Premiere

„Vanessa” bietet ungewohnte Opernkost aus der „Neuen Welt“

Neustrelitz / Lesedauer: 3 min

Samuel Barber erzählt mit „Vanessa“ eine Liebesgeschichte voller Schmerz und dunkler Geheimnisse. Die Musik stellt Orchester und Sänger vor große Herausforderungen.
Veröffentlicht:29.01.2023, 20:17
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Von:
  • Author ImageFrank Wilhelm
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In der Regel spielt das Orchester bei einer Oper im Graben eine unsichtbare Rolle. Bei der Premiere der „Vanessa“ am Samstagabend im Landestheater Neustrelitz war das anders: In der ersten Szene nach der Pause, die Verlobungsfeier von Vanessa und Anatol, eilten einige Instrumentalisten über die Bühne, als seien sie auf der Suche nach ihrem Platz.

Zum Schlussapplaus bat Dirigentin Maria Badstue etliche Musiker mit auf die Bühne. Dadurch bekam die Philharmonie Neubrandenburg bei einer Musiktheateraufführung endlich ein Gesicht. Verdientermaßen!

„Diese Oper ist wie eine wilde Bestie”

Erneut leisteten die Musiker Großartiges, zumal die Musik der Oper von Samuel Barber, 1958 uraufgeführt an der New Yorker Metropolitan Opera, gewaltig und modern daherkommt. Das Stück sei wie „eine wilde Bestie“, sagt Maria Badstue, „überwältigend in all ihrem Reichtum und ihrer Schönheit“.

Wer die Augen schloss, fühlte sich wie im Kino, als höre man die Musik eines dramatischen Films. „Das ist echt Hollywood“, sagt der Intendant der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz, Sven Müller, der die Oper wie einen Hitchcock-Thriller inszenieren wollte. Der Plot jedenfalls ist Hollywood pur: Vanessa wartet seit 20 Jahren auf ihre große Liebe Anatol. Neben den Bediensteten leisten ihr allein Nichte Erika Gesellschaft sowie ihre Mutter, die alte Baronin, die seit Jahren nicht mehr mit der Tochter spricht, weil sie deren vergebliches Warten auf den einstigen Geliebten nicht gutheißt. Jede der Frauen scheint ein unausgesprochenes Geheimnis zu hüten.

Der Boden für Liebe, Schmerz und Eifersucht ist bereitet

Doch dann kündigt sich in einer stürmischen Nacht Männerbesuch an. Ist es Anatol? Nein, aber sein gleichnamiger Sohn. Der verführt gleich in der ersten Nacht Erika, um kurze Zeit später Vanessa den Kopf zu verdrehen. Der Boden für Liebe, Schmerz und Eifersucht ist bereitet. „Liebe mit einem bitteren Kern“, wie es in einer Arie heißt. Wer bei „Vanessa“ melodiöse Harmonien aus dem Repertoire europäischer Opern-Klassiker erwartet, könnte enttäuscht sein.

„Barber ändert die Emotionen und Richtungen in der Musik in vielen Fällen ziemlich abrupt“, sagt die Dirigenten Badstue. Jeder Musiker und jeder Sänger müsse „sinnbildlich auf der Kante des Stuhls“ sitzen. Das meistert das Ensemble in der Tat sehr gut und schafft damit neue, spannende Klangwelten für den Zuhörer.

Sängerinnen der Erika und Vanessa ragen heraus

Unter den Sängern ragen Yvonne Friedli als Vanessa und Anna Matrenina als Erika heraus. Zwischen den beiden Frauen stehend und mit ihren Gefühlen spielend überzeugt Eric Fennell als Anatol. Herausragend Robert Merwald als der alte Arzt, der sich in einer der wenigen heiteren Szenen der Oper, der Verlobungsfeier, als komischer Trunkenbold präsentiert.

Auch wenn sie aufgrund ihrer Schweigsamkeit wenige Gesangspartien hat, beeindruckt Julia Grote als Baronin mit ihrer Bühnenpräsenz. Wie das schlechte Gewissen wacht sie in der düsteren Atmosphäre des Landhauses, ersonnen von Ausstatterin Rikke Juellund, über Vanessa und Erika.

Diese Inszenierung verdient mehr Besucher

Sven Müller lebte ab seinem 13. Lebensjahr einige Jahre in den USA, spielte dort Geige und lernte das moderne Musiktheater der „Neuen Welt“ kennen. Ihm ist bewusst, mit der eher unbekannten „Vanessa“ ein Risiko einzugehen. Leider gaben ihm bei der Premiere einige Lücken in den Zuschauerrängen recht. Aber, und da ist Müller zuzustimmen: „Verdient hat das Stück ein großes Publikum.“

Nächste Aufführungen: 18. Februar, 17. März jeweils um 19.30 Uhr

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