57-jährige Wirtin stirbt unerwartet
Kraatz / Lesedauer: 6 min

Normalerweise hätte Florian Profitlich jetzt abends mit seiner Frau in der warmen Stube gemütlich beisammengesessen – vielleicht bei einem Glas selbstgekeltertem Birnensecco, und Pläne fürs kommende Jahr geschmiedet. Sie wären sicher schnell auf ihre Weinschänke zu sprechen gekommen; dass diese am 31. März wieder öffnen soll, und wie schwer es ist, einen Koch oder eine Köchin dafür zu finden. Das Paar aus Kraatz war so stolz auf dieses Lokal, und dass man dank der Unternehmensgründung für die alte Scheune wieder eine Nutzung gefunden hatte. „Das war Eddas Lieblingsprojekt“, weiß ihr Mann. Er wählt dabei bewusst das Präteritum; muss schweren Herzens in der Vergangenheit sprechen, auch wenn sie ihm nur schwer über die Lippen kommt. Denn seine Frau ist tot.
+++ Gutshof Kraatz räumt bei Cider World Messe ab +++
Die 57-jährige Edda Müller hat am 5. Januar die Augen für immer geschlossen. „Sie starb plötzlich und unerwartet“, wie der Witwer betont. Edda habe zwar vor über acht Jahren eine Krebsdiagnose bekommen, die das Leben der beiden jäh veränderte, räumt er leise ein. Aber nach Operationen und Bestrahlungen seien seine Frau und er optimistisch gewesen, dass es weitergeht. Irgendwie. Mit halber Kraft. Ja, ganz wiederhergestellt war die Gesundheit nicht. „Aber tot ... nein. Damit hatten wir noch nicht gerechnet.“ Trotzdem ist genau das eingetreten, und Florian Profitlich muss sich jetzt der bitteren Wahrheit stellen.
In Wahlheimat bestattet
Der 55-Jährige wird seine Frau demnächst in ihrer beider Wahlheimat bestatten. Die Beisetzung dürfte noch einmal viel Kraft kosten, schließlich wird mit dem Kommen vieler Trauergäste gerechnet. Unzählige Menschen werden ihm an diesem Tag ihr Beileid bekunden wollen. „Logisch“ – er weiß, wie beliebt seine Frau in Nah und Fern war. „Offen, warmherzig, tolerant, mitfühlend, liebevoll, gastfreundlich“, so beschreibt er die langjährige Weggefährtin, die einst vor über drei Jahrzehnten beim Studium in Essen seinen Weg gekreuzt und schnell den Platz an seiner Seite eingenommen hatte.
Lesen Sie auch: Berliner wollen Jobs auf dem Land bieten
Wenn er von früher erzählt, klingt seine Stimme sofort froh. Er berichtet von den Jahren in Berlin, als die beiden studierten Kommunikationsdesigner beruflich Fuß zu fassen versuchten und viele Projekte stemmten. Das gelang eine Weile auch recht gut. „Doch wir beide kamen irgendwie nicht da an, wo wir hinwollten. Wir blieben in der großen Stadt trotz unserer Qualifikation nur zwei von vielen ...“ Sie begannen, nach einer Landflucht als Ergänzung zur Großstadt zu suchen, nach einem Rückzugsort – so wie es viele Hauptstädter taten. Dass Kraatz so viel mehr werden würde, ahnte das Paar damals noch nicht. Doch die beiden „Wurzellosen“, denen die Eltern aus den verschiedensten Gründen kein Heimatgefühl hatten mit auf den Weg geben können, wuchsen wider Erwarten an in der Fremde. Sie begannen schnell, Land und Leute zu lieben. Und sie sahen plötzlich viele Chancen, hier auch beruflich etwas zu machen. „Wir entdeckten Potenziale, die die Einheimischen nicht gesehen hatten und fragten uns so manches Mal: `Warum hat das noch keiner als Idee umgesetzt.‘ Doch ohne die berufliche Flexibilität, die wir beide hatten, wäre daraus wohl auch nichts geworden. Zumindest nicht so früh in unserem Leben, denn fürs Dauerpendeln war die Uckermark einfach zu weit weg.“ So aber konnten sie Schritt für Schritt mehr Zeit in Kraatz verbringen und beginnen, sich erstmals richtig heimisch zu fühlen.
