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Schön, aber arrogant

Warum sind viele Hiddenseer so unfreundlich?

Hiddensee / Lesedauer: 6 min

Norddeutschen, speziell den Pommern und ganz speziell den Hiddenseern sagt man nach, eher wenige Worte zu machen und sich anfangs ziemlich reserviert zu verhalten. Das kann man mögen. Nicht aber, wenn Schroffheit zur Unfreundlichkeit mutiert.
Veröffentlicht:24.11.2019, 10:27

Von:
  • Ralph Sommer
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Ein kurzer Hinweis vorab: Zu diesem Aritkel gab es zahlreiche Zuschriften und Kommentare von unseren Lesern. Viele haben Ähnliches erlebt, aber ebenso viele berichteten auch über nette Begegnungen mit Inselbewohnern, wie Sie hier lesen können.

Zugegeben, der Auftrag kam sehr kurzfristig. Ein großes deutsches Magazin benötigt ganz dringend einen Text über Hiddensee in der Nebensaison und fragt den Nordkurier um Hilfe. Klar, dass wir den Kollegen helfen. Termin: Morgen! Keine Zeit für große Vorbereitungen und Verabredungen. Ich versuche es trotzdem.

Am Telefon bitte ich um ein Gespräch mit der Kurdirektorin, nur ein paar Minuten. Ich sollte mein Anliegen mailen, sagt die Sekretärin, man rufe zurück, versprochen. Ich warte bis zum späten Abend. Keine Reaktion.

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Am Morgen danach nehme ich auf gut Glück die Fähre. Am Ticketschalter herrscht mich eine Frau an, warum ich denn nicht Kurtaxe zahlen wolle. Ich sage ihr, dass ich dienstlich nach Hiddensee müsse. Die Antwort: „Sie sehen aber aus wie ein Tourist.“

„Frag doch die Neue, die macht das gerne.“

In Vitte gehe ich an Land. Ich finde das Rathaus und treffe auf den ehemaligen Kurdirektor Alfred Langemeyer. Ich will ihn fragen, welche Faszination jetzt im Herbst von der Insel ausgeht, ob er vielleicht einen Ausflugstipp hat. „Ist nicht mehr mein Bier“, sagt er. „Frag doch die Neue, die macht das gerne.“

Die Neue ist Vanessa Marx, 25, war einige Jahre als Partysängerin etwa auf Aida-Schiffen unterwegs und ist seit dem Frühsommer Kurdirektorin auf dem söten Länneken, wie die Hiddenseer ihr Eiland nennen.

Vor ihrem Büro treffe ich die Sekretärin. Ich bitte um drei Minuten Gespräch, nicht unbedingt sofort, irgendwann heute, ich sei den ganzen Tag auf der Insel. Ja, Frau Marx sei da, sagt sie. „Ich frag mal nach“. Eine Minute später ist sie zurück. „Nein, Frau Marx hat keine Zeit, auch keine drei Minuten, den ganzen Tag nicht. Sie können ja Ihre Fragen mailen.“ Ich verzichte. Bloß nicht noch eine Mail!

„Hauptmann oder Ballermann – quo vadis Hiddensee?“

Ich schwinge mich auf ein Leihfahrrad und erkunde die Umgebung. Mit fällt auf, dass das bei Touristen so beliebte Inselchen auch 30 Jahre nach der Wende noch immer so manchen Schandfleck nicht losgeworden ist. An einem grauen, leer stehenden dreistöckigen Eckhaus in Vitte lese ich auf einer verrosteten Tafel, dass hier Gerhart Hauptmann in den Sommermonaten 1896-1899 gewohnt und gearbeitet hatte, lange bevor er in Kloster das Haus „Seedorn“ kaufte. Über der Tafel hat jemand mit schwarzer Farbe „Hauptmann oder Ballermann – quo vadis Hiddensee?“ geschrieben.

Das sei eine Anspielung auf das Landeserntedankfest, das von der singenden Kurdirektorin als „Hiddensees Botschafterin“ organisiert worden sei, sagt mir ein Einheimischer. Er lächelt grimmig. „War ein Riesen-Flop – Erntedankfest auf einer Insel ohne Bauern, dafür aber mit dem ‚König von Mallorca‘, Jürgen Drews, und Ballermann-Sänger Schäfer Heinrich!“ Die Schlagerparty habe so gar nicht zu Hiddensee gepasst, sagt der Mann.

