Interview

Ist Mecklenburg-Vorpommern bald alle Mühlen los, Herr Bauditz?

Woldegk / Lesedauer: 7 min

Den Mühlen ist am Sonnabend ein Symposium in Woldegk gewidmet. Weshalb das notwendig ist, erzählt der Vorsitzende des Mühlenvereins M-V, Jan Bauditz.
Veröffentlicht:22.10.2021, 15:16

Von:
  • Marlies Steffen
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Wie geht es den Mühlen hüben und drüben?

Über den Zustand der Mühlen in Hinterpommern – in der polnischen Wojewodschaft Westpommern – kann ich noch keine Aussagen machen. Darüber erfahren wir ja gerade heute in Woldegk mehr.Wir haben bisher nur die Papiermühle in Barlinek besichtigen können, die von einer Bürgerinitiative wieder ausgestattet und instand gesetzt werden soll. Nach meiner Kenntnis ist Westpommern reich an Wassermühlen, die auch heute noch mahlen oder Strom erzeugen, also genutzt werden. Dem Erhalt des historischen Erbes wird nach meiner Kenntnis dort inzwischen ein großes Gewicht zugemessen.

Wie viele Mühlen gibt es überhaupt in MV?

Der Mühlenverein geht von geschätzten circa 150 Wassermühlen, circa 120 Windmühlen und 30 Motormühlen in sehr unterschiedlichen Erhaltungszuständen aus. Wobei die alte Mühlentechnik am meisten leidet oder entsorgt wurde. Eine genaue Analyse gibt es in MV nicht. Im Land sollen unter 100 Mühlen (Wind- und Wassermühlen) als Denkmale eingetragen sein. Diese wären nach dem Denkmalschutzgesetz schützenswert.Aber die genaue Zahl ist nicht bekannt. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald ist die Liste der Baudenkmale nicht mal öffentlich einsehbar. Wir als Verein verstehen nicht, was daran geheim sein sollte.

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Und wie viele der Mühlen sind noch begeh- oder nutzbar?

Dazu können wir keine Auskunft geben. Als Mühlenverein haben wir dem Landtag und dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege die Erarbeitung einer Bestandsaufnahme angeboten. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Landespolitik und der zuständigen Behörden. Wir haben die Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit eine Übersicht über den Bestand und ihren Zustand geben wird.

Droht die Landschaft der Mühlen und damit ein Zeugnis alter Handwerkskunst zu verschwinden?

Die Wassermühlen sind seit etwa 1000 Jahren ein Bestandteil unserer Kulturlandschaft und prägen diese als Landmarken wie die Windmühlen und die Wassermühlen mit ihrer komplexen Einbindung in das Gewässersystem. Dazu gehören auch die Wasserbauwerke wie Schleusen, Wehre, Dämme, Teiche, Kanäle. Alle diese Kulturbauwerke tragen zur Vielfalt bei und prägen unsere Kulturlandschaft, die es zu bewahren gilt. Die Müllerei als Handwerkstechnik wird in M-V nur noch in Stove bei Wismar und in Altkalen bewahrt. Die Handwerksmüllerei hat sonst nicht überlebt. Gerade deswegen müssen ehrenamtliche Akteure diese Techniken bewahren.

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Immerhin ist eine Sanierung teuer und nicht jeder hat das Geld?

Für private Eigentümer ist die Instandsetzung von Mühlen nach denkmalrechtlichen Forderungen nur mit erheblicher Förderung möglich. Private Eigentümer, die ohne Förderung Mühlen bewahren, sind äußerst begrenzt. Dann erfolgt die Nutzung oft für Ferienwohnungen oder gastronomisch. Eingroßes Problem für die Eigentümer ist die Unübersichtlichkeit der Fördermittel. Antragstellungen sind möglich, aber allein die Antragsformalien sind kompliziert und für Laien ohne professionelle Unterstützung kaum leistbar. Auch die kostet aber Geld, bevor ein Antrag vollständig gestellt werden kann. Die Summe der Fördermittel für die Bewahrung technischer Denkmale vom Land ist äußerst begrenzt. Mittel der Denkmalbehörde können seit Jahren nur für Notinstandsetzungen angefragt werden. Dann ist der Zustand aber schon sehr bedenklich. Hier ist eindeutig der Landtag gefragt, der für das kulturelle Erbe gerade auf dem platten Land mehr Mittel in der Breite zur Verfügung stellen muss. Die bisherige Leuchtturmförderung für Denkmale wie die landeseigenen Schlösser kann nicht das kulturelle Erbe auf dem Lande vernachlässigen! Das ist unser Aufruf an die Landespolitiker.

Wie kann man dem weiteren Verfall entgegensteuern?

