bürgerliche Anstrich, so Ritter, sei „längst verblasst”.

Eine wichtige Frage aber bleibt offen: Der SVZ wurde zwar zunächst nur eine gekürzte Tonaufnahme zugespielt, die die weitergehenden Erklärungen Komnings zum Schweizer Modell nicht beinhaltete – und ihn offenbar als Demokratie-Feind darstellen wollte. Von diesen erfuhr die Zeitung erst auf Nachfrage – und zwar von Komning selbst, dem die ungekürzte Version vorliegt.

Warum also gelangte eine geschnittene Audio-Aufnahme in die Öffentlichkeit, obwohl doch in den beteiligten Kreisen die gesamte Sequenz kursierte? Hier lässt sich nur spekulieren. Die Veröffentlichungen könnten im Zusammenhang mit einem seit mehr als zwei Jahren tobenden Machtkampf in der AfD Mecklenburg-Vorpommern stehen, der mit zunehmend harten Bandagen geführt wird.

Machtkampf in der Landes-AfD spitzt sich zu

Auf der einen Seite steht das Lager um den AfD-Landeschef und stellvertretenden Vorsitzendenden der Bundestagsfraktion, Leif-Erik Holm, auf der anderen Seite der rechte Parteiflügel, der in MV vom AfD-Kreisverband Vorpommern-Rügen angeführt wird. Obwohl Enrico Komning als prominentestes Mitglied des vor Kurzem aufgelösten völkisch-nationalen Flügels in MV galt, wird er im Land als Verbündeter von Leif-Erik Holm wahrgenommen.

In diesem Zusammenhang waren in den vergangenen Jahren immer wieder Chatprotokolle in die Medien aufgetaucht, die einzelne Mitglieder beider Lager diskreditieren sollten. Der Abgang des ehemaligen AfD-Landeschefs Dennis Augustin, der nach Nordkurier-Enthüllungen zu seiner NPD-Vergangenheit die Partei verlassen musste, kippte das Gleichgewicht im Machtgefüge zuletzt deutlich zugunsten des Holm-Lagers.