Navigation

Forscher zirkeln Schiffe in die Schleuse – auch ohne Kapitän

Neustrelitz / Lesedauer: 5 min

Um Präzision und Sicherheit geht es beim autonomen Fahren – künftig auch auf Wasserstraßen. Denn Schiffe könnten bald viel mehr Güterverkehr aufnehmen.
Veröffentlicht:10.08.2022, 14:39

Von:
  • Author ImageSusanne Schulz
Artikel teilen:

Das Schiff ist 11,40 Meter breit, die Schleuse gerade mal 12 Meter. Sich dort hinein zu fädeln, ist also Zenti-, gar Millimeter-Arbeit. Oder ein Fall für „SciPPPer”! Wobei der „Schiffsführer“ in diesem Fall ein Assistenzsystem ist: mit drei großen P für „precise point positioning“, lax gesagt punktgenaue Positionierung; und mit forscherischen Ursprüngen in Neustrelitz, am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Moment mal: Was hat das Schiff in der Schleuse mit Luft- und Raumfahrt zu tun? Sehr viel, vor allem mit dem DLR-Fachgebiet Satellitennavigation, die gerade auch in der Schifffahrt bedeutsam ist; erst recht mit den Forschungen zu maritimer Verkehrstechnik und maritimer Sicherheit am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation (IKN). Auf den Anspruch „Wissen für morgen“ verweist zudem Thoralf Noack, Koordinator der maritimen Forschung im DLR, wenn es um die Vision automatisierter und autonomer Schifffahrt geht: die Aussicht, menschliches Zutun zu minimieren, auf Binnenwasserstraßen ebenso wie in küstennahen Gewässern und auf hoher See.

Auf Spree-Oder-Wasserweg entsteht digitales Testfeld

Denn eine Entwicklung, die im Straßenverkehr schon recht gegenwärtig ist, wird und muss sich auch beim Gütertransport per Schiff vollziehen: die „Evolution“ von ersten Assistenzsystemen, die dem Fahrer Aufmerksamkeit erfordernde Aufgaben abnehmen, hin zum autonomen Vorgang. „Die unbemannte Schifffahrt wird irgendwann Realität sein“, ist Noack überzeugt. In Norwegen gebe es bereits Erprobungen auf einem etwa 30 Seemeilen langen Abschnitt, auf dem der Transport per Schiff rund 40.000 Lkw-Fahrten pro Jahr über Land ersetzen soll – mit beträchtlicher Wirkung für Kosten und Umwelt.

In Deutschland entsteht derzeit auf der Spree-Oder-Wasserstraße ein digitales Testfeld für die automatisierte und autonome Schifffahrt. Denn während auf hoher See immer genügend Satelliten für die Positionsbestimmung im „Sichtfeld“ vorhanden sind, wird die Empfangsgenauigkeit auf Binnengewässern immer wieder durch Bäume, Brücken oder Schleusen beeinträchtigt. Gerade dort aber ist sie um so wichtiger, um Kollisionen zu vermeiden.

Zusammenarbeit mit Unternehmen

Die Lösung liegt im Zusammenspiel von Satellitenempfang und Nahbereichssensorik, die Umgebungsdaten zentimetergenau analysiert und permanent aktualisiert. Und das DLR forscht eben daran, die Zuverlässigkeit solch multisensorischer Systeme zu erhöhen, erklärt Dr. Ralf Ziebold, Gruppenleiter am IKN. Gemeinsam mit Partnern aus Forschung, Wirtschaft und Industrie wurde so das Projekt SciPPPer verwirklicht, inklusive der eingangs beschriebenen Schleuseneinfahrt des so gut wie schleusenkammergroßen Fahrgastschiffs „Victor Hugo“.

Denn was zunächst in wissenschaftlichen Algorithmen untersucht wird, muss sich in der Praxis beweisen. „Wir können vieles simulieren, aber zur Realität bleibt immer noch ein erheblicher Unterschied“, weiß Noack. „Was wir zumeist nicht simulieren können, ist das Extremereignis, aber auch darauf wollen wir vorbereitet sein. Uns interessiert der Fehler.“

Dabei arbeitet das DLR mit Unternehmen zusammen, die entsprechende Systeme dann entwickeln und auf den Markt bringen. „Wir haben eine Vision, wo es hingehen kann“, sagt der Wissenschaftler. „Wie schnell sie umgesetzt werden kann, hängt aber letztlich nicht von uns ab.“ Sondern nicht zuletzt auch von regulatorischen Grundlagen, die es für die autonome Schifffahrt noch gar nicht gibt. Das dürfte sich deutschland-„intern“ für die eigenen Gewässer eher regeln lassen als im internationalen Rahmen, wo sich die Mitglieder der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO einig werden müssen.

Auf Wasser nur 7 Prozent Gütertransport

Auch technisch müssen für die unterschiedlichen Erfordernisse von maritimer, küstennaher und Binnenschifffahrt unterschiedliche Technologien entwickelt werden, verdeutlicht Ziebold. Der Bedarf jedenfalls wächst – und damit auch die Konkurrenz. Vor ein paar Jahren sei das DLR eine der ersten Forschungsstätten in Deutschland gewesen, die sich damit befasste. Jetzt habe es sich gerade an einer Ausschreibung beteiligt, in der sich sechs Konsortien „tummeln“; darunter das Duisburger Institut für Schiffstechnik und eine Initiative, die an der Kieler Förde autonomen Fährbetrieb verwirklichen will. Das DLR wiederum arbeitet mit einem berlin-brandenburgischen Konsortium an Konzepten zur Ver- und Entsorgung für eine Stadt wie Berlin auf dem Wasserweg.

Denn das sehr gute Wasserstraßennetz in Deutschland könnte viel mehr Verkehr aufnehmen, merkt Thoralf Noack an. Aktuell würden hierzulande nur etwa sieben Prozent der Güter auf Binnenwasserstraßen transportiert. Um diese wirkungsvoll in die Logistikketten des Warentransports zu integrieren, bedürfe es intelligenter Automatisierungslösungen und einer „Digitaloffensive“ auch des Verkehrsträgers Binnenschiff. „Ohne Innovationen im Bereich der Antriebstechnik und des Schiffsdesigns – Stichwort Niedrigwasserbedingungen – wird es letztlich auch nicht gelingen.“

Logistik für Wasserwege immer wichtiger

Dabei seien alle größeren Städte mit „Wasseranschluss“ gebaut, der allerdings immer weniger für den Gütertransport genutzt werde. Mit der Folge, dass es durchaus nicht mehr überall Häfen gebe; dafür werde wassernahe Wohnbebauung immer beliebter. Die Logistik für den Wasserweg zur Ver- und Entsorgung neu zu denken, werde somit zur gesellschaftlichen Aufgabe. „Wir legen die navigatorischen Grundlagen“, resümiert Noack und sieht dabei auch die Chance, die einst führende Rolle des Landes im Schiffbau neu zu beleben.

Mit technologischem Wissen und dem Blick nicht nur für das „Schiff an sich“, sondern auch die zugehörige Infrastruktur. Und wenngleich die Forschung naturgemäß vor allem die Berufsschifffahrt im Blick hat, könnte die Vision hochautomatisierter Assistenzsysteme durchaus auch den Freizeitkapitän interessieren, der nach zweistündiger Einweisung mit bis zu 15 schwerfällig zu manövrierenden PS und berechtigtem Respekt vor Begegnungsverkehr und Schleusenfahrten unterwegs ist.