Querdenken-Anwalt muss Mega-Strafzettel nicht bezahlen
Waren / Lesedauer: 5 min

Simone Schamann
Rechtsanwalt Ludwig war vom persönlichen Erscheinen zum Termin am Freitag vor dem Amtsgericht Waren entbunden worden, vertreten ließ er sich von seinem Berliner Anwaltskollegen Friedemann Däblitz (33 Jahre, studierte Rechtswissenschaften in Greifswald).
Unmittelbar vor dem Termin wollte der Jurist noch keine Prognose abgeben, wie die Angelegenheit um den Mega-Strafzettel (1893,50 Euro) für seinen Mandanten ausgehen könnte. Zwischen knackigem 5-Minuten-Termin und absurdem Anwalt-Richter-Endlosdialog wie man ihn aus so manchem Corona-Verfahren kennt, sei alles möglich, so Däblitz zum Nordkurier.
Filmreifes Vorspiel an Mecklenburger Bushaltestelle
Ralf Ludwig hatte den Bußgeldbescheid Ende vergangenen Jahres wegen unerlaubter Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern kassiert. Auch die bekannten Maßnahmen-Kritiker Dr. Bodo Schiffmann, Samuel Eckert und Wolfgang Greulich, die damals mit ihm auf „Corona-Info-Tour” quer durch Deutschland unterwegs waren, bekamen jeweils einen XXL-Strafzettel von Landrat Kärger zugestellt.
Wer das vorausgegangene Lokal-Epos um den in Neustrelitz gestrandeten Querdenker-Bus, filmreife Kontroversen an einer Mecklenburger Bushaltestelle, den Neubrandenburger Polizeichef Torsten Rusch, Ministerpräsidentin Schwesigs (SPD) voreiligen Jubel-Tweet (#Ehrenrusch) und die damals geltende Corona-Landesverordnung noch mal nachlesen will, kann das hier tun:
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Nach Zustellung im Dezember letzten Jahres hatte Ludwig jedenfalls Einspruch gegen das auferlegte 1900-Euro-Bußgeld eingelegt. Er habe keinen Zweifel, dass er trotz der damals geltenden Corona-Landesverordnung, die Versammlungen nach Auffassung der Landesregierung nur für MV-Bürger erlaubte, als Anwalt und Kundgebungs-Redner hätte einreisen dürfen, sagte er damals dem Nordkurier. Viele Monate später nun die Entscheidung vor dem Amtsgericht Waren.
Der Richter hört aufmerksam zu
Freitag, 11.30 Uhr, Gerichtssaal 1 – die Juristen kommen gleich zur Sache. Der Vorsitzende Richter Roland Traeger lässt Anwalt Däblitz über mehrere Minuten seine Argumente vortragen, hört dem jungen Kollegen aufmerksam zu. Kurzversion: Das Einreiseverbot war unwirksam. Das Infektionsschutzgesetz habe eine derart grundrechtsinvasive Regelung durch die damals geltende Corona-Verordnung nicht erlaubt. Schlagworte wie Wesentlichkeitsformel und Nutzen-Schaden-Abwägung fallen, Däblitz schließt mit den Worten, die Corona-Verordnung sei „generell verfassungswidrig” gewesen.
Als Beobachter rechnete man an diesem Punkt mit der inzwischen fast schon üblich gewordenen Reaktion, wenn Querdenker, Masken- oder PCR-Test-Verweigerer vor Gericht stehen: Der Richter wischt alle Argumente vom Tisch, betont noch kurz, wie lachhaft und überflüssig das ganze Theater ist, um sich dann demonstrativ hinter die staatlich verordneten Maßnahmen zu stellen, zu denen im weitesten Sinne natürlich auch Corona-Landesverordnungen wie im aktuellen Fall gehören.
„Ich kann Ihnen da nur zustimmen.”
Umso erstaunlicher die Antwort des Warener Amtsrichters. Roland Traeger zu Anwalt Däblitz' Ausführungen: „Ich kann Ihnen da nur zustimmen.” Huch?! Überraschend. Aber im Gerichtssaal ist natürlich Pokerface angesagt. Richter Traeger weiter: „Es gibt da tatsächlich einige Ungereimtheiten. Ich teile Ihre rechtlichen Bedenken und würde die Einstellung des Verfahrens vorschlagen.” Anwalt Däblitz ungerührt: „Ich würde auf Freispruch bestehen wollen.”
Die beiden argumentieren noch eine Weile. Warum, will Däblitz wissen, wird sein Mandant nicht freigesprochen, wenn das Gericht seiner Argumentation doch grundsätzlich folgt? Naja, meint Richter Traeger, ein bisschen provozierend hätten sich Anwalt Ludwig und Mitstreiter damals ja schon verhalten. Däblitz hält dagegen, Ludwig habe sich nur gegen Unrecht gewehrt, man müsse sich als Bürger doch nicht verhalten wie ein Untertan. Richter Traeger geht darauf nicht weiter ein, erklärt aber, er wolle die „Signalwirkung” eines Freispruchs vermeiden. Als Zugeständnis in Richtung Freispruch würde die Staatskasse Kosten und Auslagen des Betroffenen übernehmen. Dabei bleibt es.
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Rechtsanwalt Däblitz äußert sich gegenüber dem Nordkurier mittelzufrieden: „Es ist schon ein Erfolg. Trotzdem bleibt für mich die Frage, warum der Richter den letzten Schritt nicht gehen wollte.” In Weimar hatte Amtsrichter Christian Dettmar, der im April eine spektakuläre Entscheidung zur Aufhebung der Maskenpflicht an zwei Schulen gefällt hatte, im Nachgang polizeiliche Durchsuchungen seines Büros und seiner privaten Räumlichkeiten erfahren. Wollte der Warener Richter deshalb eine „Signalwirkung” vermeiden? Darüber könne man nur spekulieren, so Däblitz.
Ralf Ludwig: „Es stehen weitere Verfahren in MV an.”
Was sagt der Betroffene zum Erlöschen seines Mega-Strafzettels? Ralf Ludwig zum Nordkurier: „Das war jetzt die erste Etappe zur Aufarbeitung der Geschehnisse vom November 2020. Weitere Verfahren stehen noch an. Am Ende muss aufgeklärt werden, welche Rolle damals die Staatskanzlei der Ministerpräsidentin spielte. Welcher politische Druck im Hintergrund auf Polizei und Gerichte aufgebaut worden ist.”
Dass die Angelegenheit in MV für ihn keine Kleinigkeit ist, hatte Ludwig bereits im Dezember deutlich gemacht. Damals sagte er zum Nordkurier: „Die Sache wird Konsequenzen auf höchster Ebene haben.“ Ihn würde nicht wundern, wenn am Ende Ministerpräsidentin Schwesig zurücktreten muss.
Anwalts-Handy beschlagnahmt –„Raub mit Waffen”?
Im Zuge der Ausweisung aus MV war am 10. November 2020 auch das Handy des Rechtsanwalts beschlagnahmt worden. Auf brandenburgischem Boden, von Polizeibeamten aus Mecklenburg-Vorpommern – und gegen seinen ausdrücklichen Willen, wie Ludwig dem Nordkurier berichtete. Als Tatbestand hierfür käme unter anderem „Raub mit Waffen” infrage. Beatrix Heuer, damals Sprecherin der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg, sagte dem Nordkurier Anfang des Jahres dazu, aus juristischer Sicht sei der Gedanke nicht abwegig. Fest steht: Auch diese Sache wird ein Nachspiel haben.
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