So hat die 16-Jährige Urlauberin einem Mann das Leben gerettet
Grünplan / Lesedauer: 4 min

Wäre es ein Urlaub wie immer gewesen, hätten Luise Stoye aus Leipzig und Torsten Behr aus der Nähe von Fulda vielleicht am Zaun, der beide Bungalowgrundstücke in Grünplan (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) trennt, ein Schwätzchen gehalten. Es handelt sich aber nicht um einen normalen Urlaub, obwohl er gerade erst begonnen hat. Torsten Behr ist an seinem ersten Urlaubstag brutal von Wespen gestochen worden. Die Insekten attackierten ihn, als er eine Schuppentür öffnete. Genau zwischen Schuppentür und Wand hatten die Wespen ein Nest gebaut. Infolge der Attacke verlor Torsten Behr das Bewusstsein und erlitt einen lebensbedrohlichen, anaphylaktischen Schock.
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Pen in den Oberschenkel gerammt
Luise Stoye, gerade mal 16 Jahre alt, hat ihrem Urlaubsnachbarn das Leben gerettet. Sie hat ihm ihren eigenen Notfallpen in den Oberschenkel gerammt. Eine mit Adrenalin gefüllte Spritze, deren Gabe eine kurzzeitige Stabilisierung des Kreislaufs bei dem Schockpatienten erreicht. Luise Stoye ist selbst Allergikerin, erlitt schon mehrfach einen anaphylaktischen Schock und trägt deshalb ihr Notfallset mit der Adrenalin-Spritze bei sich. Als Luises Familie am Samstagabend die Hilferufe von Torsten Behrs Frau Uta aus dem Nachbarbungalow hörte, sollte der Notfallpen eigentlich sofort zum Einsatz kommen. Doch zunächst wurde ihr davon abgeraten, als sie die Notfallnummer 112 gewählt hatte, um den Notfall zu melden, berichtete die Familie Stoye.
Erst nachdem die Anruferin eine gefühlt endlose Warteschleife erdulden musste und einen weiteren Kontakt am Telefon hatte, gab es das Signal: Sofort den Pen! „Die Ärzte im Krankenhaus haben mir später gesagt, dass mir dadurch das Leben gerettet wurde“, macht Torsten Behr deutlich. Dem Mann aus der Nähe von Fulda geht es inzwischen wieder besser. Auch wenn die Spuren der Wespenattacke, unter anderem an den Beinen, noch längst nicht verblasst sind. Und auch wenn die Wunden verheilt sein werden, Torsten Behr wird an der Sache wohl noch einige Zeit zu kauen haben. „Ich hätte tot sein können, das beschäftigt mich“, macht der Mann deutlich. Eine Wespenallergie sei ihm bislang von sich nicht bekannt gewesen. Jetzt besitze er indessen auch ein Notfallset, mit dem unverzüglich auf den lebensbedrohlichen allergischen Schock reagiert werden muss.
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Luise will Physiotherapeutin werden
Für Luise Stoye, die gerade mit der Schule fertig geworden ist und eine Physiotherapie-Ausbildung beginnen möchte, war es das erste Mal, dass sie in der Praxis eine solche Notfall-Spritze setzte. „Wir haben das vorher immer nur geübt“, bekennt das Mädchen. Zeit zum Überlegen war indessen nicht. Sie hat einfach gehandelt. Dabei war es noch ein Glücksfall, dass das Mädchen überhaupt helfen konnte. Denn Familie Stoye war erst gut eine Stunde, bevor die Wespen Torsten Behr attackiert hatten, im Nachbarbungalow angekommen.
Die Hilferufe von Torsten Behrs Frau Uta alarmierten indessen nicht nur die unmittelbaren Nachbarn. Sozusagen die ganze Bungalowsiedlung unweit des Heidekrugs in Grünplan war am späten Samstagabend auf den Beinen. Menschen schafften kalte Tücher herbei oder versuchten, Torsten Behr wachzuhalten, in dem sie ihm die eine oder andere kleine Ohrfeige verpassten oder ihn immer wieder laut ansprachen.
Für den Notfallpen gab es dann einen Ersatz
Per Rettungswagen kam Behr dann ins Neustrelitzer DRK-Krankenhaus, wo er sich sehr gut behandelt und einfühlsam aufgenommen gefühlt hat, wie er sagt. Und Luise Stoye bekam wenige Stunden, nachdem sie mit ihrem Notfallpen Leben gerettet hatte, einen Ersatz dafür.
Im Ferienbungalow bei den Behrs und bei den Stoyes soll jetzt aber wieder ein Stück Normalität einziehen. Die Familien kommen schon viele Jahre nach Grünplan, um Urlaub zu machen. Den einen oder anderen Plausch mit den Nachbarn am Gartenzaun wird es aber bestimmt geben. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich beide Familien auch in der Zeit danach nicht aus den Augen verlieren werden. Viel zu einschneidend war das Erlebte. Luises Mutter möchte zudem alle Besitzer eines Notfallsets gegen einen allergischen Schock ermutigen, dieses Set auch immer bei sich zu tragen und nicht etwa aus Gründen der Eitelkeit darauf zu verzichten. „Ich habe selbst bei meiner Tochter erlebt, wie rasend schnell die Situation lebensbedrohlich werden kann“, sagt sie.
Torsten Behr möchte man indessen wünschen, dass er diesen Satz vom „Ich hätte sterben können“ so schnell als möglich umwandeln kann in: „Ja, ich lebe noch.“ Weil ein junges Mädchen nicht zögerte, zu helfen.