Denkmalschutz

Gutshausretter versus Bohley – Tauziehen um Gutshaus in Gehren

Gehren / Lesedauer: 6 min

Zwei prominente Interessenten begehren das Gehrener Gutshaus. Lange hatte sich niemand für den Zweigeschosser interessiert. Warum nun plötzlich?
Veröffentlicht:02.09.2020, 10:38

Von:
  • Silke Voß
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Sanfte Hügelketten, wogende Felder, Wald und blühende Heide: So nimmt die Wildtierstiftung den von Eiszeit-Gletschern geformten Südosten des MV-Landes wahr. Hier, am Fuße der Brohmer Berge, im Gut Klepelshagen, hat die von Haymo G. Rethwisch gegründete Stiftung zum Schutz der heimischen Wildtiere ihren Sitz. Eine „grandiose Gegend“ rings um den Galenbecker See, findet auch die Schweriner Autorin Sabine Bock, die sich nicht nur als „Sammlerin“ mecklenburg-strelitzscher Herrenhäuser auf mehr als tausend Buchseiten bestens mit den ländlichen Schätzen auskennt. Unweit von Klepelshagen liegt Gehren, wo die Stiftung ein Schullandheim betreibt. Gehren verfügt auch über ein scheinbar unscheinbares Gutshaus. Um es zu retten, hat die Stadt Strasburg als Eigentümerin beschlossen, es zu verkaufen. Denn der Sanierungsaufwand ginge in die Millionen, wie Gehrens Ortsvorsteher Kurt Rabe bestätigt. Doch trotz der vermeintlichen Schlichtheit und der Kosten gibt es derzeit ein Tauziehen darum, und zwar von relativ prominenten Interessenten.

Da sind zum einen die als „Gutshausretter“ bundesweit bekannten Rensower Gutshausbesitzer Christina von Ahlefeldt Laurvig und Knut Splett-Henning. Die in Kopenhagen aufgewachsene Christina Ahlefeldt arbeitete in London mit Designern wie Vivienne Westwood, in Deutschland stylte sie das Grandhotel Heiligendamm. Mit ihrem Faible für historisches Einrichten hat sie es mit ihrem Gutshaus in diverse Antik- und Lifestyle-Zeitschriften europaweit geschafft. Ihr Partner, der Antikhändler Knut Splett-Henning, studierte internationale Beziehungen, Diplomatie und Wirtschaft und zog durch die Welt, lebte in Städten auf der ganzen Welt.

Bürgerbefragung soll helfen

Zum anderen ist da der Landschaftsarchitekt Anselm Bohley, Sohn der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Sein Portfolio weist Gärten namhafter Institutionen aus, so wie Arbeiten fürs Bundes­amt für Bauwesen in Berlin, die Bayrische Akademie der Künste oder die Bundesstif­tung Baukultur in Potsdam.

War das Gutshaus länger ein Problem für Gehren, da nichts passierte, so muss sich die Kommune nun plötzlich für eine von gleich zwei Interessentenparteien entscheiden. „Wir möchten vor allem, dass das Haus erhalten bleibt“, bekräftigt der Ortsvorsteher. Das Ergebnis einer Bürgerbefragung soll nun das Zünglein an der Waage bei der Entscheidung durch die Stadtvertreter Mitte September sein.

Gutshaus wurde vermutlich um 1700 gebaut

Was aber macht diesen unspektakulären Zweigeschosser in Gehren so begehrenswert? Sabine Bock, eine Autorität, wenn es um die Denkmalpflege im gutshausreichen Mecklenburg-Vorpommern geht, ist begeistert. Denn so, wie die Norduckermark unterschätzt werde, sei auch dieses Haus „ein Überraschungsei“. Unter dem Grauputz liege wohlproportioniertes Fachwerk, innen ein imposantes Treppenhaus, und die Art der Dachkonstruktion sei spätmittelalterlich. Sabine Bock datiert das sehr alte Haus im Kern auf eine Entstehungszeit um 1700, und auch das sei ungewöhnlich: Weil der Dreißigjährige Krieg im Nordosten besonders arg wütete, hatte unmittelbar nach dem Desaster eigentlich keiner mehr die Kraft für den Bau eines so repräsentativen Hauses. „Umso mehr freute ich mich nun, als Knut Splett-Henning den Wert des Hauses erkannte.“ Selbst Friedrich-Lisch-Preisträgerin, hat sie das Rensower Paar für den Denkmalpreis des Landes vorgeschlagen.

Denn Knut Splett-Henning und Christina Ahlefeldt sind bekannt für ihre Passion, nicht zuletzt seit der TV-Doku „Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“. Das einst marode Barockhaus Rensow lockt inzwischen innovative Menschen aus aller Welt. Und durch den Erwerb weiterer – aktuell sechs – vom Verfall bedrohter Häuser sowie eine ideenbrodelnde Gutshausküche haben sich etliche Weitere mit dem Gutshausgedanken „infiziert“ und damit eine ganze Region lebenswerter gemacht.

