Interview zum Valentinstag

Eine Partnerschaft ohne Konflikte gibt es nicht

Neustrelitz / Lesedauer: 6 min

Über den Valentinstag und wie es um Beziehungen in schweren Zeiten bestellt ist, sprach Tobias Lemke mit dem Neustrelitzer Paartherapeuten Marc Borries.
Veröffentlicht:14.02.2021, 08:28
Aktualisiert:06.01.2022, 21:37

Von:
  • Author Imagedpa
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Ist der Valentinstag nur überflüssiger Unfug, der aus Amerika herübergeschwappt ist oder doch eine gute Gelegenheit, um die Partnerschaft zu pflegen?

Alle Rituale sind Erfindungen ihrer Zeit. Das Wunderbare ist, dass wir Menschen frei sind zu entscheiden, was und wie viel sie uns bedeuten. Tatsächlich kann der Valentinstag uns die Möglichkeit geben, innezuhalten und wieder einander mehr wahrzunehmen. Er kann uns erinnern, dass Beziehungen gelebt und gestaltet werden wollen, damit sie ihre Kraft behalten. Heute wissen wir, dass Menschen ja von der Geburt an bis ins hohe Alter vor allem Beziehungswesen sind. Auch wenn ich selbst versuche, jeden Tag zu einem Beziehungstag zu machen, gelingt mir dies selbstverständlich nicht immer. Das darf auch so sein.

Wie kann so ein Innehalten am Valentinstag funktionieren?

Der 14. Februar kann für uns wie der Neujahrstag der Liebe sein, an dem wir uns fragen, wie war eigentlich unser letztes Beziehungsjahr, was wünsche ich mir, aber vor allem: Was möchte ich bewahren und was möchte ich ändern. Manchmal bringe ich meine Gedanken und Gefühle auch zu Papier. Eine Blume und ein Brief auf dem Altar der Liebe kann eine wunderbare und berührende Geste sein.

Die Liebe zum Partner sollte aber nicht nur an einem Tag hochgehalten werden. Wie ist das auch im Alltag gut zu schaffen?

Es ist natürlich, nicht jeden Tag in der gleichen Intensität mit unseren Partnern in Beziehung zu sein. Leichte Schwankungen können ein gutes Zeichen dafür sein, dass wir in einer guten Beziehung zu uns selbst sind. Es bedeutet oft, dass wir uns auch Zeit und Raum für die eigenen Bedürfnisse nehmen. Interesse, Leichtigkeit und Liebe können wir auf Dauer nur geben, wenn es uns selbst gut geht. Das ist die eine Seite. Darüber hinaus braucht eine Partnerschaft gemeinsame Zeit und Raum in entsprechender Qualität, ohne Störung durch Smartphone, Fernsehen oder andere Familienmitglieder. Zeit zu finden, um einander wahrzunehmen, einen Tag und eine Zeit zu vereinbaren, um zu erfahren, wie es dem anderen geht und was ihn oder sie beschäftigt, schafft eine Verbindung vor allem in schweren Zeiten.

In solchen befinden sich derzeit ja viele Menschen. Familie, Beruf und Partnerschaft unter einen Hut zu bringen, ist aktuell eine große Herausforderung. Ist Ihr Rat als Paar- und Familientherapeut in letzter Zeit besonders gefragt?

In Familien und bei Paaren ist das Thema Corona Auslöser vieler existenzieller Erschütterungen. Hausunterricht der Kinder, während ihre Eltern arbeiten; Partner, die Ihr Geschäft schließen mussten oder ihren Arbeitsplatz verloren haben; Eltern oder Großeltern in Pflegeheimen, die ihre Liebsten nicht sehen konnten; Beerdigungen, in denen sich nicht angemessen getröstet werden konnte; Kindergeburtstage ohne Gäste. Wie in allen Zeiten großer gesellschaftlicher Krisen wirken diese tief hinein in die persönlichen Beziehungen. Hier stellt sich zunehmend die Frage, ob es gelingt, Verständnis für unterschiedliche Lebensumstände und Meinungen wieder zu entwickeln, Beziehungen und Gemeinschaften wieder miteinander aufzubauen.

Paare wiederum „hocken“ förmlich aufeinander. Zwischen Näheschock und der Neuentdeckung des Partners sind beide Enden der Skala denkbar. Die Deutschen sollen ja wieder mehr Sex haben, anderseits sei die Anzahl der Scheidungen ansteigend. Führte die Pandemie bei Paaren zu mehr Zweisamkeit oder zu Zwist?