Bürgermeister Thomas Gens

Derjenige, der das umstrittene Landeserntedankfest auf das söte Länneken geholt hatte, ist Hiddensees ehrenamtlicher Bürgermeister Thomas Gens, einst Hochseefischer und ein Mann mit bewegter politischer Vergangenheit. Ich treffe ihn im Hafen von Kloster. Auf einem heruntergekommenen alten Kutter heizt er gerade den Räucherofen an, aus dem er mittags Fisch verkauft.

Ich frage ihn, ob er ganz kurz für den Nordkurier Zeit habe. Dann telefoniert er. Eine Viertelstunde später fragt er, worum es gehe. „Ich muss räuchern, hab keine Zeit,“ ruft er. Auch keine zwei Minuten, fragt der Reporter. „Was denn, willst etwa du für mich die Fische räuchern,“ blafft er mich an.

Ich habe die Nase voll von der Unfreundlichkeit jener, denen doch eigentlich an Werbung für ihre schöne Insel gelegen sein sollte. Haben die das womöglich nicht mehr nötig? Sind die Hiddenseer es leid, jeden Tag Massen von Touristen zu ertragen?

Frau Marx blockt ab, aber Herr Engels hat Zeit

Nur ein paar Meter von Hafen entfernt treffe ich auf Henry Engels, Sohn von Willy Engels, dem legendären „Bernsteinkönig von Hiddensee“. Auch Henry ist Bernsteinfischer und Bernsteinschleifer geworden, führt mit seiner Frau Sandra eine kleine Verkaufswerkstatt.

Die Familie reagiert auf meinen unangekündigten Besuch so ganz anders als Frau Marx im Rathaus, offen und richtig warmherzig. Sie schwärmen, machen Lust auf Hiddensee. „Jetzt, im stürmischen Herbst ist es doch erst richtig schön hier“, sagt der Künstler, der bei Südwest-Sturm zum Kescher greift und in der Gischt nach dem „Gold des Meeres“ fischt.

„Wenn du Ruhe suchst und mal so richtig vom Alltagsstress abschalten willst, dann komm im Winter nach Hiddensee“, rät Engels. Hier könne man stundenlang über einsame Strände spazieren, ohne eine Menschenseele zu treffen.

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Beschwerden über fiese Hiddenseer

Hunderte Internet-Einträge begeisterter Urlauber und Tagesgäste bestätigen die Einmaligkeit der autofreien Ostseeinsel. Doch in den sozialen Netzwerken finden sich auch zunehmend frustrierte Reaktionen. In Sachen Servicequalität, Gastfreundschaft und auch kulinarisch sei Hiddensee ein Entwicklungsland, schrieb ein Frankfurter

„Eine wunderschöne Insel mit teilweise unfreundlichen Einheimischen“, bestätigt ein Nutzer mit dem Namen Destination. Und Maria E. aus Zwickau hat wohl gänzlich mit Hiddensee gebrochen: „Schmuddelig und ungepflegt wirkt sehr viel, das muss nicht sein, die Insel hat sehr verloren. Wir werden Hiddensee nicht mehr als Sehnsuchtsort betrachten.“

Johannes aus dem bayerischen Marktoberdorf ist der Meinung, dass die vorbehaltlose Begeisterung noch arg von den Erfahrungen aus DDR-Zeit zehre. „Damals hat man ja den Hiddenseern die Füße geküsst für die Möglichkeit, im ausgebauten Hühnerstall zu übernachten. Dieses Elitedenken ist noch in vielen Insulaner-Köpfen zu finden. Freundlichkeit muss man wirklich suchen.“

Die Fischer haben es schwer

Eigentlich mag ich ja die etwas eigenen Hiddenseer. Ich frage mich, wie ich wohl reagieren würde, wenn vier Monate lang tausende Tagesgäste an meinem Haus vorbeiradeln. Der Besuch bei den Engels hat mich wieder etwas versöhnt mit den Insulanern.

Da stört mich auch nicht mehr so sehr, dass der Fischer, der mir im Hafen Vitte auf seinem Kahn zwei Dorsche verkauft, dabei kein einziges Wort verliert und nicht einmal aufschaut. Die Fischer haben es eh schwer heutzutage, denke ich und gebe sogar ein stattliches Trinkgeld – selbstverständlich ohne ein Wort des Dankes zu erwarten. Es kommt auch keins.