Ausstellung mit Zeitzeugen
Ex-Häftlinge aus dem Stasi-Knast Neustrelitz gesucht
Neustrelitz / Lesedauer: 3 min

Susanne Böhm
Es genügte, einen Ausreiseantrag zu stellen, um in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Neustrelitz zu landen – zusammengepfercht mit Mithäftlingen, mit einem Eimer als Gemeinschaftstoilette, kaum Tageslicht, kaum Frischluft und Gefängnis-Personal, das darauf geschult war, Menschen psychisch zu zersetzen. Diese Leidtragenden der DDR-Diktatur sollen nicht in Vergessenheit geraten.
Eine neue Dauerausstellung soll an die Schicksale der Neustrelitzer Häftlinge erinnern. Darum sucht der Verein „Erinnerungsort Stasi-Untersuchungshaftanstalt Töpferstraße“ Zeitzeugen, die bereit sind, ihre Geschichte zu erzählen. 25 Interviews sind geplant – vorwiegend mit ehemaligen Häftlingen, aber auch mit einstigen Mitarbeitern, erklärt die Berliner Historikerin Julia Reichheim, die ab Ende März die Gespräche führen wird.
Toiletten-Eimer nur ein Mal am Tag geleert
Mit 20 Personen gab es Vorgespräche, vier Interview-Termine stehen fest, sechs sind geplant, es werden aber noch weitere Gesprächspartner gesucht. Vor allem ehemalige Gefängniswärter seien sehr schwer dazu zu bewegen, über ihre Eindrücke aus den Jahren 1953 bis 1989 zu sprechen. „Wir gehen ganz offen in die Gespräche, ohne wertende Haltung. Wir wollen den Zeitzeugen so objektiv wie möglich Raum geben, ohne zu interpretieren“, sagt Julia Reichheim.
Zu den ersten Interviewpartnern gehört ein heute in Hamburg lebendes Ehepaar. Beide waren zeitgleich in getrennten Zellen in Neustrelitz inhaftiert. „Besonders schlimme Erinnerungen haben sie an die Haftbedingungen. Es war ein sehr altes Gefängnis. Mehrere teilten sich eine Zelle, durch Glasbausteine als Fenster war es sehr dunkel und stickig. Der Kübel, der als Toilette diente, wurde nur ein Mal am Tag geleert. Das Ehepaar erinnert sich an beißenden Gestank. Sie wurden schikaniert ohne Ende. Jeder Häftling bekam zum Beispiel nur ein Blatt Toilettenpapier pro Tag“, berichtet Julia Reichheim aus den Vorgesprächen mit den damals Inhaftierten.
Nach Isolation auf die Vernehmung gefreut
Das andere Extrem sie die Isolation gewesen. „Wenn sie jemanden weich kochen wollten, kam er wochenlang in Einzelhaft. Er wusste nicht, wo er ist, bekam eine Nummer, keinen Namen. Nicht einmal die Schließer haben mit ihm gesprochen“, erklärt Michael Körner vom Erinnerungsort-Verein. „So absurd es klingt – manche haben sich auf ihre Vernehmung gefreut, weil sie dann endlich mit jemandem sprechen konnten“, sagt Julia Reichheim.
Die Interviews werden aufgezeichnet, transkribiert und für die Ausstellung aufgearbeitet. Diese soll Schüler und andere Besucher daran erinnern, wie wichtig Demokratie ist, sagt Michael Körner. „Die Schicksale der früheren Häftlinge müssen als wichtige Zeitdokumente der Nachwelt erhalten bleiben, um den kommenden Generationen die Auseinandersetzung mit Diktatur und Repression zu ermöglichen.“ Ende 2020 soll die Dauerausstellung fertig sein.
Zeitzeugen, die an dem Projekt mitwirken möchten erreichen Julia Reichheim unter den Telefonnummern 0176/83058698 oder 030/49968378 oder per E-Mail an [email protected]. Per Post ist die Historikerin zu erreichen unter: Julia Reichheim, Brüsseler Straße 20, 13353 Berlin.