Lockdown trennt Familien

„Wenn Frau Schwesig eine Mauer um MV baut, würde ich sie durchbrechen”

Neustrelitz / Lesedauer: 4 min

Die Corona-Pandemie zerreißt auch die Kernfamilien. Hier berichten zwei Fortgezogene über die vielen Hindernisse beim Versuch, ihre Eltern in Mecklenburg-Vorpommern zu besuchen.
Veröffentlicht:27.04.2021, 18:16

Von:
  • Simon Voigt
Artikel teilen:

Der immer wieder verlängerte Lockdown hält schon seit Wochen Familien auf Abstand. Wer nach Mecklenburg-Vorpommern einreisen will, der braucht aktuell einen „triftigen Grund”, so sieht es die Corona-Landesverordnung vor. Die Polizei kontrolliert das auch, immer wieder werden Menschen an der Landesgrenze abgewiesen. Der Besuch bei der sogenannten „Kernfamilie”, ein Begriff, der gleich zu Beginn der Pandemie in Deutschland eingeführt wurde, gilt zwar als eine dieser Ausnahmen, doch in der Realität ist das alles nicht so einfach.

Der Nordkurier verschickt einmal pro Woche den „Heimweh-Newsletter”, der sich an die Menschen richtet, die den Nordosten in den vergangenen Jahren verlassen haben, der Region aber weiter ihre Treue halten wollen. (Weiter unten steht, wie Sie ihn bestellen können.) Einige Leser haben dort beschrieben, wie sich die Corona-Maßnahmen auf ihr Familienleben auswirken. Ministerpräsidentin Schwesig sprach zuletzt von den „härtesten Reisebeschrönkungen” deutschlandweit.

„Wozu gibt es eigentlich Corona-Tests?”

Ein Leser war richtig sauer. “Die ganze Situation ist unbefriedigend und unseren Politikern fällt nur noch Schwachsinn ein”, schrieb uns Lutz Karstädt. Seit 30 Jahren lebt Karstädt mit seiner Frau in Rheinland-Pfalz und wollte eigentlich im Mai die Familie in MV besuchen. Doch das ist nun ganz schön schwierig. “Meine Frau und ich waren zuletzt im Mai 2020 in der alten Heimat, meine Tochter hat ihre Großeltern zuletzt 2019 gesehen. Da sie als Krankenschwester tätig ist, hatte sie wenig Zeit zu reisen”, so Karstädt. “Jetzt darf ich also, da Schwiegereltern ja nicht zur Kernfamilie gehören, meine Schwiegereltern nicht besuchen und meine Frau nicht ihre Schwiegermutter.”

Ihre Tochter darf schon gar nicht zu den Großeltern mitkommen, denn sie lebt in einem anderen Haushalt. Und so kommentiert Karstädt sarkastisch: “Wir können sie solange an der B96 aussetzen, da ja zwei Haushalte nicht einen weiteren besuchen dürfen.” Er fragt sich: “Wozu gibt es eigentlich Tests und Kontaktnachverfolgung?” Es gibt viel Unverständnis, warum trotz der vielen Vorsichtsmaßnahmen solche Familienbesuche nicht möglich sind.

Weihnachten flossen viele Tränen

Das ist nur eine von vielen Geschichten dieser Pandemie. Eine weitere hatte Sieglinde Pultz aufgeschrieben, die heute in Berlin-Lichtenberg wohnt.

Ihre Eltern leben in Neustrelitz und sind 88 und 84 Jahre alt. Eine Tante (84) habe sie dort auch und eine weitere Tante in Rostock (83). „Die habe ich zuletzt im August 2020 gesehen. Und meine Tante in Neustrelitz? Ich weiß es gar nicht mehr, wann. Es muss sehr lange her sein.” Ihre Eltern hatte sie zuletzt im Oktober 2020 gesehen. „Ist das nicht schlimm? Übrigens, zum ersten Mal im Leben waren wir, meine Kinder und Oma und Opa zu Weihnachten alle alleine. Es gab viele Tränen”, schrieb Sieglinde Pultz.

„Ich wollte warten, bis meine Eltern geimpft sind, einfach zu ihrer Sicherheit.” Sonst sei ihr ein Besuch zu gefährlich gewesen, weil sie in Berlin arbeitet. Ihre Schwester hatte sich um eine Corona-Schutzimpfung für die Tante bemüht, nun habe sie ihre Erstimpfung. „Meine Eltern haben jetzt beide Impfungen. Also endlich einen Plan, wir wollen nun doch fahren.”

Abends lese sie oft die Nachrichten, dass Mecklenburg „zugemacht” habe. „Was blieb? Am nächsten Tag nur der Anruf, dass wir eigentlich kommen wollten. Eigentlich sollte es eine Überraschung sein und nur meine Schwester wusste Bescheid.” Die Infektionszahlen seien zu dieser Zeit unwahrscheinlich hoch gewesen. „Es war immer nur die Vernunft, die uns abgehalten hat, zu fahren.”

Sie würde „natürlich durchkommen” nach Neustrelitz, betont Sieglinde Pultz. Doch wie würde sie bei einer Kontrolle beweisen, dass sie zur Kernfamilie fahre? Diese Frage würde sie sich oft stellen. „Wenn es meinen Eltern schlecht gehen täte, würde ich natürlich sofort hinfahren”, sagt die Tochter in Berlin. Und sie fügt mit einem ironischen Zwinkern hinzu: „Würde Frau Schwesig eine Mauer bauen um Mecklenburg-Vorpommern, würde ich einen 'Grenzdurchbruch' machen. Da würde auch meine Vernunft aussetzen. ;-)"

Was ist erlaubt, was ist verboten? Hier sind die offiziellen Corona-Reiseregeln des Landes Mecklenburg-Vorpommern.