Wie Sie richtig vermuten, lässt sich das nicht pauschal beantworten. Wenn sich die Umstände ändern, wie es gegenwärtig der Fall ist, funktionieren die alten Routinen, Absprachen und Lösungen oft nicht mehr. Während Paare früherer Generationen überwiegend wenig oder gar nicht gleichberechtigt waren, erfordert das heutige Bedürfnis nach einer Partnerschaft auf Augenhöhe eine viel größere Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit. Diese Fähigkeiten sind historisch betrachtet eine eher neue Aufgabe für Paare und gerade in der heutigen Zeit brauchen wir eine wertschätzende Kommunikations-, Diskussions- und Streitkultur.

Jede Partnerschaft ist von Höhen und Tiefen gekennzeichnet – der Streit gehört sicher dazu. Wie lassen sich Krisen in der Partnerschaft meistern?

Lieben bedeutet immer auch lernen. Im Grunde ist niemand bereit für eine Beziehung, wenn sie beginnt. Wir werden erst Schritt für Schritt reif füreinander. Konflikte in der eigenen Partnerschaft sind natürlich. Eine Partnerschaft gibt es nicht ohne Konflikte, so wie es Lernen nicht ohne Misslingen, und Kommunikation nicht ohne Missverständnisse gibt. Die große Angst vor Konflikten kann uns sogar völlig ohnmächtig, erstarren und verzweifeln lassen und daran hindern, offen und neugierig an Meinungsverschiedenheit heranzugehen. Hinzu kommt, dass Konflikte zumeist versteckte Bedürfnisse und Entwicklungsaufträge enthalten. Sie sind die eigentliche Chance zur Veränderung. Werden Konflikte jedoch unterdrückt, statt sie zu klären, hat das schwere Folgen. Entweder explodieren die Partnerschaften in schweren Streits oder sie implodieren zu Gefühlstaubheit, innerer Leere und die Liebe verschwindet.

Gibt es denn so etwas wie einen Leitfaden fürs richtige Streiten?

Eine Eskalation beginnt nicht selten, wenn wir beginnen, darüber zu streiten, wer was gesagt hat. Spätestens jetzt sollte das Gespräch eine Pause bekommen. Eine Kommunikation, die offenbar nicht mehr funktioniert, lässt sich nicht dadurch reparieren, dass man noch mehr kommuniziert. Ein laufender Streit lässt sich oft beenden, wenn man aufhört zu argumentieren und einfach sagt, was man sich tief im Herzen wünscht.

Wie wichtig ist die Versöhnung danach und wie sollte diese aussehen?

Verantwortung übernehmen. Eine ehrliche Entschuldigung, vielleicht ein Benennen des eigenen Irrtums, verbunden mit Berührung, haben mehr Kraft als alle Blumensträuße zusammen. Es ist nicht wichtig, wie groß der eigene Anteil am Streit war. Eine Entschuldigung ist – wie die Liebe selbst – etwas, das man nur geben, aber nicht fordern kann.Wir leben in einer Kultur, in der sich zu entschuldigen als Schuldeingeständnis und damit als Versagen gedeutet wird. Was dann wie Stolz oder Sturheit erscheint, entsteht eigentlich aus Scham, aus Angst vor Abwertung und Ablehnung. Sich zu entschuldigen, bedeutet aber etwas völlig anderes. Sich zu entschuldigen, bedeutet: Ich sehe Dich. Ich erkenne Dich. Mir ist es wichtig, dass es Dir gut geht. Sich ehrlich zu entschuldigen, ist immer ein Ausdruck der Liebe.

Wie können Sie Paaren helfen?

Paartherapien sind so verschieden wie die Paare, die zu uns kommen. Keine Sitzung gleicht der anderen und entspricht zutiefst den Persönlichkeiten der Partner, ihren Erfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen. Schließlich haben beide Partner auf ihrer gemeinsamen Reise bereits viel überwunden und miteinander erreicht. Was das bedeutet, wird den Paaren oft erst in der Paartherapie wirklich bewusst. In einer Paartherapie unterstützen wir dabei, sich selbst besser zu verstehen, die eigenen Worte zu finden. Paartherapeuten dienen auch als Übersetzer. Gemeinsam entdecken wir verborgene Muster und Unsicherheiten, unbekannte Fähigkeiten und verschüttete Bedürfnisse. Zusammen finden wir wieder neue Wege zur eigenen Kraft, zur Leichtigkeit und zum Lachen aus ganzem Herzen.