„Zwei Euro Rundfunkbeitrag reichen aus“
Prenzlau / Lesedauer: 5 min

Professor Michael Meyen macht die deutschen Medien mitverantwortlich für die aktuelle Krise im Land. Der 54-Jährige sagt: „Wenn der Journalismus seinen Job gemacht hätte, dann wäre es ganz anders gelaufen. Dann würden wir heute nicht vor dem nächsten Lockdown zittern.“ Mit Aussagen wie diesen hat sich der in Leipzig ausgebildete Kommunikationswissenschaftler wenig Freunde gemacht in den letzten Monaten. Vor allem dort nicht, wo er als bayrischer Staatsbeamter seit Jahren sein berufliches Auskommen hat.
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Bei seinem Vortrag in der Malchower Dorfkirche räumte der Medienforscher am Donnerstagabend auf Fragen der Zuschauer ein, Anfeindungen ausgesetzt zu sein, auch an der Universität München, wo er seit 2002 lehrt.
Pro & Contra zulassen
Leiser geworden ist der langjährige Journalist deswegen trotzdem nicht. Im Gegenteil, er erneuert nachdrücklich seine Forderung, auch beim Thema Corona mehr Pro und Contra zu veröffentlichen – „und zwar so, dass wir eine Chance haben, wirklich darüber nachzudenken. Zahlen einordnen und nicht nur nachbeten. Was steckt hinter der Inzidenz? Wie viele Tests gab es, wie viele Menschen sind tatsächlich krank? Keine Angst machen. Angstmacher in die Schranken verweisen. Politiker festnageln auf das, was sie vor ein paar Wochen behauptet haben und was sich schon wenig später als Unsinn herausgestellt hat. Kritik und Kontrolle. Wir zahlen Rundfunkbeiträge oder Abonnements ja nicht, um Regierungspropaganda zu bekommen.“
Unter dem Beifall der knapp hundert Zuschauer an diesem Abend führte der Redner unter anderem seine Ideen zum Thema Rundfunkbeitrag aus. Er plädiert beispielsweise für eine Radikalreform, die künftig nur noch zwei Euro monatlich pro Haushalt erforderlich macht. Der erste Euro sollte seiner Meinung nach in eine nationale, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt fließen.
500 Millionen im Jahr
„Da kämen 500 Millionen Euro im Jahr zusammen, mit denen ein informatives Top-Fernsehangebot zu verwirklichen wäre. Ohne Sport, Serien, Filme usw. Wer das will, kann das ja für den Rest des Geldes von privaten Anbietern dazu kaufen.“ Der zweite „Zwangs“-Euro sollte lokale, öffentlich-rechtliche Web-Portale finanzieren, in denen man einige gute Redakteure beschäftigen könnte. Darüber hinaus hält Michael Meyen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten der Zuschauer und Zuhörer für dringend erforderlich. „Ein Weg wäre, Publikumsräte zu wählen.“ Stattdessen schotte sich der öffentliche Rundfunk ab, machte Meyen am Beispiel des ZDF deutlich, das in einer Festung über Mainz throne.
Dass die Menschen auch in Deutschland bereit seien, für fundierte Informationen zu bezahlen, zeige das Beispiel des Wachstums der alternativen Medien, die sich vornehmlich über Spenden finanzierten, stellte der Kommunikationsprofessor heraus. Auf die Frage von Gastgeber Pfarrer Thomas Dietz ob wir gegenwärtig die Folgen eines Journalismus erlebten, den die Gesellschaft habe verlottern lassen, antwortete Meyen nach kurzem Nachdenken mit „Wenn Sie es so ausdrücken wollen – ja.“ Damit wollte er aber nicht alle Kollegen über einen Kamm geschoren beziehungsweise unlautere Motive unterstellt haben wissen, stellte Meyen klar: „Keine Frage, es gibt auch guten Journalismus, aber zu beobachten ist der Erziehungsanspruch, der in den deutschen Redaktionen vorherrscht.“
Politik kontrolliert
„Dabei sollte gerade der öffentliche Rundfunk doch unser Rundfunk sein, der für die Bürger Politik und Wirtschaft kontrolliert. Aber mittlerweile ist es leider so, dass die Politik über die Rundfunkräte den Journalismus kontrolliert.“
Er berichtete den Anwesenden von Schilderungen dort beschäftigter Kollegen, dass der Druck der Behörden wachse und Wohlverhalten gegenüber der Politik notwendig sei, wenn man seine Stelle behalten wolle. „Es herrscht zudem der Glaube vor, dass man die Leute vor Informationen beschützen muss und sie nicht unnötig beunruhigen darf. Erstmals zu beobachten war das in der Finanzkrise, als die Kanzlerin mit Chefredakteuren überein kam, nicht zu berichten, wie schlimm es wirklich um den Euro steht. Man hatte Angst, dass sonst alle zur Bank gerannt wären und ihr Geld abgehoben hätten.“ Michael Meyen wertet das als Geringschätzung gegenüber dem Publikum: „Man berichtet nur das, was man selbst für richtig und gut und somit für die Wahrheit hält.“
Von allen Seiten Flak
Was mit Menschen passiere, die es wagten, sich trotzdem kritisch in der Öffentlichkeit zu äußern, beschrieb der Redner mit Sperrfeuer: „Sie bekommen dann von allen Seiten Flak, werden öffentlich fertig gemacht.“ Das sei gerade in der Coronakrise vielen Ärzten und Wissenschaftlern, aber auch Journalisten passiert. Die Medien konstruierten sich einfach ihre eigene Realität. Bestes Beispiel sei, dass in Expertenrunden immer dieselben „Experten“ säßen und andere gar keine Chance mehr bekämen, ihre Argumente vorzubringen.
Meyen lieferte eine Erklärung für dieses Phänomen: „Das hat mit den homogenen Redaktionen zu tun. Journalist wurden und werden meist Kinder von Angestellten und Beamten, also Menschen, die aus der gehobenen Mittelschicht kommen. Die haben eine ganz andere Sicht auf Probleme und glauben, dass sie Einfluss auf die Zuschauer, Zuhörer und Leser haben. Sie beginnen deshalb, die Wirklichkeit in ihre Richtung zu drehen.“ Er habe jüngst mal den Begriff Verantwortungsverschwörung gehört, der treffe es gut. „Man fängt an, Stimmen auszuklammern, die etwas Gegenteiliges behaupten.“ Und genau das sei bei Corona massiv passiert.