Stadtvertretung
Wie viel Verschwörungstheorie verträgt die Lokalpolitik?
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Henning Stallmeyer
Redefreiheit nennen es die einen, Verschwörungstheorien die anderen. In der Neubrandenburger Stadtpolitik ist eine Diskussion entstanden: Was dürfen Lokalpolitiker in der Ratsversammlung alles sagen?
Stadtvertreter spricht über Merkwürdigkeiten
Ausgangspunkt der Diskussion war ein Redebeitrag von Kurt Kadow (Bürger für Neubrandenburg). Beim 6. Tagesordnungspunkt der jüngsten Sitzung erhob er sich von seinem Platz, schritt zur Bühne und machte das Mikrofon redebereit. Was dann folgte, waren Ausführungen über einige Minuten, bei denen manche Stadtvertreter den Kopf schüttelten, andere stellten sogar einen Antrag zur Geschäftsordnung, um das zu unterbinden.
Kurt Kadow sprach über sogenannte Chemtrails und über den angeblichen „Unfug“ des menschengemachten Klimawandels. Darüber, dass der Mensch keinerlei Einfluss auf die CO2-Erhöhung in der Atmosphäre habe und dass Chemtrails seiner Auffassung nur über Deutschland zu sehen seien. Das sei doch merkwürdig. Er wollte den Tagesordnungspunkt „Informationen, Anfragen, Mitteilungen“ nutzen, um seine Kollegen über dieses Thema zu informieren, sagte er im Anschluss dem Nordkurier. „Viele wussten das vielleicht noch nicht."

Manche Menschen sind der Auffassung, dass es sich bei Kondensstreifen am Himmel um sogenannte Chemtrails handelt – also gezielt in die Atmosphäre eingebrachte Chemikalien, die das Klima beeinflussen und möglicherweise vergiften sollen. Ein Hauptindiz dafür sei, dass man die weißen Streifen auch an sonst wolkenlosem Himmel sieht. Und das auch nur bei manchen Flugzeugen.
Sitzungsleiter entzog Kadow das Wort
Allerdings gibt es für das Phänomen, das gemeinhin als Verschwörungstheorie gilt, eigentlich eine einfache physikalische Erklärung. Damit sich Kondensstreifen bilden, muss die Luft weit weniger mit Feuchtigkeit gesättigt sein als für die in ähnlicher Höhe charakteristisch auftretenden natürlichen Wolken. Die Übersättigung für die Bildung von Kondensstreifen liegt mit 20 Prozent deutlich niedriger. Daher kann es passieren, dass sich Kondensstreifen an sonst blauem, wolkenlosem Himmel bilden. Außerdem stoßen modernere Flugzeuge kühlere Abgase aus als ältere. Sie hinterlassen also keine Kondensstreifen mehr.
Richtig weit kam Kurt Kadow mit seinen Ausführungen indes nicht. Sitzungsleiter Roman Oppermann (SPD) entzog Kadow nach rund drei Minuten das Rederecht, nachdem Mitglieder der CDU/FDP einen entsprechenden Antrag an die Geschäftsordnung gestellt hatten.
Ein Unding, wie Kadows Fraktionskollege Hans-Jürgen Schwanke findet: „Das war nicht anständig vom Stadtpräsidenten.“ Klar sei das Thema, zu dem Kurt Kadow an diesem Tag sprach, schwierig gewesen, dennoch hätte es der Anstand geboten, ihn ausreden zu lassen. „Das müssen wir aushalten in einer Demokratie. Wenn einem das Thema nicht passt, kann er danach gerne Stellung nehmen, aber erst einmal muss man ihn reden lassen“, empörte sich Schwanke. Für ihn sei die Unterbrechung ein abschreckendes Beispiel gewesen. Schließlich seien alle Stadtvertreter im Ehrenamt tätig, da überlege der ein oder andere vielleicht, ob er sich engagiert, wenn er so behandelt wird.
"Debatten nur zu Neubrandenburger Themen"
Roman Oppermann, stellvertretender Stadtpräsident, der in Abwesenheit von Jan Kuhnert die Sitzung leitete, sah das anders. „Ich habe hier eine Geschäftsordnung der Stadtvertretung. Diese schreibt klipp und klar vor, dass Debatten zur Sache geführt werden sollten“, sagte er noch während der Sitzung. Dafür signalisierten ihm viele Ratsmitglieder Zustimmung, indem sie auf ihre Tische klopften. „Wir können gerne zwischenmenschlich über das Thema kommunizieren, aber hier, in diesem Saal, wollen wir zur Stadt Neubrandenburg beraten“, sagte Oppermann. Er würde jederzeit wieder so entscheiden, sagte er dem Nordkurier.
Sein Kollege Rainer Kirchhefer, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sah es etwas lockerer. „Natürlich kann der Sitzungsleiter hier auch eingreifen, wenn ein Redebeitrag ausufert.“ Er würde sich jedoch generell eine zeitliche Begrenzung von Redebeiträgen wünschen. Dann würden einige Ratsmitglieder womöglich zweimal darüber nachdenken, womit sie ihre Zeit füllen, meint Kirchhefer. Dass die Redefreiheit von Kurt Kadow eingeschränkt wurde, das sehe er nicht so eng. Man könne alles überall sagen, aber es müsse im richtigen Rahmen stattfinden. Generell würde er es begrüßen, wenn Beiträge immer einen kommunalen und lokalen Bezug hätten. „Wir reden hier über Neubrandenburg und nicht über Weltpolitik“, stellte Kirchhefer klar.
Kurt Kadow hat inzwischen offiziell Beschwerde beim Stadtpräsidium eingereicht und erwartet eine Begründung, warum ihm das Rederecht entzogen wurde.