Sandalen-Werk
1000 neue Jobs – so will Birkenstock Vorpommern erobern
Pasewalk / Lesedauer: 6 min

Susanne Böhm
Birkenstock mischt den Arbeitsmarkt im Nordosten auf. Während im Gewerbegebiet zwischen Pasewalk und Franzfelde die Bagger rollen und Gruben, groß wie Fußballfelder, für das Fundament ausgehoben werden, treibt die Personalabteilung die Mitarbeitersuche voran. Rund 400 Bewerbungen hat Monir Beji nach eigenen Angaben derzeit auf dem Tisch.
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Mit Bratwurst-Formel Mitarbeiter finden
Rund 30 Arbeitsverträge, vor allem für Leitungsfunktionen, sind bereits unterschrieben. Bei einem öffentlichen Sommerfest Anfang Juli in Pasewalk seien zahlreiche weitere Kontakte und einige Verträge zustande gekommen, sagt der für die Werke von Birkenstock verantwortliche Personalchef.
Die Birkenstock-Chefetage ist noch Wochen nach der Veranstaltung im Lokschuppen überwältigt von der Resonanz. „Am Grill gingen 3000 Bratwürste und Steaks weg. Das bedeutet, dass um die 2500 Leute hier waren“, sagte Jochen Gutzy. Der Leiter der Unternehmenskommunikation bei Birkenstock findet, „so viele Menschen zu mobilisieren, das ist schon etwas. Wir hatten so etwas noch nie gemacht und konnten gar nicht einschätzen, wie viele Leute kommen. Mit so großem Interesse an unseren Arbeitsplätzen und Produkten hatten wir jedenfalls nicht gerechnet“.
1000 neue Stellen – das bedeutet Konkurrenz
Insgesamt rund 1000 Jobs seien zu vergeben, die Nachfrage sei enorm. Längst nicht nur Arbeitslose würden sich bewerben, sondern auch Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Polen, die einen beruflichen Neuanfang anstreben. Schließlich werde nicht alle Tage ein komplett neues Werk aus dem Boden gestampft.
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Die Konkurrenz aus der Schuhbranche dürfte Mecklenburg-Vorpommerns und Nordbrandenburgs Platzhirsche unter den Arbeitgebern aufhorchen lassen. Nach Nordkurier-Informationen interessieren sich zum Beispiel Mitarbeiter mehrerer Kliniken für diese unerwartete berufliche Perspektive in einem Landstrich mit wenigen großen Arbeitgebern.
Unternehmen setzt die Hürden niedrig
Laufend führt Birkenstock Vorstellungsgespräche, sagt Monir Beji. Wegen der Entfernungen des global aufgestellten Unternehmens greife man häufig auf Video-Telefonate zurück. Mit manchen Bewerbern treffe man sich am Standort im sächsischen Görlitz. Überdies solle in Kürze in Pasewalks Innenstadt ein Kontaktbüro eröffnet werden, das auch für solche Zwecke genutzt werden könne. „Wir suchen gerade nach passenden Räumen“, sagt Jochen Gutzy.
Der Konzern mit rund 5500 Mitarbeitern und Niederlassungen unter anderem in dem größten Einzelmarkt USA, in Frankreich, England, Dänemark, Japan und Südostasien sei offen für jeden, der arbeiten möchte. „Egal wie alt, egal welche Qualifikation, wir haben für fast alle eine passende Stelle, auch für Quereinsteiger ohne Schuh-Hintergrund“, sagt Monir Beji. Die neuen Kollegen würden im Unternehmen geschult und angelernt, bevor die ersten Sandalen die Pasewalker Fabrik verlassen. Sprache und Herkunft würden auch keine Rolle spielen. Wer für den neuen Job in Pasewalk weitere Fahrwege in Kauf nimmt, werde vom finanziell unterstützt.
