Nord Stream 2
Rätselraten um Zebra-Schiff im Hafen auf Rügen
Sassnitz / Lesedauer: 6 min

Ralph Sommer
Ein Hingucker ist dieses Schiff auf jeden Fall. Schwarz-weiß gestreift wie ein Zebra liegt die „Sans Vitesse“ („Ohne Geschwindigkeit“) am Behördenkai im Sassnitzer Westhafen – ein 75 Meter langes Wohnschiff mit eckigem Streifendesign an der Bordwand. Es erinnert an die "Dazzle"-Camouflage von älteren Kriegsschiffen. Eigentlich ein nettes Fotomotiv. Doch das düstere Umfeld passt so gar nicht als Urlaubserinnerung.
Seit die schwimmende Herberge der niederländischen Reederei Chevalier Floatels vor einigen Tagen am Behördenkai gleich neben der Wasserschutzpolizei festgemacht hat, wird viel über das von Polizeistreifen überwachte „Zebraschiff“ in Rügens größtem Hafen spekuliert. Hinter einem Gitterzaun mit verschlossenen Toren wirkt es unnahbar. Ein Sicherheitsmann versperrt den Zugang zur Gangway. Wer hier wohne oder demnächst wohnen werde, will er nicht sagen. Hinter einem dunklen Fenster mit einem vertrockneten Blumenstock ist für einen Moment ein fahles Gesicht zu sehen.
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Die Behörden halten sich mit Aussagen zurück. Doch in Sassnitz hat sich herumgesprochen, dass hier demnächst Arbeiter logieren sollen, die den Ende 2019 nach Trumps Sanktionsdrohungen unterbrochenen Bau der Ostseegaspipeline Nord Stream 2 abschließen sollen.
Sanktionen gegen Firmen und Unterstützer von Nord Stream 2
Gleich nebenan und ebenso von der Außenwelt abgeschottet liegt ein weiteres sogenanntes Floatel an der Kette. Davor steigt ein Mann um die Fünfzig aus einem Transporter mit Hamburger Kennzeichen und bringt eine Palette Sprudelwasser an Bord. Auf dem Deck der „Rossini“ rauchen Männer und eine Frau Zigaretten. Ob man mit ihnen sprechen könne, bleibt unbeantwortet. „No Comment!“, ruft die Frau hinüber zu den früher öffentlichen Parkplätzen an Land, die inzwischen auch von der Hafengesellschaft eingezäunt und für die Bewohner der Wohnschiffe reserviert wurden.
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Seit Anfang Juni US-Senatoren in einem offenen Brief drastische Sanktionen gegen Firmen und Unterstützer der missliebigen zweiten Gastrasse von Russland nach Lubmin bei Greifswald angekündigt hatten, herrscht Unsicherheit, aber auch Trotz in Sassnitz. Keiner will sich äußern oder gar namentlich in der Presse erwähnt werden.
Nur der Sassnitzer Bürgermeister Frank Kracht (Linke) ist inzwischen ungewollt international zu einer Berühmtheit geworden. Denn seine Stadt ist Miteigner des Basishafens im benachbarten Mukran, wo seit Monaten die letzten Rohrverbindungen für die Montage auf See lagern. Der 53-Jährige vermutet, dass er in den USA ebenso wie sein gleichaltriger Amtskollege Axel Vogt (CDU) im Anlandeort Lubmin zur unerwünschten Person erklärt werden könnte.
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Treffen in den USA wohl nicht möglich
Kommendes Jahr wäre Kracht gern zu einem Jugendtreffen in die Sassnitzer Partnerstadt Port Washington (Wisconsin) gereist, aber das ginge mit Sanktionen wohl nicht mehr, sagte er. Einschüchtern wolle er sich trotzdem nicht lassen, stellte Kracht klar, als er vor einigen Tagen zu Frank Plasbergs ARD-Diskussionrunde „Hart aber fair“ über den Wahlkampf von US-Präsident Donald Trump zugeschaltet wurde: „Wir dürfen uns von den starken Männern dieser Welt nicht unseren Mut nehmen lassen.“ Privat könne er mit eventuellen Sanktionen leben. Einzufrierendes Vermögen besitze er in den USA ohnehin nicht.
