StartseiteRegionalPasewalkSchleuser raten den Flüchtlingen: „Geht dahin, wo Häuser stehen“

An der polnischen Grenze

Schleuser raten den Flüchtlingen: „Geht dahin, wo Häuser stehen“

Blankensee / Lesedauer: 5 min

In den Dörfern an der deutsch-polnischen Grenze zählen Einsätze der Bundespolizei, die illegal Eingereiste aufsammeln, zum Alltag. Wie gehen Einwohner damit um? Ein Besuch vor Ort.
Veröffentlicht:03.10.2023, 05:30

Von:
  • Thomas Beigang
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Die Trauergäste auf dem Friedhof in Blankensee zogen die Köpfe ein. Dicht über ihnen kreiste am vorletzten September-Wochenende ein Hubschrauber der Bundespolizei, auf der Suche nach eingeschleusten Flüchtlingen. Nach noch mehr Flüchtlingen. Gerade hatten die Kollegen unten im Dorf mehr als 30 Leute aufgegriffen.

Ähnliche Dimension wie im Herbst vor zwei Jahren

Viel Mühe hatten die Grenzschützer mit denen nicht. Denn die Männer standen brav auf dem Hof eines Einwohners. Der hatte die umherirrenden Menschen hereingelassen, ihnen etwas zu trinken und zu essen rübergereicht und die Bundespolizei in Pasewalk informiert. Die kam schnell, wie üblich wohl. „Das klappt schon“, sagt Blankensees Bürgermeister Stefan Müller. Nie würde es lange dauern, bis die Uniformierten eintreffen und die Migranten einsammeln.

Aktuell hat die Bundespolizei die Präsenz in Grenznähe verstärkt, denn die Zahl unerlaubter Einreisen über die polnische Grenze hat zuletzt stark zugenommen. (Foto: Bernd Wüstneck)

Müller und seine Nachbarn in dem Dorf nördlich von Löcknitz, direkt an der deutsch-polnischen Grenze, können sich darüber ein Urteil erlauben. Denn längst zählen Einsätze der Bundespolizei in Blankensee und Umgebung zur wöchentlichen Routine, die Zahl der aufgegriffenen Geflüchteten erreicht schon wieder die Dimensionen aus dem Herbst vor zwei Jahren. Damals hinderte Weißrussland Flüchtlinge offensichtlich nicht mehr an der Weiterreise nach Westeuropa. Und an der gemeinsamen Grenze im Osten musste die Republik Polen sogar schon den Notstand ausrufen. Tausende Migranten hingen dort fest, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sah sich gezwungen, die verzweifelte Lage der Flüchtlinge dort scharf zu kritisieren.

Sorgen und Ängste auch jenseits der Flüchtlingswelle

„Ausbaden“ mussten das die Einwohner der Grenzdörfer, Bürgermeister Müller beklagte seinerzeit regelrechte Müllberge. Die gibt es jetzt nicht, trotz der wieder großen Zahl aufgegriffener Flüchtlinge. Warum, darüber kann das Gemeindeoberhaupt nur spekulieren. Vielleicht, so spekuliert Müller, räumen die Bundespolizisten auf, wenn sie die Migranten in ihre Autos laden.

Die Stimmung unter den knapp 600 Einwohnern in seinen Dörfern ‐ zur Gemeinde zählen Blankensee, Pampow und Freienstein ‐ sei aber denkbar schlecht, so der Bürgermeister. Und daran seien nicht nur die Flüchtlinge schuld. „Die Inflation macht den Leuten zu schaffen, auch die umstrittenen Einschränkungen aus der Corona-Zeit sorgen immer noch für Streit.“ Und dann seien da noch die Ängste ob der Unwägbarkeiten der „großen“ Politik, ob in Berlin oder Brüssel.

Müller weiß ein Beispiel: Unter seinen Leuten leben einige Ältere, die 1945 als Kinder mit ihren Müttern auf der Flucht aus dem Osten in Blankensee strandeten. „Die wissen noch, wie sie bei den hiesigen Bauern einquartiert wurden, ob das den Hofbesitzern passte oder nicht. Und jetzt fürchten sie, ihnen passiert vielleicht bald Gleiches.“ Da könne er sich den Mund fusslig reden, winkt der Bürgermeister ab, von wegen Grundgesetz und so und dass niemand andere Menschen in seinen vier Wänden aufnehmen muss. Solche irrationalen Ängste seien nun mal da.

Ein einsamer Radfahrer und eine Show für die Presse

Am kleinen Grenzübergang, wenige Hundert Meter vom Gemeindebüro in Blankensee entfernt, macht gerade ein Radfahrer mit neongrüner Warnweste eine Pause. Der Mann kommt aus Richtung Penkun und ist auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs. Außer dem Pedalritter ist hier kein Mensch auf dem Abschnitt zwischen Blankensee und dem polnischen Dörfchen Bug auf der anderen Seite der Grenze zu sehen.

Der kleine Grenzübergang in Blankensee liegt verlassen da. (Foto: Thomas Beigang)

Ein paar Kilometer südlich, am großen Grenzübergang in Linken, demonstriert die Bundespolizei zur gleichen Zeit gerade mit viel Personal, wie Grenzkontrollen aussehen können. Davon hält Blankensees Bürgermeister nicht viel: „Was sollen die bringen?“, schüttelt er den Kopf. Kontrollen in Linken und vielleicht in Pomellen an der Autobahn und dann? Was passiert an den kleinen Übergängen wie in Blankensee oder Rieth? Oder an der grünen Grenze, abseits der offiziellen Durchlassstellen?

Müller lehnt das ab, aus rein pragmatischen Gründen. Und auch für die Vereinigung der Unternehmensverbände in Mecklenburg-Vorpommern ist klar: Grenzkontrollen würden das Problem der steigenden Flüchtlingszahlen nicht lösen. Schleuser suchten sich neue Wege. Am Ende leide durch Staus an Grenzübergängen die Wirtschaft ‐ auch in der Metropolregion Stettin, so Verbandssprecher Sven Müller.

Einwohner aus elf Nationen leben in der Gemeinde

Wie gut die Zusammenarbeit mit den Nachbarn funktionieren kann, weiß kaum jemand besser als der Blankenseer Bürgermeister. Mehr als jeder zehnte Einwohner in seiner Gemeinde kommt aus Polen, auch in der Gemeindevertretung und in der Freiwilligen Feuerwehr engagieren sich die Neubürger. Überhaupt, Blankensee kann mit gutem Gewissen als international gelten, Einwohner aus elf Nationen leben in der Gemeinde, die im Wettbewerb um das schönste Dorf vor einigen Jahren immerhin einen stolzen vierten Platz belegen konnte. Ob Milchbauern aus den Niederlanden oder eine Frau aus Peru, die mit der Familie nach Jahren in Berlin in Blankensee einen neuen Mittelpunkt fand ‐ die Dorfbewohner kommen gut miteinander aus.

„Eigentlich auch mit den neuen Flüchtenden“, sagt der Bürgermeister. Deren Aufenthaltsdauer im Dorf sei denkbar kurz und Ärger würden sie nicht machen, auch wenn sie zielgerichtet Dörfer wie Blankensee anlaufen, um von der Bundespolizei aufgegriffen zu werden. „Die Schleuser geben ihnen schon mit auf den Weg, dorthin zu gehen, wo sie Häuser sehen. Dann würde alles sehr schnell gehen“.