Erinnerung
Gedenkfeier mit vielen Fragen in Neustrelitz
Neustrelitz / Lesedauer: 3 min

Heike Sommer
Es war eine Gedenkfeier mit vielen Fragen und wenigen Antworten. 85 Jahre nachdem auch in Neustrelitz Nazi-Schergen Jüdinnen und Juden aus ihren Häusern und Geschäften trieben und die Synagoge in Brand steckten, versammelten sich am Gedenkstein für die einstige Synagoge Menschen, um an dieses Verbrechen und seine Opfer zu erinnern. Die Kirchengemeinde und die Stadt hatten zu der Veranstaltung eingeladen.
"Warum haben so viele geschwiegen?"
Im Vorfeld hatte Pastorin Cornelia Seidel mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Carolinum Texte erarbeitet, die am Gedenkstein als „Poetry Slam“ – eine Art Dichtwettstreit – vorgetragen wurden. Das Warum stand dabei an zentraler Stelle. In der Aufzählung werden die damit gestellten Fragen immer drängender. „Warum haben so viele geschwiegen, statt zu protestieren? Warum gab es kein Mitgefühl und kein Mitleid, woher kommt der Hass?“ Dass die fehlenden Antworten erschreckend viel mit der Gegenwart zu tun haben, darüber sind sich die Schülerinnen und Schüler bewusst.

Denn auch wenn sie mit den Geschehnissen vor 85 Jahren nichts zu tun haben, sie keine Schuld trifft, so verschließen sie nicht die Augen vor dem, was dieser Tage passiert: Warum gibt es auch heute unter uns noch Vorurteile und Hass gegen Juden? Warum skandieren Menschen auf den Straßen in Berlin und anderen großen Städten judenfeindliche Parolen? Warum schmieren Jugendliche unseres Alters Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole mitten in Neustrelitz an Wände?Warum geschieht Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt auch in unseren Schulen, Vereinen und Betrieben? lauten ihre Fragen.
Schließlich kristallisiert sich aus dem Warum der Schüler ein „Was kann ich tun?“ heraus. Miteinander reden, Zivilcourage zeigen, faschistischen und menschenfeindlichen Anfeindungen entgegentreten.
Filme über Traumata, Verlust, Flucht
Wie wichtig dies ist, wurde bei der anschließenden Filmvorführung im Fabrikkino deutlich. Unter der Überschrift „Die Erinnerung darf nie enden“ wurde der Film „Liebe Angst“ von Sandra Prechtel und Kim Seligsohn gezeigt. Er erzählt von der Beziehung zwischen Kim Seligsohn und ihrer Mutter Lore, die mit sechs Jahren erleben musste, wie ihre Mutter nach Ausschwitz deportiert wurde.
Mit ihren Brüdern lebt Lore bis zum Kriegsende versteckt auf einem Dachboden. Für die erlebten Traumata von Verlust, Flucht und Verlassenheit findet sie bis ins Alter keine Worte. Das hat nicht nur verehrende Auswirkungen für sie selbst, sondern auch für ihre Kinder.
Im Filmgespräch sagt Tochter Kim Seligsohn: „Ich bin nicht jüdisch sozialisiert, sondern jüdisch traumatisiert.“ Die grauenvollen Geschehnisse der NS-Zeit beschädigten auch die Folgegenerationen. Der Film zeigt aber auch, wie Versöhnung gelingt.