Clueso

Es gab eine Zeit, wo ich geglaubt habe, dass ich ein Versager bin

Neubrandenburg / Lesedauer: 12 min

Drei Open–Air–Konzert sind Ende Juni in Neubrandenburg zu erleben: In Extremo (23. Juni), Sarah Connor (25. Juni) und mittendrin spielt Clueso am 24. Juni. Mit dem Sänger und Songwriter aus Erfurt hat Jörg Franze vom Nordkurier mal telefoniert.
Veröffentlicht:10.06.2023, 11:00

Von:
  • Jörg Franze
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Wenn ich richtig im Archiv nachgeschaut habe, wird das Dein erster Auftritt in Neubrandenburg. Da musste die Stadt 775 Jahre alt werden, damit Du mal herkommst ...

Ist das so? Bin ich echt das erste Mal bei euch? Das kann nicht sein, ich hab’ doch gefühlt schon überall gespielt.
(Eine Archivrecherche hat einen Auftritt 2005 in Mirow in einem Club namens garage inc, ergeben, ansonsten waren Neuruppin und Rostock wohl am dichtesten dran)

Da glaubt der Thüringer in Dir wohl, er kennt die Ostsee und damit ganz Mecklenburg–Vorpommern, oder?

Ich war als Kind auf jeden Fall überall an der Ostsee. Bis ich neun Jahre alt war, hatten wir ja noch DDR, da kam man nicht so weit weg. Ich weiß gar nicht mehr genau, wo wir waren, es war auf jeden Fall eine ellenlange Fahrt in ’nem Trabant. Es hat sich angefühlt, als würde man um die halbe Welt fahren, weil es echt zehn Stunden Gezuckel waren. Aber an das Buddeln im Sand oder das Baden im Meer hab’ ich immer noch schöne Erinnerungen.

Sarah Connor, In Extremo und Clueso – diese drei Acts können Fans Ende Juni in Neubrandenburg live erleben. (Foto: NK-Montage mit Fotos von Hendrik Schmidt; Kai Swillus und Christophe Gateau)

Für die 3 Konzerte von In Extremo, Clueso und Sarah Connor (23.-25. Juni) gibt es noch Karten, online oder in Neubrandenburg beim Ticketservice im HKB am Markt.

Also Badengehen kannst Du auch im Neubrandenburger Tollensesee, wenn Du kommst. Hat  Johannes Oerding auch gemacht, als er hier spielte, denn die Open–Air–Fläche ist gleich am See.

Wenn ein See da ist, dann werde ich da auch drin baden. Ich bin eine absolute Wasserratte.

Mit 43 Jahren bist Du ja ein bisschen jünger als Dein Auftrittsort. Hast Du an Deinem Geburtstag (9. April, d. Red) groß gefeiert oder standen schon Tourvorbereitungen an?

Ich war mit Freunden zu Hause in Erfurt weg, außerhalb in einem Hotel. Witzigerweise rief abends Johannes Oerding an, ob ich eine Location kenne, wo man bisschen abhängen kann, weil er gerade in Erfurt spielt. Und dann haben wir zusammen in dem Hotel Party gemacht, abends noch gemeinsam auf der Bühne gestanden und gesungen. Hat Spaß gemacht, und ich war auch echt n bisschen angetüddelt.

Alle Kosten haben sich drastisch erhöht

Es ist ja auch gut, wenn man jetzt nach den Corona–Jahren endlich wieder ordentlich feiern kann. Gerade für die Künstler waren es schwere Zeiten, Du warst ja selbst in der Tagesschau, um darauf hinzuweisen. Wie sieht es jetzt aus, müsst ihr immer noch um die Rückkehr des Publikums kämpfen?

Das ist extrem differenziert. Ich selbst kann nicht klagen. Es ist nicht ganz wie vorher, aber ich habe Glück gehabt, auch durch die TV–Show „Sing meinen Song“, dass Leute wieder aufmerksam geworden sind, mein Gesicht gesehen haben, sich erinnert haben und gesagt haben, da fahren wir mal hin. Aber ich weiß, bei anderen Bands ist das immer noch schwierig. Und viel schwieriger ist eigentlich, dass sich alle Kosten drastisch erhöht haben. Gerade für mittelgroße Bands ist das richtig schwierig. Du spielst vor 2000, 3000 Leuten in einer Halle und gehst trotzdem ohne was nach Hause. Aber wichtig ist generell, dass alle Bands wieder vor Publikum spielen können. Du brauchst die Resonanz der Leute. Nur so können sich junge Bands was erspielen. Deshalb mein Aufruf an alle: Geht in die Klubs, schaut euch kleine Bands an.

Du bist ja auch ein Freund von kleinen Klubs, aber in Neubrandenburg trotzdem auf einer großen Bühne zu sehen. Was gefällt Dir besser?

