Wenn das Aufstehen zur Qual wird – ein Leben mit Long Covid
Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Henning Stallmeyer
Es gibt gute und schlechte Tage für Sven Mitschele. An guten Tagen schafft er eine Runde um den Reitbahnsee oder kann ein wenig im Haushalt helfen. Doch zurzeit überwiegen die schlechten Tage. An denen schafft er es kaum, aufzustehen, geschweige denn zu arbeiten oder etwas zu unternehmen. Sven Mitschele leidet an Long Covid. Von seiner Corona-Infektion Anfang Februar hat er sich noch nicht wieder erholt.
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Schlaflose Nächte
Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Belastungsintoleranz und ein merkwürdiges Kribbeln in den Beinen. Das sind die Hauptsymptome, die ihn seit Februar nicht mehr loslassen. Besonders der fehlende Schlaf belastet den 35-Jährigen: „Ich konnte früher schlafen wie ein Stein. Heute wecken mich schon Kleinigkeiten wie ein Lichtstrahl oder leise Geräusche.“ Wieder einschlafen falle ihm dann schwer, oft liege er Stunden wach – manchmal die ganze Nacht.
Manchmal reicht Kraft nur für Essen und Zähneputzen
An Anstrengungen ist ebenfalls nicht zu denken. Sven und Mareike leben mit ihren drei kleinen Kindern im dritten Stock einer Plattenbauwohnung im Reitbahnviertel. „Die Treppen geht er nur runter, wenn er wirklich muss“, weiß Svens Frau. Spielen mit den Kindern, Sport treiben, einkaufen gehen, im Haushalt helfen – das alles ist mittlerweile nahezu undenkbar für den gebürtigen Schwaben. Es kostet ihn zu viel Kraft.
Im Faultier-Modus
Er selbst schätzt sein Energielevel an guten Tagen auf 30 bis 40 Prozent im Vergleich zu seinem Leben vor Corona. An schlechten Tagen liege er nur bei zehn Prozent, da reiche es dann gerade noch fürs Zähneputzen und Essen. Bei seiner Frau ist es zwangsläufig umgekehrt, weil sie es muss. „Unsere Leben laufen zurzeit total gegensätzlich. Sven muss gucken, dass er wie ein Faultier lebt, damit er sich nicht überanstrengt. Und ich muss halt mehr machen als vorher, den Haushalt schmeißen, mich um die Kinder kümmern“, fasst Mareike zusammen.
Spielen mit den Kindern nicht möglich
Nicht nur die beiden belastet die Krankheit, auch an ihren Kindern im Alter von zwei, fünf und sechs Jahren geht das Ganze nicht spurlos vorbei. Anfangs haben sie ständig gefragt, wann es Papa denn wieder besser geht, wann er mit auf den Spielplatz kommt. Inzwischen fragen sie nicht mehr. Etwas, das auch die Mama beunruhigt: „Eigentlich ist das erschreckend, dass es jetzt schon so normal geworden ist.“ Gerade am Anfang wollten die Kinder natürlich mit ihrem Papa spielen, Mareike musste sie manchmal zurückhalten. Zu groß wäre die Anstrengung für Sven gewesen. Inzwischen schläft er auch im Wohnzimmer. Das sei hart, aber wenn die Kinder morgens ins Bett krabbeln oder ein Geräusch ihn im Schlafzimmer weckt, ist die Anstrengung oft zu groß. Im Wohnzimmer hat er so seinen Rückzugsbereich.
Dank für Unterstützung
Es sei ein ständiges Abwägen, erzählen die beiden. Wenn Sven im Haushalt mithilft, vielleicht mit den Kindern aufräumt oder eine Geschichte vorliest, kann es sein, dass er danach für mehrere Stunden, manchmal den ganzen Tag vor Erschöpfung nicht mehr aufstehen kann. Ein Zwiespalt für den 35-Jährigen, der hauptberuflich eigentlich in der Gemeinde- und Stadtteilarbeit in der Oase im Reitbahnviertel arbeitet, zwischen gewohntem Familienleben und Achtgeben auf seinen Körper.
Die Arbeit sei übrigens für die Familie ein Rückhalt, auch wenn er seit Februar arbeitsunfähig ist. Dort habe man Verständnis für seine Situation. Viele Kollegen sind Nachbarn, die Kinder könne man auch mal zum Spielen vorbei schicken. Alles sehr familiär, betonen Mareike und Sven, die sich sehr für die Unterstützung bedanken.
Hoffnung, dass Reha und die Forschung helfen
Für Sven war es besonders wichtig, die Krankheit als solche zu akzeptieren. „Es bringt nichts, von Woche zu Woche zu schauen und zu hoffen, dass es besser wird“, meint der 35-Jährige. Nun lernt er, mit Long Covid zu leben. Noch in diesem Jahr hat er einen Platz für eine Reha bekommen. Auch dort steht der Umgang mit der Krankheit und den Symptomen im Vordergrund. Hoffnung setzen er und seine Frau auch in die Forschung. „So viele Menschen auf der ganzen Welt sind an Long Covid erkrankt. Das Interesse an einer Therapie oder einem Medikament vonseiten der Wissenschaft ist groß, aber es dauert halt seine Zeit“, blickt Mareike zuversichtlich nach vorne.
Hochzeitstag als Ziel
Im kommenden Jahr feiern Mareike und Sven ihren 15. Hochzeitstag. „Das können wir uns als Ziel setzen, dass du spätestens da wieder fit bist“, sagt Mareike. „Ich hätte auch nichts gegen schon früher“, antwortet Sven etwas leiser.
Selbsthilfegruppe: Wer macht mit?
Um sich mit anderen auszutauschen, will Sven eine Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Patienten in Neubrandenburg gründen. Wer ebenfalls betroffen ist, kann sich bei der Selbsthilfekontaktgruppe des Deutschen Roten Kreuzes melden: telefonisch unter 0395 5603955 oder per E-Mail an [email protected]