Seine Partei protestiert inzwischen lautstark gegen die Amerikaner. An 75 Standorten auf Rügen lässt die Linke derzeit Plakate mit einer Trump-Karrikatur aufstellen, in der sie sich eindeutig zu Nord Stream 2 bekennt. Die Situation zwischen Deutschland und den USA erinnere sie an den Kalten Krieg, sinniert Bundestagsabgeordnete Kerstin Kassner (Linke). Kanzlerin Merkel sollte gegenüber Trump selbstbewusster auftreten.
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Ein Sprecher von Port Mukran verweist darauf, dass rund 500 Arbeiter im Hafen beschäftigt seien, inklusive Fremdfirmen. Neben dem Niedergang der Fischerei, dem Wegbleiben der Kreuzfahrtschiffe und dem Corona-Einbruch im Rügen-Tourismus und im Einzelhandel wäre das Aus für die Pipeline ein weiterer herber Rückschlag für die Insel-Wirtschaft, sagt ein Sassnitzer, der seinen Namen nicht im Nordkurier lesen will.
Verlegeschiff im Hafen Mukran
Die Verunsicherung, ob es tatsächlich zur Fertigstellung der umstrittenen Pipeline kommen wird, ist groß. Seit Wochen liegt im nahegelegenen Industrie- und Fährhafen in Mukran das russische Verlegeschiff „Akademik Cherski“. Der 150 Meter lange Rohrverleger hatte im Februar Russlands fernöstlichen Hafen Nachodka verlassen und war über den Nord-Ostsee-Kanal in die Ostsee gesteuert, um den Bau zu vollenden. Zuvor hatten die von den USA eingeschüchterten Besatzungen der Schweizer Pipelineschiffe „Solitaire“ und „Pioneering Spirt“ über Nacht die Schweißarbeiten eingestellt, den verschlossenen Pipelinestrang auf den Meeresboden versenkt und waren nach Norwegen abgezogen.
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Wann denn endlich die noch fehlenden knapp 160 Kilometer Strang verlegt werden, vermag auch Steffen Ebert nicht zu sagen. Er ist Pressesprecher der Nord Stream 2 AG, die zum russischen Gazprom-Konzern gehört, der wiederum die „Akademik Cherski“ an die russische Kapitalgesellschaft STIF übertragen hatte, offenbar um Gazprom dem Zugriff der US-Sanktionen zu entziehen. „Wir suchen derzeit nach Lösungen für den Weiterbau“, sagt er. Aber er wisse weder, was derzeit in Sassnitz und Mukran geschehe, noch wie und wann es weitergehe.
Nervosität auf Rügen ist spürbar
Die Nervosität der Verantwortlichen auf Rügen ist spürbar. Noch am Dienstag hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) während eines Besuchs ihres Wahlkreises in Vorpommern ihren Willen zur Fertigstellung der Pipeline bekräftigt. Man halte diese exterritorialen Sanktionen, die über das Gebiet der Vereinigten Staaten hinausgehen, für nicht rechtens, sagte sie in Stralsund. Doch schon einen Tag später, als sich bestätigte, dass man den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet hatte, wurde der Ruf nach einer klaren und harten europäischen Antwort gegen Russland deutlich lauter.
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Nachdem die Grünen schon länger für einen endgültigen Baustopp plädieren, regt sich nun auch Widerstand in den eigenen Reihen. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen zum Beispiel forderte, Nord Stream 2 auf den Prüfstand zu stellen. Wenn es jetzt zur Vollendung des Gasprojektes käme, dann wäre das die maximale Bestätigung und Ermunterung Wladimir Putins, mit genau dieser Politik fortzufahren. Es gebe nur eine Sprache, die der russische Präsident verstehe, polterte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.
Die Folgen, befürchten die Rügener, wird man ganz sicher auch in Sassnitz und Mukran spüren.