Marienkirchstraße Prenzlau
Archäologische Funde spannender als das TV-Programm
Prenzlau / Lesedauer: 6 min

Alexandra Martinot
Im Mai bekamen die Anwohner der Marienkirchstraße Post vom Bürgermeister. In dem Brief wurde ihnen mitgeteilt, dass sich aufgrund der umfangreichen archäologischen Befunde die Bauzeit in der Marienkirchstraße verlängert. Der Bürgermeister warb um Verständnis.
Es seien, so Dr. Matthias Schulz von der Unteren Denkmalschutzbehörde, jedoch nicht allein die archäologischen Untersuchungen, die zu Verzögerungen führten. So musste während der Wintermonate die Bautätigkeit witterungsbedingt eingestellt werden. Diese Zeit ließ man allerdings nicht ungenutzt verstreichen, sondern nahm noch einmal Umplanungen vor. Dadurch konnten die Untersuchungen beschränkt und die Kosten wie auch die Bauzeit begrenzt werden. Hinzu kamen Probleme mit Kellerschächten wie auch einem Elektro-Schaltkasten. Mittlerweile, so Bauamtsleiter Christian Mallow, ist der Gehwegbau abgeschlossen. „Wir rechnen jetzt mit einer Asphaltierung der Straße spätestens im September.“
Grabungen noch im Gange
Beim Vor-Ort-Termin Mitte Juli sind die Archäologen noch emsig bei der Arbeit. „Teilweise waren wir mit acht Leuten hier“, sagt Andrea Hahn-Weishaupt. Parallel zu ihren Untersuchungen gingen die Bauarbeiten weiter. „Die Zusammenarbeit mit der Firma Ruff funktioniert sehr gut“, lobt die Archäologin. Wenige Tage zuvor haben sie und ihr Team die Reste der 1573 errichteten und 1704 deutlich erweiterten alten Lateinschule freigelegt.
Mit gespanntem Blick beobachtet Dr. Matthias Schulz die Arbeit der Archäologen. Denn sie liefert wichtige Erkenntnisse zur Stadtgeschichte. „Es war von Anfang an klar, dass diese Straße aus archäologischer wie auch stadtgeschichtlicher Sicht einem Hotspot gleicht“, so Schulz. Dort, wo jetzt die neue Straße gebaut wird, befand sich einst der Hauptfriedhof der Stadt, der in den 1230er Jahren angelegt wurde und auf dem in den 1780er Jahren die letzte offizielle Bestattung erfolgte. „Die heutige Marienkirchstraße war im 13. und 14. Jahrhundert eine der wichtigsten Straßen Prenzlaus. Sie war der Verbindungsweg vom Markt zum Hafen am Uckerfluss, wo die Schiffe vom Oderhaff anlegten. Der Ostseehandel war eine der entscheidenden Grundlagen für den einstigen Reichtum der Stadt. Er war so etwas wie die Lizenz zum Gelddrucken, betrieb die Stadt doch viel Handel und Wandel mit den Ostseeanrainerstaaten. Der damalige Anlandepunkt lag irgendwo dort, wo sich heute die Lindenstraße befindet. Entlang dieser wichtigen Verbindung vom Markt zum Fluss siedelten sich Leute an, die Geld hatten.“ Zu den Funden gehören nicht nur solche aus dem Mittelalter. „Wir haben ebenfalls Zeugnisse der bronzezeitlichen und der slawischen Besiedlung. In den Resten von Siedlungsgruben wurden beispielsweise Tonscherben gefunden.“ Zudem könne man jetzt sehr klar abgrenzen, wo sich die bronzezeitliche und die slawische Siedlung befunden hatten. Richtig spannend aber wird es bei dem, was die spätere Stadtgeschichte um 1240 betrifft. So sind Utensilien zur Knochen-, Geweih- und Metallverarbeitung Zeugnisse dafür, dass hier einst Handwerker lebten. Zu den bemerkenswerten Funden gehört ein reich verzierter Kamm aus Horn. „An dem Platz des Kammmachers haben wir dutzende von Kuhhörnern und Schnitzabfälle gefunden. Hier am Markt neben der Kirche war für sein Geschäft der beste Platz, denn solch ein Kamm war für die bessere Gesellschaft bestimmt”, sagt Hahn-Weishaupt.
