Heimatgeschichte
Wie ein LPG-Chef die DDR-Landwirtschaft aufbaute
Gültz / Lesedauer: 6 min

Frank Wilhelm
Am Ende eines langen Gesprächs holt Gerhard Bolinski noch einen Stapel Schwarz-Weiß-Fotos heraus. „Die sind alle vom Erntefest der DDR 1989 in Burow“, sagt er und strahlt. Zu sehen sind Prominente aus dem ehemaligen Bezirk Neubrandenburg, so der Langzeit-Vorsitzende der SED-Bezirksleitung Johannes Chemnitzer, viele fröhliche Menschen, die prächtige Kühe bei der Tierschau bestaunen, sowie Wagen im Umzug, in dem sich die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der Region Altentreptow präsentieren: Die LPG „Aktivist“ Ludwigshöhe, die LPG „Einheit“ Golchen und natürlich die Gastgeber von der LPG „Thomas Müntzer“ in Burow.
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„Lust und Laune unter der Erntekrone. Ein großes Fest der Freude vor dem 40. Jahrestag unserer Republik. So feiern Mecklenburger Bauern und ihre Gäste aus nah und fern“ titelte die „Freie Erde“ am 25. September 1989 nach der zweitägigen Veranstaltung, zu der laut der Tageszeitung 10.000 Besucher in das Dorf an der Fernverkehrsstraße 96 strömten. Der Betrachter der Bilder reibt sich verwundert die Augen. Im September 1989 war der Exodus aus der DDR in vollem Gang. Im Land gab es erste öffentliche Proteste. Wenige Wochen später brach die DDR zusammen.
Funktionärsriege im Festumzug
Doch wer konnte das Ende September in Burow ahnen? Wohl erst recht nicht die Funktionärsriege im Festumzug – neben Chemnitzer der in Dargun und Malchin aufgewachsene Vize-Ministerpräsident Werner Krolikowski oder die aus Kotelow bei Friedland stammende Margarete Müller, damals Kandidatin des SED-Politbüros.
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Gerhard Bolinski war seinerzeit Kreissekretär der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), einer Massenorganisation für die Landbevölkerung in der DDR. In den 30 Jahren zuvor hatte er verschiedene Funktionen in LPG und KAP (Kooperative Abteilungen Pflanzenproduktion) ausgefüllt.
Schon als Kind Pferde gehütet
Seine erste Leitungsfunktion noch als junger Mann erfüllt ihn bis heute mit Stolz. Mit nur 26 Jahren wurde Gerhard Bolinski Anfang 1965 Vorsitzender der LPG „Glückauf“ in Gültz. Sein Lebenslauf ist typisch für viele Menschen seines Jahrgangs im Nordosten. Geboren wurde er 1938 in den Masuren in Ostpreußen, von wo aus seine Eltern zum Ende des Zweiten Weltkriegs wie Zehntausende flohen. Die Familie strandete in Gültz, bekam zehn Hektar Bodenreformland zugewiesen. Bolinski war es gewöhnt, auf dem Hof der Eltern zu helfen. Er kümmerte sich um die Pferde. In Gültz bekamen die Flüchtlinge erst einmal eine Kuh zugewiesen. „Lise hieß sie. Sie gab Milch, wurde aber auch für leichte Arbeiten eingesetzt.“ 1948 bekamen die Bolinskis ein Fohlen, das sie „Laura“ tauften. Später sollte das Pferd die Arbeit auf dem Acker erleichtern. „Der Hof hatte Vorrang für mich. Die Schule kam erst an zweiter Stelle“, sagte Bolinski.
