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Gerichtsbericht

Er brachte acht Flüchtlinge illegal nach Deutschland – Schleuser bettelt um weitere Aufträge

Pasewalk / Lesedauer: 4 min

Weil ein Mann, der Flüchtlinge nach Deutschland schleuste, die Videoaufnahme als Beweis für das Gelingen vergessen hatte, zahlten ihm seine Auftraggeber keinen Cent. 
Veröffentlicht:19.08.2023, 06:36

Von:
  • Thomas Beigang
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Das ist endlich mal ein dankbarer Angeklagter. Und ein höflicher dazu. Er begrüße alle im Saal des Pasewalker Amtsgerichts, lässt der 36–jährige Georgier seinen Dolmetscher übersetzen. Der Mann, der seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt, verbeugt sich vor dem Staat, der ihn festhält: Er bedanke sich bei der Bundesrepublik für seine Aufnahme, sagt er weiter. Vielleicht kennt er die Verhältnisse in kaukasischen Gefängnissen.

Er schleuste acht Flüchtlinge ein

Auf Richter Gerald Fleckenstein jedenfalls macht das nur wenig Eindruck und auf die Staatsanwältin erst recht nicht. Die klagt den 36–Jährigen an, im Februar an drei Tagen insgesamt sechs Syrer und ein erwachsenes Geschwisterpaar aus Eritrea von der polnisch–weißrussischen Grenze und aus Lettland abgeholt, quer durch Polen kutschiert und schließlich hinter der deutschen Grenze abgesetzt zu haben. Dabei kam ihm seine Schusslichkeit gleich zwei Mal in die Quere. Beim ersten Termin vergaß er, die erfolgreiche Schleusung per Videoaufnahme zu filmen und als Beweis bei seinen Aiuftraggebern vorzulegen. Zur Strafe erhielt er kein Geld für die illegale Aktion — versprochen waren zwischen 500 und 750 Dollar pro erfolgreich geschleusten Menschen. Und als er bei seinem letzten Versuch mit drei Fahrgästen im Auto noch ein Stück auf der Autobahn 11 unterwegs war, fiel sein Fahrzeug einer Streife der Bundespolizei auf. Ein Rücklicht sei defekt gewesen, sagt ein Polizeimeister als Zeuge aus. Nur deshalb hätten er und seine Kollegen sich zur Kontrolle des Autos entschlossen. Die Auswertung der Handydaten des Fahrers hätten dann ergeben, dass der auch an den anderen beiden Tagen die Grenze überfahren hatte. Zudem, so ein Ermittler der Bundespolizei, hätten die Geschleusten den Mann zweifelsfrei als ihren „Chauffeur“ wieder erkannt.

Aus Geldnot angefangen

In den vergangenen Monaten haben Schleusungen von Russland über Belarus und Polen nach Ostdeutschland wieder zugenommen. So wurden laut Bundespolizei im ersten Halbjahr 2023 in Mecklenburg–Vorpommern bisher 748 Fälle bekannt, knapp 50 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2022.

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Er büße jetzt für seine Sünden, hadert der Angeklagte mit sich und erzählt von seiner Frau und den drei Kindern. Das vierte habe seine Frau verloren und daran gibt er sich die Schuld. Gemeinsam mit ihm lebten die schon eine Weile im polnischen Slubsk bei Gdansk, allerdings seien seine Gesuche um dauerhaftes Bleiberecht von den polnischen Behörden abgelehnt worden. Als er schon in Untersuchungshaft saß, habe seine Mutter dann die Familie zurück nach Georgien geholt, dort angekommen sei der Fötus aber nicht mehr am Leben gewesen. „Alles meine Schuld“, schüttelt der Familienvater den Kopf. Der davon berichtet, dass ein Fahrgast — der Mann arbeitete in Polen als Taxifahrer — ihm das lukrative Angebot der Schleusungen gemacht hatte. Die Not sei so groß gewesen ("Ich habe hohe Schulden in Polen und in Georgien"), nach der Schleusung, die ihm kein Geld einbrachte, soll er via Handybotschaften an die Auftraggeber geradezu flehentlich um neue Aufträge gebettelt haben, so der Ermittler nach Auswertung des Funktelefons.

Sogenannt „Garantieschleusung" 

Die Auswertung der beschlagnahmten Handys beweist immer wieder den professionellen Charakter der Schleusungen. Die Fahrer erhaten genaue Koordinaten, wo sie die Flüchtlinge aufnehmen sollten und wo diese später hinter der deutschen Grenze abgesetzt werden sollen. Dort in Deutschland soll dann ein Video von der Ankunft gedreht und gesendet werden. Erst dann, so berichteten Grenzpolizisten, können die Drahtzieher kassieren. Das Geld wird bei der Abreise auf ein sogenanntes Anderkonto eingezahlt und im Erfolgsfall — wenn der Migrant das Zielland erreicht hat — ausgezahlt. Die Ankunft zu registrieren ist dank moderner Handytechnik kein Problem. Garantieschleusung heißt das im Fachjargon.

Die Staatsanwältin will den gelernten Koch zwei Jahre und sechs Monaten hinter Gittern sehen, der Verteidiger des Georgiers, Rechtsanwalt Christian Neumann, bittet das Gericht um eine Bewährungsstrafe. Vergebens, Richter Fleckenstein und seine zwei Schöffen verurteilen den Angeklagten zu zwei Jahren und drei Monaten.

Der ist jetzt nicht mehr dankbar. Mit gesenktem Kopf und Fußfesseln trottet er neben seinen beiden Bewachern aus der Justizvollzugsanstalt her. Seine Familie muss weiter auf ihn warten.