Wohl nur einseitig bebaut
Eine Erkenntnis ist jedoch besonders hervorzuheben: „Bislang gingen wir davon aus, dass die Straße am Friedhof nur einseitig bebaut war. Nach dem Fund von Resten einer aus dem 13. Jahrhundert stammenden Häuserzeile wissen wir, dass es, zumindest zeitweise, eine beidseitige Bebauung gab. Diese Erkenntnis ist neu.“ Weniger überraschend hingegen waren die Funde auf dem ehemaligen Friedhof. „Entdeckt wurden ebenso Gräber außerhalb des Friedhofes, in denen wahrscheinlich nicht so nette Zeitgenossen ihre letzte Ruhe fanden.“ Schulz erzählt auch von dem Mann mit der abgehackten rechten Hand, dessen Skelett man fand. „Ganz offensichtlich ist er an den Folgen dieser Tortur verstorben. Es ist unwahrscheinlich, dass es sich um einen Unfall handelte“, setzt Andrea Hahn-Weishaupt hinzu. Die Lage des Toten lasse einen anderen Schluss zu. Unwillkürlich muss man an die den Bürgermeistern Beltz und Grieben abgehackten Schwurhände denken, die heute im Kulturhistorischen Museum zu sehen sind. Zimperlich ist man damals mit Widersachern und Delinquenten nicht umgegangen. Außerhalb der Friedhofsmauern, jedoch möglichst nahe an geweihte Erde eingegraben, fanden die Archäologen auch ein Neugeborenes und zwei junge Männer, übereinander gelagert.
Doch zurück zur Straße, die im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder hin und her geschoben wurde. Im Frühjahr stieß man auf die Reste der Goldschmiedewerkstatt des Juweliers Klebe und seiner Frau. Das Geschäft bestand von 1823 bis 1945. Zu den Fundstücken gehören vor allem Werkzeuge zur Bearbeitung von Edelmetallen, aber auch Osterdekoration. „Das ist stadtgeschichtlich interessant“, so Schulz. „Am 1. April 1945 feierte man noch Ostersonntag, drei Wochen später begann man sich auf die Flucht vorzubereiten und Ende des Monats fiel die Stadt in Schutt und Asche.“
Erinnerungen ans Kriegsende
Andrea Hahn-Weishaupt kam mit älteren Prenzlauern ins Gespräch, die sich an die Geschehnisse kurz vor Kriegsende noch erinnern können. Als Kinder hätten sie damals in den Kellern der niedergebrannten Häuser nach Essbarem gesucht. Auch habe eine in Berlin lebende Frau Fotos vom Goldschmiedegeschäft Klebe vorbeigebracht. Ihr Vater hatte diese Aufnahmen seinerzeit gemacht. Überhaupt, so die Archäologin, sei das Interesse der Prenzlauerinnen und Prenzlauer an den Untersuchungen und den damit verbundenen Erkenntnissen zur Stadtgeschichte groß. „Von den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser wurde unsere Arbeit die ganze Zeit begleitet. Das scheint spannender als das Fernsehprogramm zu sein“, sagt sie schmunzelnd. Sie begrüßt die Neugier der Menschen. Sie zeugt von Interesse am Leben der Vorfahren. „Unser Bestreben als Archäologen ist es, Fakten zur Geschichte zu sammeln und damit Lücken in den bisher vorhandenen Quellen zu schließen.“ In der Marienkirchstraße ist das in großem Maße gelungen.
Wenn in wenigen Wochen eine Asphaltschicht aufgetragen wird, ist die Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes nur noch durch direkte Nachbarschaft zu St. Marien zu erahnen. Für Archäologin Andrea Hahn-Weishaupt ist damit die Arbeit jedoch nicht abgeschlossen. Während die geborgenen Funde wie beispielsweise die Tonscherben und der Kamm dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege übergeben wurden, forscht und recherchiert sie für ihren Abschlussbericht noch weiter. Die Funde aus der Juwelier-Werkstatt sollen übrigens als interessante Zeugnisse des Prenzlauer Handwerks in ins Kulturhistorische Museum im Dominikanerkloster kommen. Vielleicht gelingt es dann – beispielsweise im Rahmen von Schülerprojekten – diesen Teil der Prenzlauer Geschichte weiter aufzuhellen. Dr. Matthias Schulz ist auf die Ergebnisse ebenso gespannt wie auf die zu erwartenden Funde und womöglich neuen Erkenntnisse auf anderen Baustellen auf historischem Grund. „Am Ende ist es immer so, dass bei all diesen Untersuchungen alte Fragen beantwortet und neue wieder aufgeworfen werden“, sagt er und rechnet mit neuen Facetten aus Prenzlaus Stadtgeschichte, die sich damit auftun werden.
Die Baumaßnahme Marienkirchstraße ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt Prenzlau und der Stadtwerke Prenzlau GmbH, gefördert über das Programm „Wachstum und nachhaltige Erneuerung“ (WNE) des Landes Brandenburg.