Demonstrationen

Bündnis sieht Aufruf zur Selbstjustiz — AfD weist Vorwurf zurück

Prenzlau / Lesedauer: 6 min

Am 20. März planen unterschiedliche Akteure zwei Demonstrationen in Prenzlau. Im Vorfeld entwickelte sich dazu ein verbaler Schlagabtausch.
Veröffentlicht:18.03.2023, 08:35

Von:
  • Heiko Schulze
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Für den 20. März haben der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck, der Landtagsabgeordnete Felix Teichner, Tony Riller und Klaus–Martin Bastert (alle AfD) unter der Überschrift „Kein Ort für kriminelle Migrantenclans“ ab 18 Uhr zu einer Demonstration auf dem Marktberg aufgerufen. Ein aktueller Anlass ist der Vorfall vom 2. März, als circa zehn Männer, darunter Deutsche und Tschetschenen, am Robert–Schulz–Ring gewaltsam in eine Wohnung eindringen wollten. Die Polizei nahm Tatverdächtige fest. Eine Auseinandersetzung im Drogenmilieu ist ein Ermittlungsansatz. Prenzlaus Bürgermeister Hendrik Sommer (parteilos) und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Ludger Melters (CDU) verfassten daraufhin einen Hilferuf an die Landesregierung, den Landrätin Karina Dörk (CDU) in Potsdam überreichte. Darin werden Straftaten aufgezählt, die „von Diebstahl über räuberische Erpressung, Sachbeschädigung, Bedrohung, Drogendelikte und Straßenkämpfe bis zu dem […] Versuch des gewaltsamen Eindringens in Wohnungen“ reichten. Die Anzahl und Qualität der Straftaten nehme besorgniserregend zu und verängstige die Bevölkerung, insbesondere in den „Problemquartieren“, heißt es. Die Stadt stoße inzwischen an ihre Grenzen, „da Gewalt und Kriminalität scheinbar keine Konsequenzen haben, fehlt es doch an den entsprechenden Maßnahmen der Justiz.“

Teichner, selbst Stadtverordneter, unterstellte in seinem Facebook–Account: „Seit über einem Jahr häufen sich die Straftaten — ausgehend von einer großen Gruppe junger krimineller Migranten.“ Das System habe versagt, und die Stadt sei nicht mehr sicher, so Teichner. „Wenn der Staat nicht reagiert, müssen wir selbst handeln, denn für uns geht es jetzt um alles — die Zukunft unserer Heimat und die Sicherheit unserer Kinder“, ruft er „zum Widerstand“ auf.

Rote Linie überschritten

Für die Akteure von „UMsicht — Aktionsbündnis für Solidarität und radikale Vielfalt“, was sich selbst als loses Bündnis, das sich nur anlässlich von Aktionen zusammenschließe, bezeichnet, sei damit mehr als eine rote Linie überschritten. „Stoppt die Aufstachelung der AfD zur Selbstjustiz“, wandten diese sich mit einem Aufruf an Organisationen, Parteien und Institutionen, sich mit ihrer Unterschrift hinter ein entsprechendes Statement zu stellen. In ihrem Anschreiben erinnern die Akteure des Aktionsbündnisses „UMsicht“ an den Mord an Marinus Schöberl vor 20 Jahren in Potzlow. „Rassismus, Ableismus und andere Hetze tötet Menschen. Nicht durch die Hand von offiziellen Parteifunktionären, sondern durch die Hand von Menschen mit schwachem Urteilsvermögen.“ Das Statement wurde bis Freitagnachmittag von 32 Akteuren (nicht Einzelpersonen) unterzeichnet, vom DGB–Kreisverband bis hin zur Kinderservicestelle.

Darin heißt es unter anderem: „Ausschreitungen zwischen oder von Jugendlichen gehören nicht in den Zuständigkeitsbereich aufgestachelter Bürger*innen, sondern in den von Polizei und Justiz, aber auch von Jugend– und Sozialämtern, von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Dafür muss Politik sorgen! Doch mit der Hetze der AfD und Aufstachelung zur Selbstjustiz werden wieder einmal Grenzen zugunsten einer Rechtlosigkeit und Strukturschwächung verschoben, das kann keinen demokratisch überzeugten Menschen kalt lassen.“

Das Jugendstrafrecht sei „aus guten Gründen auf Erziehung“ ausgelegt: „Gefängnisse machen aus kleinen Straftäter*innen große Straftäter*innen, es sei denn, es werden die Chance auf Bewährung und Perspektiven aufgezeigt.“ Gesellschaftliche Probleme würde die AfD instrumentalisieren, um die Gesellschaft zurück in eine „Faustrecht–Ideologie zu reißen“, in der das Recht des Stärkeren reagiere und Streitigkeiten zu Flächenbränden eskaliert würden.