Endgültiger Abschied
Deshalb fiel vermutlich irgendwann auch der endgültige Abschied von der Metropole nicht mehr schwer. Vor achteinhalb Jahren löste das Paar seine letzte „Notwohnung“ in Berlin auf. Edda Müller hatte das kleine Domizil noch ab und an genutzt, weil sie bis 2013 als „feste Freie“ bei einem Fernsehsender angestellt war und dort Aufträge im Filmschnitt zu erledigen hatte.
Ihr Mann widmete sich zu dieser Zeit bereits voll und ganz dem neuen Kapitel ihres Lebens, der Selbstständigkeit mit der Mosterei und der Ferienwohnung. Neu dazu kamen dann der Hofladen und die Weinschänke. Seinen Ursprung habe das Ganze im ersten Herbst in Kraatz gehabt, erinnert sich der Unternehmer zurück: „Wir standen damals am Zaun und sahen fassungslos zu, wie auf dem Nachbargrundstück die herrlichsten Früchte zu Boden plumpsten und dort ungenutzt liegen blieben.“ Irgendwann fassten sich die zwei ein Herz und fragten, ob sie das Obst aufsammeln dürften. Sie durften und ließen schnell Saft daraus machen. Nach dem ersten Schluck war ihnen klar, „dass wir noch nie etwas Köstlicheres getrunken hatten.“ Eine Idee ward geboren.
Ebenfalls interessant: Prenzlauer Saft 2020 kommt aus Klinkow
In der Folgezeit erwarb das Paar die angrenzende Liegenschaft samt maroder Bauten und steckte dort neben immens viel Zeit und Kraft auch alle Ersparnisse rein. Wenn schon mutig, dann richtig! „2011 habe ich dort bereits meine ersten 7000 Liter Wein gemacht“, resümiert der Wahl-Uckermärker. Ganz zu Beginn habe er noch übers Schnapsbrennen nachgedacht, verrät Florian Profitlich lachend: „Aber der Wein lag mir letztlich mehr.“ Ihm kam zupass, dass er da schon die technische Ausstattung einer kleinen Mosterei besaß. „Eigentlich hatte ich ja nach einer ehemaligen LPG-Küche oder etwas Ähnlichem dafür gesucht. Nun wurde es halt die alte Gutsscheune neben unserem Wohnhaus.“ Zunächst nannten die zwei ihr Domizil in Kraatz noch liebevoll ihren Ort zum Spielen. Doch Stück für Stück nahm das Projekt dort viel größere, ernstere Züge an. Die Erzeugnisse aus Kraatz führen längst die Hitliste der beliebtesten Produkte aus der Uckermark mit an, sind in den Hofläden immer schnell vergriffen. Und auch das Lokal hat sich bei den Genießern in der Region einen Namen gemacht.
Dringend Koch gesorgt
Die Gäste kommen inzwischen von weit her, um sich hier gut bekochen zu lassen. „Mit unserer Idee, immer samstags einen Gastkoch zu engagieren, konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen wurde stets etwas Außergewöhnliches geboten, zum anderen die Mannschaft in der Küche etwas entlastet.“ Florian Profitlich erwähnt beispielsweise die Japanerin Akiko Hashimoto. Die 62-Jährige aus Brüssow hat nicht nur mit ihrem Sushi Maßstäbe gesetzt, sondern bewiesen, dass selbst bei so erlesenen Gerichten regionale Produkte die Basis sein können. Florian Profitlich ist stolz, all die Jahre nie von dieser Devise abgerückt zu sein. Wild, Obst, Eier und Gemüse haben keine langen Wege hinter sich, wenn sie in seiner Küche und letztlich dann auf dem Teller des Gastes landen. Der Kraatzer wäre froh, wenn sich bis zum Saisonstart vor Ostern wieder ein Koch fände, der bereit und fähig ist, diesen konsequenten Weg mitzugehen. Florian Profitlich ist überzeugt, dass es der größte Wunsch seiner Frau gewesen wäre, dass ihr Werk eine Fortsetzung findet. Auch wenn sie nicht darüber gesprochen haben. Nicht darüber haben sprechen können, weil ihr Tod zu unerwartet und plötzlich kam und sie mitten aus ihrem Schaffen gerissen hat.