Es hat beides seine Vor– und Nachteile. In kleinen Klubs machst Du „Yeah!“ und es kommt ein „Yeah!“ zurück. In Stadien ist es viel lauter, deutlich intensiver, es dauert aber auch viel länger und jeder Fehler hängt viel länger im Stadion. In ’nem Klub hat das so eine gewisse Mir–Egal–Mentalität. Man kann etwas ausprobieren, ohne große Show, es sind nur die Leute und der Künstler auf der Bühne. Und ich liebe das! Um fit zu bleiben oder inspiriert zu werden gehe ich gerne in kleine Klubs oder auch mal auf die Straße.

Auf der Open-Air-Fläche im Neubrandenburger Kulturpark waren schon etlich große Konzerte zu erleben, hier war es Mark Forster. (Foto: NK-Archiv)

Lass uns mal auf Deine Anfänge zurückblicken. Du hast den Hauptschulabschluss gemacht und eine Friseurlehre abgebrochen. Gab es Zeiten, wo Du als Versager abgestempelt wurdest? Was haben Deine Eltern dazu gesagt und wie hast Du Dich davon freimachen können?

Es ist damals schon eine Zeit gewesen, wo ich selbst geglaubt habe, dass ich ein Versager bin. Du hörst von so vielen Leuten, dass Du dies und das machen solltest. Ich hatte schon früh gemerkt, dass ich Musik machen will, habe aber da auch sehr viel Gegenwind bekommen — von zu Hause, vom Leben, von Beratern, von Instanzen, von denen ich abhängig war. Alle haben nur gesagt, mach es nicht. Aber die Lust, das doch zu machen, war größer. Und das war jetzt gar nicht mal rebellisch gemeint. Ich hatte einfach so Bock auf Musik, mein ganzer Körper wollte das. Und dann habe ich gesagt: „Scheiß drauf, ich mach das jetzt einfach!“ Dazu kam ein bisschen Trotz. Ich habe gesagt, ich mache es auch gerade, weil alle so dagegen sind. Das muss man erst mal hinkriegen als junger Mensch, da bewundere ich den früheren „Cluesn“, dass er so viel Bock hatte und drauf geschissen hat. Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin, wenn ich das nicht durchgezogen hätte.

Das ist ja dann ja auch Teil Deiner Lebenserfahrung, wenn Lehrer oder andere Erwachsene Dir sagen wollten, was Du zu tun hast und Du bist trotzdem Deinen eigenen Weg gegangen. Ist das eine Botschaft, die Du heute an Kinder hast? Hört nicht auf die, die euch als Versager abstempeln?

Ja, aber eher in die Richtung: „Gibt es irgendetwas, was ihr machen könnt, womit ihr Spaß habt, was euch wirklich antreibt?“ Dann solltet ihr darüber nachdenken, das auszubauen. Und wenn dann Gegenwind kommt, dann macht weiter und lernt die ganze Zeit, weil, und das ist eine Erfahrung, die ich ’rüberbringen will: Die Jahre gehen so schnell vorbei. Wenn Du nicht das tust, was Dir Spaß macht, dann sitzt Du irgendwann da und kommst nicht mehr so richtig rein. Deswegen meine Empfehlung an die Kinder, auf sich selbst zu gucken. Was mache ich am liebsten? Selbst wenn sie am Rechner hängen und irgendwelche Spiele spielen, dann sollten sie überlegen: Was kann ich daraus machen? Kann ich darüber berichten, das mit anderen teilen oder selbst Spiele entwickeln? Aber nur Zocken und nichts entwickeln und nur die Zeit verballern — da landest Du garantiert in ’nem Sessel, der Dir nicht gefällt.

Da hast Du ja Glück gehabt, dass Du Deine Leidenschaft zum Beruf machen konntest. Fühlt es sich wie Arbeit an, wenn Du Musik machst?

Ja, aber nur gegen Ende. Am Anfang habe ich so viel Bock und könnte ständig neue Ideen anreißen. Du musst es aber irgendwann auch fertig machen und da steckt dann die Arbeit drin. Dinge nach Hause zu bringen. Derjenige zu sein, der dann auch dafür sorgt, dass es ein Ergebnis gibt.

Der nette Herr Clueso kann auch anders. (Foto: Martin Schutt)

Du wirkst wie der nette Herr Clueso von nebenan, aber ich glaube, wenn es um Deine Musik geht, kannst Du dann auch ganz schön aggro sein...

Auf jeden Fall. Ich kann das besser als früher. Die Uhr tickt einfach, der Moment für einen guten Song ist sehr, sehr kurz. Damit die Skizze steht und niemand sie einem mehr nehmen kann. Wenn ich das umsetzen will, was ich im Kopf habe, bin ich sehr sehr straight. Ich mag es nicht, wenn man mittendrin aufhört oder eine Pause macht.

Was macht für Dich einen guten Song aus, wann bist Du zufrieden?

Es geht um die große Frage: Wann funktioniert Emotion. Ich war mal in einem Studio und nebenan ließ einer einen Loop den ganzen Tag laufen. Und ich dachte: Jetzt bau doch endlich mal einen Refrain! Ich wäre am liebsten ’rübergegangen und hätte gesagt: Hier guck, Bridge, Refrain, zack... Es ging mir quasi auf den Sack, dass jemand die ganze Zeit nur dasaß und das Ding laufen ließ. Ein guter Song ist für mich, wenn er Dich reinzieht und nicht loslässt.