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Arbeitgeber bietet Sprachkurse an
In den Werken von Birkenstock sind Menschen aus mehr als 40 Nationen beschäftigt. In der Führungsriege ist die Arbeitssprache Englisch, erklärt „Chief Technical Operations Officer“ Mark Jensen. Der Produktions- und Logistikchef aus Dänemark lernt selbst gerade Deutsch, wie viele seiner Kollegen. Eine Birkenstock Universität, die die Personalabteilung kürzlich ins Leben gerufen hat, bietet Sprachkurse und betriebliche Schulungen an. Die Mitarbeiter untereinander verständigen sich in vielen Sprachen, variierend von Standort zu Standort. Wer möchte, könne auf Kosten des Hauses einen Englisch- oder Deutschkurs belegen.
Die weltweite Vernetzung des Schuhproduzenten sei auch für Leute interessant, die eine Zeit im Ausland verbringen oder ganz auswandern möchten, sagt Jochen Gutzy. Durch die internationalen Niederlassungen könne Birkenstock in vielen Teilen der Welt Stellen anbieten und dabei helfen, im fremden Land heimisch zu werden. Natürlich bilde das Unternehmen auch aus. Wenn die Produktion in Pasewalk läuft, solle es auch dort Ausbildungsplätze für verschiedene Berufe geben, zum Beispiel im kaufmännischen Bereich.
Auf der Baustelle selbst stehen gerade veränderte Anforderungen an den Brandschutz auf der Tagesordnung, die der Ausbau des Industrieparks mit sich bringt. Ein Feuerwehrmann aus Pasewalk hatte die Birkenstock-Führung darauf hingewiesen, dass der Brandschutz im Nordosten überwiegend von ehrenamtlichen Feuerwehrleuten abgesichert wird, von denen die meisten hauptberuflich anderen Verpflichtungen nachgehen. Dieses Umstands waren sich die Großstädter gar nicht so richtig bewusst. „Wir produzieren natürlich unter größten Sicherheitsstandards“, sagte Jochen Gutzy. Er könne sich nicht daran erinnern, dass es bei Birkenstock mal einen schweren Arbeitsunfall oder größere Brände gab. Bei vielen Beschäftigten und schweren Maschinen könne aber theoretisch immer etwas passieren, so Mark Jensen. Der tödliche Unfall in der Eisengießerei in Pasewalks Nachbarstadt Torgelow vom 12. Juli hinterlasse auch bei Birkenstock-Mitarbeitern Betroffenheit und Anteilnahme. Auch dort waren es Freiwillige Feuerwehrleute, die die verunglückten Männer bargen.
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Produktion soll enorm gesteigert werden
30 Millionen Schuh-Paare produziert Birkenstock jährlich. Durch den Standort in Pasewalk sollen es 40 bis 50 Millionen im Jahr werden. Der Sandalen-Hersteller wächst auch im 248. Jahr seines Bestehens weiter. Einst galt die orthopädische Sandale als Inbegriff deutscher Spießigkeit, getragen wurde es klischeehaft aber auch von langhaarigen Öko-Aktivisten, die gegen ein Waldsterben demonstrierten und mit den Sandalen ein Statement gegen das Establishment setzten.
Das Image hat sich gewandelt, behauptet Jochen Gutzy. „Heute werden unsere Sandalen auf Laufstegen bei Fashionshows und auf roten Teppichen getragen. Die Marke ist cool und bei jungen Leuten genauso angesagt wie bei deren Eltern und ist damit in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Es gebe eine riesige Fangemeinde, die, auch befeuert durch das Internet, ständig wachse. Bei der Ankunft im Pasewalker Gewerbegebiet habe man sich gleich wie zu Hause gefühlt. Der Chef des benachbarten Regalbauers Top-Regal trug Birkenstock-Sandalen – verblichen, ausgetreten und mindestens zehn Jahre alt.
Die Bauarbeiten für das neue Werk laufen indes nach Plan. Seitens der Politik erfährt die Ansiedlung große Unterstützung. Innerhalb von nur vier Monaten wurde das umfassende Genehmigungsverfahren abgearbeitet. „Das ist rekordverdächtig“, sagte Vorpommern-Staatssekretär Heiko Miraß (SPD). Birkenstock investiert 110 Millionen Euro in den neuen Standort. Für Mitte August ist die offizielle Grundsteinlegung vorgesehen.