Trotzdem schlug er sich in der Schule wacker. Er machte sein Abitur in Loitz. Natürlich hätte es der Vater gerne gesehen, wenn der Sohn auf dem Hof eingestiegen wäre. Er legte ihm aber auch keine Steine in den Weg, als er Landwirtschaft in Rostock studieren wollte. Das Leben auf dem Dorf blieb für die Bauern schwer. Die politischen Verhältnisse und die beginnende Kollektivierung in der Landwirtschaft sorgten dafür, dass viele Mittelbauern in den Westen flohen. „Die Flächen wurden an andere Bauern verteilt“, sagt Bolinski. Doch viele Neubauern kamen gerade so über die Runden. Die „schwächsten Bauern“, so Bolinski“, gründeten schließlich 1953 in Gültz die LPG „Glückauf“. „Mein Vater wollte anfangs nicht. Er kam gut zurecht mit seinem Land.“ Erst ein Jahr später trat sein Vater der Genossenschaft bei.
Disteln auf bestem Land
Gerhard Bolinski blieb Gültz immer verbunden, bis heute. Von Rostock aus verfolgte er die Entwicklung in der Heimat. „Die LPG Gültz war immer mit die schlechteste im Kreis Altentreptow. Ständig wechselten die Vorsitzenden“, erinnert er sich. Bolinski kann sich noch gut an einen Brief seines Vaters 1964 erinnern, in dem der dem Sohn die schwierige Situation in der LPG schilderte. Er legte ihm nahe, sich zu überlegen, das Ruder zu übernehmen. Die Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises gab grünes Licht.
Zunächst arbeitete Bolinski als Assistent unter dem kommissarischen LPG-Vorsitzenden. Mit Fahrrad und später dem Motorrad machte er sich ein Bild von der Genossenschaft: 800 Hektar, Milchkühe, Schweine, Eierproduktion, Puten und Enten, mehr als 100 Beschäftigte. „Mir war klar, dass sich die LPG auf bestimmte Schwerpunkte konzentrieren musste.“ Aber wie sollte sich der erst 26-Jährige gegenüber den vielen erfahren Bauern durchsetzen? Bolinski entdeckte bei seinen Touren über die Flächen der Genossenschaft knapp 20 Hektar „bestes Land, das von Disteln zugewuchert war“. Seine Diplomarbeit hatte er zum Thema Grünland geschrieben. Nun machte er sich an die praktische Umsetzung: Pflügen, Grunddüngung, Kalken und Grünsaat, das ganze Programm. „Es klappte. Und der Erfolg sprach sich rum.“
Wunder des Persischen Klees
Nun hatte er auch einen Namen bei den „Beschleunigern in der SED-Kreisleitung“, wie Bolinski sagt. 1965 übernahm er das Ruder in der LPG. Enten und Puten wurden abgeschafft. Eines der größten Probleme sei der Futtermangel gewesen. Aber Bolinski kannte den besten DDR-Futtermittel-Wissenschaftler, der mit einer neuen „Wunderpflanze“, dem Persischen Klee experimentierte. „Den wollte keiner im Bezirk, unser Futtermeister hat aber eine Mischung produziert. Als es auf dem Acker lila blühte, war das für uns wie ein Weltwunder.“
Trotzdem blieben die Jahre 1965, 1966 schwer für die LPG. „Wir waren überschuldet.“ Die Lösung brachte die Ferkelaufzucht, mit der die Gültzer 1968 begannen. Bolinski trennte sich von Milchkühen, ließ Ställe rekonstruieren und setzte auf die Produktion von Läufern, die an Mastbetriebe verkauft wurden. „Das Geschäft lohnte sich. 1970 haben wir schon mehr als 2000 Läufer verkauft.“ Die Leistung wurde Anfang der 1970er-Jahre schnell gesteigert. „Zu dem Zeitpunkt kamen wir aus den Schulden raus, verdienten Geld“, sagt Bolinski.
Zwölf Jahre war er LPG-Vorsitzender. Dann setzte die Landwirtschaftspolitik der DDR auf noch größere Einheiten. Die KAP wurden gegründet, Bolinski wurde Chef. „Aus Gültz wollte ich aber nie weg.“