Schwieriger Suche nach passendem Text zur Melodie

Entsteht bei Dir zuerst der Text oder ist zuerst die Musik da?

Total unterschiedlich. Ich bin jetzt gerade im Studio, nebenan ist ein Produzent und ich habe gestern Nacht etwas geschrieben. Ich hatte da eine Idee, aber nur Text-Anfang und das Ende eines Songs, aber keine Melodie. Und er war total begeistert, und jetzt suchen wir was. Aber meistens ist es eher andersrum, dass wir musikalisch etwas bauen und dass ich dann etwas einsinge mit ein bisschen Phantasietext, wovon manchmal etwas übrig bleibt. Für eine gute Melodie einen passenden Text zu finden, ist aber gar nicht so einfach.

Singst Du über Dinge, die Du selbst erlebt oder erfahren hast?

Letzten Endes geht es mehr darum, Musik zu machen. Es kann sein, dass es eine Initialzündung gibt, dass ich was erlebt habe und merke, das ist so das Grundgefühl. Und der Song verlangt aber, dass ich das übertreibe und gar nicht objektiv bin. Manchmal ist man auch einfach wütend und dann ist es gut, wenn der Song auch wütend ist. Auch wenn der Protagonist eigentlich ein bisschen weiser ist und nicht so schnell durchdreht. (grinst)

Ich hab schon das Gefühl, dass Deine Songs eine gewisse Nähe transportieren.

Ich hoffe doch. Ich mag es, wenn ein Satz manchmal so rauspurzelt, wie im richtigen Leben. Ich mag es aber auch, wenn es eine doppelte Bedeutung gibt und man zweimal darüber nachdenken kann. Aber es muss ehrlich sein, Zeigefinger sind da eher nicht so mein Ding.

Kann das Publikum in Neubrandenburg sich auf etwas Spezielles freuen?

Ich baue eigentlich immer etwas Überraschendes ein. Im Zuge von „Sing meinen Song“ haben sich zum Beispiel zwei Stücke entpuppt, die live so viel Spaß machen könnten, dass ich die jetzt in die Proben eingebaut habe. Da muss man dann gucken, wie sich das entwickelt. Ich schnappe mir auch manchmal einfach gern die Gitarre und probiere was aus. Und es gibt sehr viele alte Songs, die wir immer wieder verändern, weil auch meine Band Lust hat, Dinge auszuprobieren. Wir sind ’ne sehr enge Familie geworden. auf der letzten Tour hat zum Beispiel Marlene, die Bassistin, die mit dem Gitarristen zusammen ist, ein Baby bekommen. Das haben wir gleich mit auf Tour genommen. Wir sind eine Truppe, die sich gut versteht und haben viel Energie, einfach weil wir Bock haben, zu spielen.

Der Name Clueso hat mit der Filmfigur Inspektor Clouseau zu tun. (Foto: Schwäbische.de)

Was mich noch interessiert: Dein Künstlername Clueso kommt von der Filmfigur Inspektor Clouseau, hast Du gesagt. Aber wo ist da die Verbindung?

Ich erzähle mal die lange Geschichte, die gar nicht so viele kennen. Ich wurde nach Inspektor Clouseau benannt, weil ich bisschen so tollpatschig bin wie er. Aber es hat auch damit zu tun, dass ich früher oft bei einem Freund war. Der hatte in den 90ern schon einen Computer und ich nicht. Ich habe jeden Tag bei ihm geklingelt, noch bevor er zu Hause war. Die Oma hat mir aufgemacht und hat manchmal mit mir sogar einen „Kleinen“ geschnasselt (getrunken, d. Red). Und dann habe ich am Rechner, wenn der startet, einen Soundsample reingemacht: „Hier ist die Wohnung von Inspektor Clouseau“. Daraufhin haben mich dann alle Leute nur noch Clouseau genannt. Niemand versteht Dein Konzept, aber am Ende geht es auf, das steckt da auch mit drin. Ich habe dann den Namen Clueso ein bisschen anders geschrieben, denn die französische Schreibweise ist etwas kompliziert. Aber meine wohl nicht weniger, denn viele sagen Clu–e-so.


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Ok, eine Sache will ich noch wissen. Es geht die Story, dass ihr, also Teddy Teclebrhan und Du, den Jesus-Typen aus dem „Flugmodus‟-Video einfach auf einem Flughafen weggecastet habt ...

Wir haben das Skript für das Video quasi im Flieger nach Ibiza geschrieben. Teddy ist halt ein Freestyler und wir wollten ihm nicht zu viel vorgeben. Wir landen also auf Ibiza und da sitzt ein Typ auf der Bank mit so ’nem Bart und langen Haaren. Der sah so cool aus, dass wir hin sind und gefragt haben, ob er sich vorstellen kann, bei uns im Video mitzuspielen. Und es passte alles: Er hat Deutsch gesprochen und er kannte uns und er hat mitgemacht. Wir haben soviel gelacht bei dem Dreh, es gibt unfassbar viele Outtakes...