Ziel: Haus erhalten statt weiterverkaufen

Für Gehren sei es vor allem ihr erklärtes Ziel, das Haus zu erhalten, statt es weiterzuverkaufen. Sie wollen hierfür ein tragfähiges Rettungs-Konzept entwickeln. Wobei sie aus Erfahrung realistisch bleiben: Generell sei es mit jedem Gutshaus schwierig, ein stimmiges Konzept abzugeben, ohne die genauen Parameter zu kennen. In einem solchen Fall müsse man immer innovativ agieren. „Noch immer verlieren wir in unserem Landstrich unwiederbringlich historisch wertvolle Häuser“, betont Splett-Henning, Vorstandsmitglied der AG Gutsanlagen, „bau- und lokalhistorisch ein Riesen-Verlust.“

Daher haben beide unterschiedliche Szenarien für Gehren parat: Da es derzeit illusorisch sei, ein solches Objekt an Bewohner dauerhaft zu vermieten, schwebt ihnen dem „Trend zu Gemeinschaftsräumen“ folgend ein gemischtes Nutzungsmodell aus dauerhaften und temporären Bewohnern vor – als Ferienvermietung, Künstlerresidenz, Haus für Gruppen, mit Gemeinschaftsküche und Garten. Auch könne man früh Einnahmen durch Film- und Fotoprojekte generieren. Wie das geht, zeigten sie mit Dreharbeiten des ZDF in ihrem dafür ausgestatteten und international ausgezeichneten Objekt in Behren-Lübchin.

Freiräume werden derweil immer knapper, beobachten sie – sind in MV aber genügend vorhanden. Durch ihr weltweites Netzwerk sind nachweislich Firmen und Künstler hierhergekommen – und Anfragen, etwa von Musikproduzenten, Firmen und Architekten hätten sie viele weitere. Bei einem TV-Millionenpublikum könnten sie es sich nicht erlauben, ihren Ruf zu beschädigen. „Hätten wir den Eindruck, das Haus sei in guten Händen, würden wir unseren Kaufantrag sofort zurückziehen“, bekunden beide.

Stiftungen könnten als Geldgeber fungieren

„Ich lebe, seit ich acht Jahre alt bin, in Gehren“, betont Mitbewerber Anselm Bohley, der zumeist am Wochenende im benachbarten Pfarrhaus residiert. Seine Intention sei es, das Grundstück botanisch zu gestalten. „Ich möchte weiter im Pfarrhaus wohnen und von dort aus diese öffentlich zugängliche Oase schaffen. Denn hier existieren etliche Möglichkeiten der Gartengestaltung als Lebensraum für Insekten und Vögel, im erlebbaren Zusammenspiel von Pflanzen und Tieren“, möchte Bohley „etwas Schönes für den Ort“. Dafür habe der Gartengestalter hochkarätige Mitstreiter gewinnen können: Einer ist der Ornithologe und Verlagsgründer Arnulf Conradi. Er sitzt im Stiftungsrat der Hans- und Charlotte-Krull-Stiftung Berlin, deren Schwerpunkt in der Förderung künstlerischer Arbeitsstipendien liegt.

Das Gutshaus für solche Künstleraufenthalte zu öffnen, sei daher ebenfalls ein Ansinnen Bohleys, der inzwischen auch den Denkmalwert des Hauses erkannt habe. „Untersuchungen legen nahe, dass das Haus bereits 300 Jahre alt sein könnte.“ Werde das bestätigt, würde man zu seiner Rettung einen weiteren Mäzen ins Boot holen: die Herrmann-Reemtsma-Stiftung Hamburg, Förderer kultureller Projekte vor allem in Deutschlands Norden und Osten. Dies bestätigt auch Arnulf Conradi: „Ich glaube sicher, dass die Krull-Stiftung sich in irgendeiner Form beteiligt. Was die Hermann-Reemtsma-Stiftung angeht, so werden wir sicher einen Antrag stellen – ob dem entsprochen wird, kann ich nicht voraussagen, aber ich werde alles dafür tun.“ Die Krull-Stiftung hat auch den Fontane-Garten Lindow von Anselm Bohley gefördert.

Am Konzept Bohleys zum Gutshaus hegt jemand wiederum relativ Prominentes indes starke Zweifel, auch wenn mittlerweile von der eventuellen Haussanierung durch die Reemtsma-Stiftung die Rede ist: Alice Rethwisch, Frau des Gründers der Wildtierstiftung, Besitzerin des Schullandheims und seit Jahrzehnten hier ansässig. „Anselm Bohley hat sich bisher nur zum Park geäußert.“ Interesse am Gebäude hat er nämlich erst angezeigt, als die Stadtvertreter im Februar den Verkauf beschlossen und die „Gutshausretter“ bereits Kaufbegehren angezeigt hatten – obwohl bereits 40 Jahre direkt daneben wohnend.

Sabine Bock wünscht sich „Nachbarn auf Augenhöhe“, so wie ein Beispiel bei Demmin zeige. „Dort leben ähnliche Menschen in Pfarrhaus und Gutshaus nebeneinander – für alle ein doppelter Gewinn. Das wäre auch für Gehren ein Riesenzuwachs.“ Aus der Bürgerbefragung zeichne sich bereits eine Tendenz ab, verriet Kurt Rabe indes – nicht aber, welche.