Es muss erst mal erforscht werden, wie hoch der Erhaltungsbedarf ist. Dann müssten den Eigentümern Möglichkeiten für den Erhalt aufgezeigt werden, die durch eine Förderung unterstützt werden. Aber natürlich sind immer die Ideen und auch das notwendige Eigenkapital eine Grundlage für die weitere Bearbeitung. Dann sollten Initiativen und auch Einzelpersonen bei der Bewahrung des kulturellen Erbes unterstützt werden. Als Mühlenverein M-V veranstalten wir traditionell am Pfingstmontag den Deutschen Mühlentag. In der Regel öffnen dafür zwischen 25 und 30 Mühlen ihre Türen und veranstalten auch „Mühlenfeste“.

2022 steht uns ein besonderes Ereignis bevor. Der Deutsche Mühlentag wird an der Schleifmühle in Schwerin eröffnet. Als Mühlenverein hoffen wir auf eine bessere Unterstützung durch die Landespolitik. Der Bund Heimat und Umwelt hat „Mühlen und Hämmer“ zu Denkmalen des Jahres 2022 erkoren und wird dazu publizieren.

Wo sehen Sie Möglichkeiten Mühlen so auszugestalten, dass sie öffentliche Orte werden und Menschen diese auch besichtigen wollen?

Oberstes Prinzip heißt: Erhaltung durch Nutzung! Dazu sehen wir vor allem die öffentliche Hand in der Pflicht. Zuerst müssen die Gebäude erhalten werden. Großen Wert legen wir als Mühlenverein auf Erhalt der Technik, die in den letzten 30 Jahren überwiegend verloren ging. Bei gefährdeten Mühlen müssen sich die Kommunen zu ihrer Geschichte bekennen und die Landkreise und Landesbehörden die Nutzer und Akteure bei der Erhaltung unterstützen.

Auch die privaten Eigentümer müssen stärker durch die Behörden unterstützt werden. Es gibt im Land nur noch drei Wassermühlen mit wiederhergestellten Wasserrädern. Wenn deren Betrieb durch die Wasserbehörden eingeschränkt oder mit der Begründung, die Umsetzung der EU-Wasser-Rahmen-Richtlinie (WRRL) habe oberste Priorität, verhindert wird, ist der Verlust der jahrhundertealten Technik unvermeidlich. Wasserrechtlich Verfahren zum Betrieb eines Wasserrades laufen zum Teil über 20 Jahre! Solche Fälle halten Interessenten von Investitionen ab.Neue Anträge zur Nutzung der kleinen Wasserkraft an Wassermühlen liegen seit circa 20 Jahren nicht mehr vor. Frühere Erlaubnisse werden nicht verlängert. Das ist das Ergebnis der Umsetzung der EU-WRRL und naturschutzrechtlicher Forderungen, die diese jahrhundertealte Kultur bewusst vernichten.

Und wie wären Ideen mit Leben zu erfüllen?

Als Mühlenverein versuchen wir, vor allem Aufmerksamkeit zu erzielen. Weiterhin können wir Ideenträger beraten. Dies betrifft zuerst die Wind-, aber auch Wassermühlen. Es bedarf aber immer Enthusiasten, die sich der historischen Bauwerke und Technik annehmen. Ohne die geht es nicht.

Woldegk verfügt selbst über Windmühlen – ist das ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem man noch Menschen locken kann?

Aus meiner Sicht ist das Alleinstellungsmerkmal von Woldegk, die noch vorhandenen fünf Mühlen, zu wenig präsent. Diese Windmühlendichte in einer Stadt dürfte in Deutschland einmalig sein. Mit der Ehlertschen und der Stadtmühle und dem Mühlenberg gäbe es hier gute Voraussetzungen, mehr Gäste anziehen. Dafür fehlen aber wohl zurzeit die logistischen und organisatorischen Voraussetzungen. Hier können wir als Mühlenverein der Stadt gerne beratend zur Seite stehen, falls dies gewünscht wäre. Wir als Mühlenverein haben das Mühlenseminar mit den polnischen Mühlenfreunden im Rahmen des EU-Pomerania-Projektes „Mühlen und Windmühlen – unser gemeinsames Kulturerbe im deutsch-polnischen Grenzgebiet“ deswegen nach Woldegk geholt, um hier mehr Aufmerksamkeit unter den Mühlenfreunden zu erzielen. Bei entsprechenden Voraussetzungen könnte sich der Mühlenverein auch das Mühlenarchiv in Woldegk vorstellen.

Was erwarten Sie von dem Symposium am Sonnabend?

Der gegenseitige Austausch soll als Erfahrungsaustausch dienen. Erste Kontakte zeigen, dass mit den technischen Denkmalen und auch Mühlen, die kein Denkmal sind, teilweise behutsamer umgegangen wird. Dies trifft mindestens auf die Wassermühlen zu, die meist weiterhin genutzt werden und nicht durch Fischtreppen verhindert werden.