StartseiteRegionalUckermark„Keine Kohle – das ist ja fast wie nach dem Krieg ...“

Heizmittel knapp

„Keine Kohle – das ist ja fast wie nach dem Krieg ...“

Prenzlau / Lesedauer: 5 min

Die Mändles aus der Uckermark fürchten weder, zu verhungern noch zu erfrieren. Aber die vierfachen Eltern sehen mit Sorge, wohin die Entwicklung gerade geht.
Veröffentlicht:22.09.2022, 14:00

Von:
  • Claudia Marsal
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Hermann Mändle ist in Notzeiten groß geworden. Kurz vorm Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geboren, erlebte der Bauernsohn aus Hohengüstow schon als Kind, wie sich viele Menschen mit wenig begnügen mussten. Der 85-Jährige erzählt von den Lebensmittelkarten, die es in der DDR noch bis 1958 gab, und von Bezugsscheinen, die man bis 1966 für Kohlen benötigte. Eine Kontingentierung wünscht sich der Senior aktuell fast zurück, wie er dem Uckermark Kurier in dieser Woche nur halb im Scherz sagte. Wenn es nicht so traurig wäre, würde der langjährige Vorarbeiter des LPG-Kartoffellagers über die momentane Knappheit Scherze machen, so nach dem Motto: Das ist ja fast wie nach dem Krieg.

Aber der Rentner weiß, dass die Lage ernst ist und der Engpass bei Briketts nicht nur ihn vor Schwierigkeiten stellt. Unzählige Menschen sind auf dieses Heizmittel nach wie vor angewiesen. Die Mändles könnten streng genommen noch auf ihre (aktuell defekte) Gastherme oder den Kamin ausweichen.

Lager sind leer

Den kleinen Ofen ungarischer Bauart, für den sie drei bis vier Kohlen pro Tag benötigen, haben die Eheleute erst vor acht Wochen angeschafft – zur Sicherheit, als sich die immense Verteuerung bei Energie abzuzeichnen begann. Fast parallel zum Kauf des kleinen Küchenherdes sahen sie sich nach Briketts um. „Aber überall bekamen wir zu hören, dass die Lager leer sind oder dass keine neuen Kunden mehr angenommen werden.“ Auch, dass der Lkw unter einer Tonne Bestellware nicht losfahre, wurde ihnen gesagt, setzt Ehefrau Helga hinzu. Doch obwohl ihr Mann sofort versicherte, die für ihre Familie benötigten 400 Kilo selbst abzuholen, kam der Kauf nicht zustande, weil keine Kohlen da waren, erklärt die langjährige Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes. Das Ehepaar weiß, dass es Briketts in Kleinstabpackungen aus dem Baumarkt holen könnte. „Fast zum Goldpreis“, scherzt die 73-Jährige – aber zum Lachen ist ihr eigentlich nicht zumute. Die Mändles wollen nicht jammern.

Politik muss handeln

Sie fürchten weder, zu erfrieren noch zu verhungern, aber sie sehen die derzeitige Entwicklung in der Gesellschaft mit großer Sorge. Dass im Jahr 2022 wieder Menschen Angst haben, ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können, sei ungeheuerlich. Längst nicht alles sei mit dem unsäglichen Krieg in der Ukraine begründbar, obwohl der umgehend auf diplomatischem Weg beendet werden sollte, wie die zwei betonen. Doch auch darüber hinaus müssten die Politiker ihre Hausaufgaben machen, setzen sie nachdenklich hinzu.

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Die beiden Senioren wollen die Verantwortung für die prekäre Lage nicht nur den aktuell regierenden Parteien anlasten. Auch davor seien schon gravierende Fehler gemacht worden, manifestiert das Paar. Aber jetzt mit Gewalt innerhalb kürzester Zeit die Energiewende vollziehen zu wollen, sei gefährlich, bekräftigen die vierfachen Eltern, die sich nicht nur um die Zukunft ihrer beiden Söhne und der zwei Töchter sorgen, sondern auch darum, in was für eine Welt ihre sieben Enkel hineinwachsen. „Keine Frage: Wir Deutschen haben jahrzehntelang über unsere Verhältnisse gelebt. Unser Wohlstand war auf der Armut anderer Völker begründet“, versichert Hermann Mändle. Er verstehe, dass sich Afrika auf den Weg nach Europa mache; „denn die Menschen sehen ja im Internet, wie vergleichsweise gut es uns hier immer noch geht. Das wollen sie auch haben.“ Aber dieses Problem sei nicht zu lösen, indem man jetzt hierzulande die Bewohner verarmen lasse und bewusst in eine Notlage führe, betont er abschließend, dann drohe neben dem Chaos auch ein Rechtsruck in der Bevölkerung.

Mehr als verdoppelt

Dass weniger Briketts als noch im Vorjahr verfügbar sind, merken deutschlandweit die Brennstoffhändler. Viele Kunden hatten im Frühjahr bereits die doppelte Menge im Vergleich zum Vorjahr bestellt. Eine Zeit, in der der Preis für den Zentner Kohle noch bei etwa 12 Euro lag. Mittlerweile ist er bei etwa 20 Euro angekommen. Die Zukunft sieht alles andere als rosig aus. Die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG), die Braunkohle veredelt, hat jüngst in einem Schreiben an alle Brennstoffhändler aufhorchen lassen. Es könnte zu Lieferengpässen im Oktober und November kommen, heißt es darin. Der Grund sei der enorme Mehrbedarf für die Verstromung von Kohle aufgrund der Gaskrise.

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Thoralf Schirmer, Pressesprecher der LEAG, nennt noch eine weitere Ursache für die Kohle-Knappheit. „Die zweite Brikettfabrik im Rheinland wird schließen und hat ihre Produktion für Privatkunden schon eingestellt“, erklärt Schirmer. Damit sei die LEAG der einzige Veredelungsbetrieb, also Briketterzeuger, in Deutschland. So hätte sich ihre Produktion seit Jahresbeginn im Vergleich zu 2021 um 40 Prozent erhöht. Weil der Betrieb die Nachfrage trotz Personaleinstellungen aktuell kaum noch bewältigen könne, nimmt er zurzeit keine Bestellungen mehr an. „Es werden aktuell alte Bestellungen abgearbeitet“, sagt Schirmer mit Blick auf Kunden wie Baumärkte, Brennstoffhändler und Industriebetriebe.