Mutter trauert um Sohn

„Ich wollte an Ingos Stelle sterben“

Gramzow / Lesedauer: 5 min

Ihr Jüngster sollte Christa und Wilhelm Aschenbrenner im Alter pflegen. Doch dann schlug das Schicksal bei der Gramzower Unternehmerfamilie zu.
Veröffentlicht:12.04.2022, 14:23
Aktualisiert:12.04.2022, 18:27

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Seine Spanferkel, die waren eine Wucht. Noch Monate nach dem Tod von Ingo Aschenbrenner schwärmt man in Gramzow und Umgebung von den Büfetts, die der gelernte Fleischer viele Jahre lang gemeinsam mit seiner Mutter ausgerichtet hat. Über hundert Kondolenzbriefe bekam die 83-Jährige letztes Jahr nach dem Ableben ihres Jüngsten: „Und in allen stand, dass mein Sohn ein guter Spanferkel-Brater und ein noch besserer Mensch gewesen ist.“

Bei der Beerdigung habe der Friedhof ihres Heimatdorfes die vielen Menschen kaum fassen können, die Abschied nehmen wollten, erinnert sich die pensionierte Unternehmerin zurück: „Das war schön zu sehen, wie angesehen er überall war. Aber lieber hätte ich dort an seiner Stelle gelegen.“ Christa Aschenbrenner kann bis heute nicht realisieren, dass es ihren Nachzügler nicht mehr gibt: „Als es mit ihm zu Ende ging, habe ich gefleht, dass der Tod doch mich nehmen soll und nicht ihn, aber es hat nichts genützt.“

Mit 53 gestorben

Ende Februar 2021 wurde der 53-Jährige viel zu früh zu Grabe getragen, nach monatelangem, vergeblichen Kampf gegen den Krebs. „Über 30 Chemotherapien hat er ertragen, um die Geschwulst in seinem Kopf zu stoppen. Doch genützt hat das alles nichts. Er ist elendig zugrunde gegangen.“ Vier Monate danach hatte die trauernde Mutter dann auch noch Ehemann Wilhelm beerdigen müssen, der in seinem 84. Lebensjahr starb. „Das war ebenfalls schlimm, aber nicht das Gleiche, als wenn ein Kind vor einem geht. Dann stirbt man als Mutter ein stückweit mit.“ Bis heute nicht verzeihen kann sich die alte Dame, dass sie nicht am Bett ihres Nesthäkchens saß, als bei ihm die letzte Stunde gekommen war.

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Die ersten Tage im Eggesiner Hospiz hatte sie ihn noch besucht: „Doch zum Schluss fehlte mir einfach die Kraft dafür. Ich konnte sein Leiden nicht mitansehen und nicht ertragen, dass ich gegen seine Schmerzen machtlos war. Ach, wäre ich doch nur an seiner Statt gewesen.“ Zum Glück eilten seine drei Brüder ans Sterbebett, als es soweit war. Vor allem Olaf, der Älteste des Quartetts, wich nicht mehr von Ingos Seite, als dessen Ende nahte. Der 63-Jährige ist es auch, der jetzt versucht, ihr ein Stück der Trauer zu nehmen.

Bilder der Toten

„Aber ich kann mich einfach nicht beruhigen“, räumt die langjährige Inhaberin des Fleisch- und Wurstwarenladens in der Meisterstraße ein: „Ich gehe jeden Tag in den Anbau rüber, wo die Bilder meiner beiden Toten stehen und streichle sie.“

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Im Gespräch mit dem Uckermark Kurier erinnert sich die Seniorin, wie man ihr als junger Mutter von vier Kindern das Gramzower Objekt einst zum Kauf angeboten hatte. Zunächst betrieb sie die davor befindliche Filiale für ihren Arbeitgeber, den Konsum, wo sie anfangs als Springer für die Orte Ellingen, Holzendorf und Dedelow zuständig gewesen war. 1992 dann nahm sie allen Mut für die Selbstständigkeit zusammen: „Das Geschäft war mein Leben. Das hat so viel Spaß gemacht all die Jahre. 20 Kisten mit Ware habe ich Tag für Tag umgesetzt. Vorm Wochenende kamen immer die Urlauber, die nach Warnitz und zum Quast wollten und haben sich mit Wurst eingedeckt. Wir hatten richtig gute Zeiten, und ich habe das nie als Stress empfunden.“ Ingo sei der gewesen, der in ihre Fußstapfen trat, erzählt sie stolz: „Die Ausbildung bei Lucht in Prenzlau war für ihn kein Zuckerschlecken. Aber er hat sich durchgebissen.“

Imbiss ausgebaut

Auch wenn ihr Jüngster später völlig branchenfremd bei einem Bahndienstleister seine Brötchen verdiente, blieb er seiner Mutter eine Stütze im Geschäft. „Er war eine große Hilfe, als es mit dem Laden später nicht mehr so lief und ich mir das Catering aufgebaut habe. Es war seine Idee, den Spanferkelbackofen anzuschaffen und an der Stelle des ehemaligen Stalls einen kleinen Gastraum hochzuziehen. Mit dem Imbiss hatte er noch so viel vor. Beim Ausbau waren alle Söhne eine große Hilfe gewesen, vor allem Jörg und Lutz, der Dachdecker und der Fliesenleger.“ Bis vor vier Jahren hatte die Familie noch Büfetts für Familien- und Firmenfeiern ausgerichtet.

Wenn Christel Aschenbrenner von ihren Jungs spricht, wird ihr Gesichtsausdruck ganz weich. Keine Frage, die Kinder sind ihr Vermächtnis, also das, was bleibt, wenn sie nicht mehr ist. Aber dass der Jüngste vor seinen Eltern starb, sei an Grausamkeit kaum zu überbieten, seufzt die Rentnerin leise: „Schließlich war er es doch, der immer bei uns gelebt hat und uns im Alter mal pflegen wollte. Doch dann kam alles anders ...“ Sie hadert damit, „dass die Menschheit ins All fliegt und alles Mögliche erforscht, aber noch immer kein Mittel gegen den Krebs gefunden hat.“