"Unabhängig von der Herkunft"

Felix Teichner weist in einer Stellungnahme die Vorhaltungen des Aktionsbündnisses „UMsicht“, die AfD wolle auf der Demonstration Bürger zur Selbstjustiz anstacheln, als „vollends absurd“ zurück. Das Gegenteil sei richtig, so Teichner: „Wir fordern von der Politik, der stark gewachsenen Migrantenkriminalität endlich durch geeignete rechtliche Maßnahmen zu begegnen, insbesondere durch konsequente Abschiebung aller ausländischen Straftäter bereits ab dem ersten Delikt. Nicht zuletzt hierfür streitet die AfD schon seit Jahren auf allen parlamentarischen Ebenen.“ Zudem sollten von Gewalt Betroffene dazu ermutigt werden, „bei jedem Delikt konsequent Anzeige zu erstatten — übrigens vollkommen unabhängig von der Herkunft der Täter. Hierbei wollen wir den Opfern von Gewalttaten — insbesondere Frauen und Kindern — künftig verstärkt rechtlichen wie auch seelischen Beistand anbieten oder vermitteln.“ Gleichzeitig führt Teichner aus: dass jedem Bürger, der Opfer oder Zeuge von Gewalt werde, das Recht auf Notwehr oder Nothilfe zustehe.

Forderung an Justizbehörde

Prenzlaus Bürgermeister Hendrik Sommer (parteilos), erklärte am Freitag auf Nachfrage des Uckermark Kurier, daran festzuhalten, am Montag das Wort an die Demonstrierenden richten zu wollen. Er werde aufzeigen, dass Landkreis, Stadt und Polizei keineswegs dem Geschehen tatenlos zugesehen haben. „Die Polizei ermittelt ordentlich. Unsere Forderung richtet sich an die Justizbehörde, anders zu agieren.“ Unabhängig von der Herkunft der Täter. Wer als Ausländer oder Migrant allerdings mehrfach straffällig geworden sei, habe sein Gastrecht verwirkt, so Sommer.

Unter der Überschrift „Prenzlau zuliebe — Gemeinsam gegen Rechts“ steht die Demonstration eines Aktionsbündnisses aus SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, VVN–BdA und dem Landesverband Jüdischer Gemeinden Brandenburg. Diese, so heißt es in einer Pressemitteilung, richte sich „gegen rassistische Hetze und Fremdenhass, gegen das Schüren von Angst und Schrecken in der Stadt Prenzlau und gegen den Aufruf zur Selbstjustiz.“ Auch diese Demonstration soll am Montag um 18 Uhr beginnen, unterhalb des Ostgiebels der Marienkirche.

Ein Kommentar zum Thema von Heiko Schulze:

Worum geht es eigentlich?

Der uckermärkische Jugendamtsleiter Stefan Krüger schlägt Alarm: Seit vergangenem Jahr sind die Fälle von Kindeswohlgefährdung in der Uckermark sprunghaft gestiegen. Wieso, weshalb, warum? Das müsste doch alle Parteien links, rechts und aus der Mitte unserer Gesellschaft brennend interessieren. Was läuft da schief in unserer Gesellschaft? Haben wir mit Sozialarbeitern, Streetworkern, Anlaufstellen die geeigneten niederschwelligen Angebote, um Kinder, Jugendliche und ihre Eltern zu erreichen, bevor das Kind „in den Brunnen gefallen“, sprich, auf die schiefe Bahn geraten ist? Dazu ist zeit– und kräftezehrende Ursachenforschung nötig, ein Bündeln von wirksamen Maßnahmen. Vieles kann dabei nur in kleinen Schritten geschehen, eher leise, mit Sensibilität und nicht im Getrampel von Demonstrationen oder in wortgewaltigen Reden hinter Mikrofonen. Es ist dagegen einfach, auf Ängste aufzusatteln und diese zu reiten, anstatt vom hohen Roß herabzusteigen, aufeinander zuzugehen, sich zuzuhören. Geht es um eine Lösung der Probleme oder darum, den anderen aus ideologischen Gründen vorführen zu wollen? Liegt der Fokus tatsächlich noch bei den Opfern von Straftaten, oder dienen diese nur als Mittel zum Zweck? Die am Montag notwendige Polizeipräsenz plündert personelle und finanzielle Ressourcen, die wir bitter nötig hätten. Kindeswohlgefährdung ist dabei nur ein Stichwort.