StartseiteRegionalNeubrandenburgWeltenbummler aus Australien wieder in Neubrandenburg

Tollensesee–Fischer

Weltenbummler aus Australien wieder in Neubrandenburg

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Gerd Skibbe hat am Tollensesee aber auch in Prenzlau seine Spuren hinterlassen. Er hat sein zweites Liebesglück auf dem fünften Kontinent gefunden. Nun ist er wieder in der Heimat. 
Veröffentlicht:06.08.2023, 13:00

Von:
  • Frank Wilhelm
Artikel teilen:

Was für eine Flugroute: Australien–Doha (Katar)–Rom–Madrid–Porto (Portugal)–zurück nach Madrid–zurück nach Rom–Wien–Graz–Villach–Klagenfurt–Neubrandenburg. Bei diesem Pensum samt einer großen Familienfeier würden wohl auch schon junge Menschen ins Schwitzen kommen. 

Als Fischer mit dem Tollensesee verbunden

Aber Gerd Skibbe winkt ab, als sei das doch gar nichts. Dabei hat er gerade erst seinen 93. Geburtstag gefeiert. Seine Frau Ingrid, zehn Jahre jünger, schüttelt mit dem Kopf. Es sei schon ärgerlich, dass ihnen auf dem Flughafen in Rom zweimal das Gepäck abhanden gekommen sei. Bis heute sind die Koffer samt der geliebten Kleidung und der benötigten Medikamente nicht wieder aufgetaucht.

Gerd Skibbe versucht den Ärger seiner Frau wegzuschmunzeln. Beide sitzen wie ein junges verliebtes Pärchen auf dem Sofa im Haus seines Sohnes in Trollenhagen. Viele Neubrandenburger, aber auch der eine oder andere Uckermärker dürften Gerd Skibbe kennen. 1930 in Lassan geboren, absolvierte er zunächst eine Gärtnerlehre in Prenzlau. Mitte der 1950er-Jahre verschlug es ihn nach Neubrandenburg, wo er zunächst in einer Baumschule arbeitete. Doch er musste eine Familie mit zwei kleinen Kindern ernähren und wurde Fischer auf dem Tollensesee.

Gerd Skibbe am Steuerrad in seiner aktiven Zeit als Fischer. (Foto: Skibbe/Privat)

Geschichte der Fischerei mehrfach thematisiert

Als stellvertretender Vorsitzender führte er etliche Jahre die Produktionsgenossenschaft werktätiger Fischer (PwF), die damals den Tollensesee bewirtschaftete. An allen offiziellen Instanzen vorbei habe er dafür gesorgt, dass die Maränen eingesetzt wurden, die den Fischern wenige Jahre später ein sehr gutes Auskommen sicherten. Guten Freunde besorgte er auch mal einen wertvollen Aal, oft verbunden mit tiefgründigen Gesprächen auf dem See über Gott und die Welt.

Die Jahre auf dem See, die Arbeit in der freien Natur, bei jedem Wetter, haben ihn geprägt, bis heute. Davon brachte den Menschenfreund Skibbe, der die Staats– und Parteipolitik in der DDR eher kritisch beäugte, auch die politische Arbeit in der Neubrandenburger CDU nach der friedlichen Revolution 1989 nicht ab. Nebenher schrieb er schon immer. Die Geschichte der Fischerei hat er mehrfach thematisiert, unter anderem in dem Band „Fischerleben im Wandel der Zeit“.  

Gedicht für die Fischer

Dass Gerd Skibbe bis heute vom Fischen auf dem See träumt, immer in Schwarz–Weiß, weiß auch Ingrid, seine zweite Frau. Leise rezitiert sie ein Gedicht über den Tollensesee, das sie für ihren Gerd verfasst hat:

„Sechs Mann, zwei in jedem Boot,
mit dem heimlichen Verlangen,
viele schöne, große, edle Fische zu fangen,
ein jeder träumt so ganz für sich im Stillen,
die leeren Schweffs bis oben an zu füllen…“

Nur, was um Gottes Willen sind denn Schweffs?

Gerd Skibbe lacht: „Das ist ein Spezialbegriff für die Fischkammern auf den Booten.“ Ingrid trat wenige Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Erika im Jahr 2001 in sein Leben, der ihn tief getroffen hatte. Etliche Monate später reiste er nach Australien, wo sein zweiter Sohn schon arbeitete. Dort traf er Ingrid das erste Mal. Sie selbst sagt über ihre Biografie: „In Lettland hergestellt, aufgewachsen in Polen, erzogen in Nürnberg.“ Sie lebt bereits seit 1959 in Australien. 

Während Corona zweiten Band seines Romans geschrieben

„Ich verliebte mich wie ein sechzehnjähriger Bengel Hals über Kopf in Ingrid“, sagt er. 2004 heirateten beide und lebten die ersten beiden Jahre in Penzlin. „Das war die schönste Zeit in unserem Leben“, schwärmt die „Australierin“ von dieser Zeit in der Kleinstadt. Längst ist aber Melbourne der Lebensmittelpunkt des rüstigen Pärchens geworden. Vor fünf Jahren waren die beiden das letzte Mal in Neubrandenburg. Die Corona–Pandemie verhinderte einen früheren Besuch.

Dadurch fand Gerd Skibbe aber die Zeit, den zweiten Band seines Romans über den „Ordenspriester Dr. Jòse Carranza und seinen Sohn“ zu schreiben. Die Handlung spielt im 17. Jahrhundert. Die Vertreibung der Mauren, die den Fortschritt in vielen Bereichen, unter anderem in der Medizin nach Europa gebracht hatte, bildet den historischen Hintergrund. Carranza verlässt Frankreich und reist nach Deutschland, das im Zeichen der Reformation steht.

Religionsfreiheit und Toleranz, Flucht und Abschiebung sind Themen, die Gerd Skibbe bis heute bewegen. Mit dem Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen und die vielfache Intoleranz gegenüber dem Anderen, dem Fremden in Deutschland zeigt sich Skibbe besorgt: „Deutschland sollte eigentlich ein Land sein, das aus seiner Vergangenheit gelernt hat.“

Letzte Geheimnisse preisgeben

Gerd Skibbe wäre nicht Gerd Skibbe, wenn er die zweieinhalb Monate in der alten Heimat nur auf der faulen Haut liegen würde. Im August und September wird er in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Neubrandenburg–Broda vier öffentliche Lichtbilder–Vorträge als „Fischer vom Tollensesee“ halten.
Zum „Fischer vom Tollensesee — vor der Wende“
(10. August und 7. September)
sowie „Fischer vom Tollensesee — im Chaos der Wendezeit“ (17. August und 14. September, Beginn jeweils 18.30 Uhr).

Warum er sich das mit über 90 noch antut? Skibbe lacht: „Ich wollte nicht sterben, ehe ich meine letzten Geheimnisse preisgebe.“