Hersteller können nicht liefern
Apotheken gehen die Medikamente aus
Pasewalk / Lesedauer: 3 min

Rainer Marten
Kathrin Rodewald tippt eines der gängigen Schmerzmittel in die Suchmaske des Computers ein: Ibuprofen 800. Auf dem Bildschirm tauchen unter den Namen ihrer Lieferanten rote Kreise mit einem weißen Querbalken auf: „Nicht lieferbar“, klärt die Inhaberin der Kreis-Apotheke in der Prenzlauer Straße in Pasewalk auf. „Normalweise hat man einen Hauptlieferanten, nun musste ich schon auf mehrere Lieferanten ausweichen – und das Mittel steht trotzdem nicht zur Verfügung“, sagt sie. Diese Situation ist keine Ausnahme. Deutschland entwickelt sich seit Monaten zu einem Land mit Medikamenten-Engpässen. 178 Arzneimittel hat die Apothekerin auf ihrer Defektliste zu stehen. Das bedeutet, die Hersteller können diese Mittel nicht liefern. Eine Prenzlauer Apotheke führt bereits mehr als 200 nicht lieferbare Arzneimittel auf. In anderen Apotheken ist die Situation vergleichbar.
Die Gründe für die Lieferengpässe sind vielschichtig. Die Sparpolitik deutscher Unternehmen habe dazu geführt, dass die Hersteller mittlerweile im Ausland produzieren lassen, sagt die Apothekerin. Medikamente aus Indien sind hierzulande keine Seltenheit. „Es kommt vor, dass Kunden alle zwei oder drei Monate neue Verpackungen in den Händen halten, weil die zuvor verwendeten Medikamente nicht lieferbar sind. Die Wirkstoffe sind auch dort vorhanden, aber sensible Patienten spüren den Wechsel“, so die Apothekerin.
Es bilden sich sogar Schlangen
Eine weitere Ursache des Mangels: In Deutschland besteht durch die Rabattverträge ein eher niedriges Preisniveau für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Die Hersteller verkaufen ihre Produkte deshalb lieber in europäische Nachbarländer, wo sie mehr Geld bekommen.
Die akuten Engpässe diktieren den Apothekern zusätzliche und zeitaufwendige Arbeitsgänge auf. „Von uns Apotheken wird eine wirtschaftliche Belieferung verlangt. Das bedeutet, dass wir die Rabattverträge einhalten müssen. In den Zeiten der Lieferausfälle oder der Lieferschwierigkeiten haben wir nur zwischen den vier preisgünstigsten Medikamenten auszuwählen“, erklärt sie. Die abzugebenden Präparate dürfen nie teurer sein als verordnet. Das zieht zeitaufwendige Computer-Suchen nach sich. In Spitzenzeiten bilden sich dann sogar Schlangen in der Apotheke, weil so eine Suche bis zu zehn Minuten dauern kann.
Und es gibt noch ein Problem
Den Apotheken macht eine weitere Sache zu schaffen: Seit dem 1. Juli gilt der neue Bundesrahmentarifvertrag für Apotheken. Damit gelten noch tiefergreifende Vorschriften zur richtigen Rezeptbelieferung. Bereits in den Arztpraxen wird der Grundstein für die korrekte Belieferung gelegt. Sind die von den Ärzten verschriebenen Medikamente nicht vorhanden, dürfen die Apotheken nur begrenzt von der Verschreibung abweichen. „Wir müssen, wenn die verschriebenen Medikamente ‚außer Vertrieb‘ sind oder sonst abweichen, mit den Arztpraxen Rücksprache halten, damit ein neues Rezept ausgeschrieben wird“, sagt die Apothekerin. Das macht Arbeit und kostet Zeit. Gelegentlich weichen Apotheken jetzt sogar zu „Pharma-Mall“ aus, einem Online-Shop der Pharma-Industrie, und bestellen dort direkt. „Aber das ist wiederum nur begrenzt möglich.“
Es rumort heftig
Angesichts dieser Situation rumore es derzeit heftig in den Apotheken. „Der Stand verkommt zu einem Einsparberuf und entfernt sich vom Ziel der bedarfsgerechten Versorgung der Patienten. Auf Dauer geht das nicht gut“, so die Apothekerin. Es werde Zeit für die Politik, hier einzugreifen und Bedingungen für eine ordnungsgemäße Belieferung der Apotheken auch für Deutschland zu schaffen.