Angehörige entsetzt

Atemnot und blaue Lippen — Arzt kam trotzdem nicht

Prenzlau / Lesedauer: 4 min

Wer die 116117 wählt, hofft auf einen schnellen Hausbesuch. So war es auch bei Doris Schewe, die sich um ihre Mutter sorgte. Doch sie scheiterte zweimal am Telefon.
Veröffentlicht:17.03.2023, 14:00

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Damit nicht wegen jeder kleinen Verletzung oder Krankheit ein Rettungswagen mit Notarzt oder Sanitäter losfahren muss, gibt es seit einigen Jahren die Nummer 116117, den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Dort soll ein Arzt am Telefon klären, ob überhaupt ein Notfall vorliegt, den Anrufer beruhigen und im Ernstfall auch zum Patienten fahren. Ein guter Ansatz, doch in der Praxis beschert das Betroffenen manchmal Unverständnis. So wie jüngst im Fall von Christel Gutknecht, deren Tochter Doris Schewe sich an den Uckermark Kurier gewandt hat. Die 63–Jährige macht sich mit ihren Geschwistern schon länger Sorgen um die betagte Mutter, wie sie der Redaktion erläuterte. Die Seniorin sei herzkrank und habe in den letzten Wochen verstärkt über Husten geklagt, erklärte die Familie: „Doch zuerst wollte sie damit nicht zum Arzt. Und als es dann ganz schlimm wurde, war ihr Hausarzt nicht im Dienst.“

Kein Fall für die 116 117

Am Freitag, dem 10. März, machten der Tochter neben den Atembeschwerden vor allem die blauen Lippen der alten Dame Angst: „Ich habe in meiner Not den Bereitschaftsdienst gerufen. Doch am anderen Ende der Leitung bekam ich nur zu hören, dass das kein Fall für die 116117 sei.“ Doris Schewe, die extra von Berlin nach Prenzlau gereist war, um ein paar Tage bei der kranken Mutter zu sein, erinnert sich: „Da wurde mir richtig angst und bange. Als sie am nächsten Tag kurz vor Mitternacht im Liegen kaum noch Luft bekam, habe ich erneut den Bereitschaftsdienst kontaktiert. Nur, um abermals gesagt zu bekommen, dass man deswegen gewiss keinen Arzt wecken werde.“

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Christian Wehry erläuterte das Vorgehen beim Bereitschaftsdienst. (Foto: Claudia Marsal)

Die langjährige Autohausmitarbeiterin zog dann zwar in Erwägung, den Rettungsdienst über die 112  zu rufen: „Doch das wollte Mutti partout nicht. Sie hatte Sorge, dass man sie ins Krankenhaus bringen würde.“ Ihre Schwester Elvira und sie möchten den Vorfall öffentlich machen, „weil es schlimm ist, wohin sich unser Gesundheitswesen entwickelt hat. Unsere Mutter hat fünf Kinder großgezogen. Sie lag nie auf der faulen Haut. Doch jetzt, wo sie im Alter ausnahmsweise mal medizinische Hilfe braucht, wird man so abgefertigt. Das ist doch unglaublich. Wo sind wir bloß gelandet in diesem Staat?“

Arzt lehnt Hilfe in der Nacht ab
Bereitschaftsdienst

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Doris Schewe ist jetzt dabei, ihre Zelte in der Hauptstadt abzubrechen. Sie will wieder zurück in die Uckermark ziehen, um ihrer Mutter eine Stütze zu sein. Obwohl sie selbst eine leichte Behinderung hat und schon EU–Rente bezieht, möchte sie sich an der Pflege der alten Dame beteiligen. „Als wir Kind waren, hat sie für uns gesorgt. Jetzt sind wir an der Reihe.“

Gutes Beschwerdemanagement

Christian Wehry, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, verwies auf das Beschwerdemanagement der KVBB des Bereitschaftsdienstes, das am besten per Brief und mit Aufhebung der Schweigepflicht per E–Mail kontaktiert werden könne und versicherte, dass sich die 116117 prinzipiell sehr bewährt habe. Die Anrufer würden zu kleinen Callcentern in die Koordinierungsstelle der KVBB weitergeleitet, in denen zunächst Daten aufgenommen würden, führte er aus: „Dann erfolgt die Weitergabe an einen Disponenten, der vom Fach ist, meistens sind dort Rettungssanitäter eingesetzt. Die gehen mit den Anrufern ein computergestütztes Programm durch und fragen systematisch alle Beschwerden ab. Danach  wird gemeinsam besprochen, wie weiter zu verfahren ist. Manchmal reicht es aus, zu empfehlen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt den Hausarzt aufzusuchen. In anderen Fällen werden die Öffnungszeiten und Adressen der Bereitschaftspraxen weitergegeben.“ 19 gibt es im Land, zwei davon sind in der Uckermark — angegliedert an die Kliniken in Templin und Schwedt. Dort sei in der Regel in den Abendstunden von 19 bis 21 Uhr und am Wochenende von 9 bis 21 Uhr geöffnet.

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Blick in ein Sprechzimmer. (Foto: Sebastian Kahnert)

Wenn der Patient überhaupt nicht mobil sei, bestehe die Möglichkeit, den fahrenden Bereitschaftsdienst zu kontaktieren, versicherte Wehry. In diesem Fall gebe die Koordinierungsstelle die Daten an den diensthabenden Arzt weiter, und der kläre im direkten Gespräch, ob ein Hausbesuch angebracht sei. „Wir haben auch eine technische Schnittstelle zum Notruf 112. Wenn sich während des Telefonats herausstellt, dass beispielsweise massive Brustschmerzen auftreten und ein Herzinfarkt zu befürchten ist, landet man per Knopfdruck beim Rettungsdienst.“ Warum im Fall der alten Dame nichts davon in die Wege geleitet wurde, vermochte Wehry mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte nicht zu sagen. Vermutlich seien die Beschwerden als nicht so akut eingeschätzt worden. Eine Diagnose, die übrigens Tage später auch ihr Hausarzt traf. Mittlerweile geht es der 85–Jährigen wieder besser.