Angst um Klimakleber
„Da klebt Roman, unser Sohn“
Prenzlau / Lesedauer: 7 min

Claudia Marsal
Roman Weber (25) sitzt aktuell in München-Stadelheim hinter Gittern. „Sie haben ihn in Präventivgewahrsam genommen, um ihn daran zu hindern, während der Internationalen Automobilausstellung seinen Protest weiter auf die Straße zu bringen“, erzählt seine Mutter Karin Weber (58) aus Prenzlau.
Die Diabetesberaterin und Leiterin der „Süßen Schule“ der mit ihrem Mann in Prenzlau gemeinsam geführten diabetologischen Schwerpunktpraxis ist besorgt: „Am Freitag ist Roman zwar kurzzeitig wieder freigekommen, aber er hat dem Richter gleich gesagt, dass er sich erneut auf die Straße kleben wird, um gegen die unzureichenden politischen Maßnahmen gegen den Klimawandel zu protestieren.“
Dem folgte die nächste Aktion nebst Ingewahrsamnahme. Nun muss er vermutlich zwölf Tage im Gefängnis bleiben. Ihren Sohn, „den genauso klugen wie liebevollen Tierschützer und Klimaaktivisten, hinter Gittern zu sehen und zu erleben, dass Roman als Terrorist behandelt wird und nicht als Aktivist“, empört die Eltern sehr.

Als Mutter kaum erträglich
„Als Mutter ist es mir kaum erträglich, die Gewalt der Autofahrer den Aktivisten gegenüber mit anzusehen, aber deren Frust ist verständlich.“ Empörend hingegen sei die staatliche Unverhältnismäßigkeit der 'Strafen', so Karin Weber: „Ich würde deshalb gern meine mütterliche Perspektive teilen und von Romans erstaunlichem Weg erzählen.“
Ihr Ältester sei aufgewachsen in einer ernährungsbewussten Familie, stellen die Eltern ihren Ausführungen voran. Dr. Michael Weber (61) erinnert an den Moment, als Roman und sein jüngerer Bruder Aron (23) in der Kindheit beschlossen hätten, künftig vegetarisch zu leben. Das war während ihrer monatelangen Reise vom uckermärkischen Drense nach Indien, die die Familie angetreten hatte, als die beiden Jungs drei und fünf Jahre alt waren. „Sie standen damals auf einem türkischen Basar fassungslos vor einem Becken mit Oktopussen. Die gefangenen Tintenfische darin lebten noch und versuchten immer wieder, mit ihren langen Armen ins Freie zu klettern. Doch sobald es einer nach oben geschafft hatte, bekam er einen Schlag auf den Kopf. Das hat Aron und Roman so geschmerzt, dass sie künftig weder Fisch noch Fleisch zu sich zu nahmen.“

Die Familie lebte danach vegetarisch, doch Romans Engagement im Tierschutz hat sie später zu Veganern werden lassen. „Er musste uns gar nicht bekehren“, sagt seine Mutter: „Seine Argumente reichten aus, um zu begreifen, dass alles andere inkonsequent gewesen wäre. Roman hat es weiterentwickelt, war konsequenter und hat die Familie überzeugt. Er sagte: ‚Ich esse meine Freunde nicht.‘“
Jura–Studium in Berlin
Roman studiert aktuell Jura an der Humboldt-Universität Berlin. „Er war schon als Kind so klug und konsequent, dass er Unstimmigkeiten in unserer elterlichen Argumentation ausfindig gemacht, benannt und ausdiskutiert hat. Dabei war er schon sehr früh ein Gesprächspartner auf Augenhöhe, an dem man schwer vorbei kam. Deshalb haben wir immer gesagt, du musst Rechtsanwalt werden.“ In der Hauptstadt schloss er sich der Gruppe „Activists for the Victims“, ehemals „Anonymous for the Voiceless“ an, wo er drei Jahre lang zwei– bis dreimal die Woche am Brandenburger Tor oder auf dem Alex Bilder aus der Massentierhaltung zeigte, um mit den Konsumenten ins Gespräch zu kommen und Bewusstheit ins Essverhalten zu bringen.
„Veganismus ist ein wichtiger Aspekt, den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren und damit der Erderwärmung entgegenzuwirken“, pflichtet ihm seine Mutter bei: „Um Fleisch herzustellen, bedarf es siebenmal so viel Ressourcen wie Land, Treibstoff, Wasser. Da die Erzeugung von Tierfutter genauso aufwendig ist wie die von menschlicher Nahrung, man aber einem Tier sieben Kilo Pflanzenfutter verabreichen muss, um ein Kilogramm Fleisch und Fett zu erzeugen, ist diese Art der Nahrungserzeugung hochgradig verschwenderisch.“

Folgen des Klimawandels
Karin Weber schlägt den Bogen zu „Fridays for Future“, „die in den vergangenen Jahren Millionen Menschen für ihre Demonstrationen mobilisieren konnten und sogar Politiker dazu brachten, zu klatschen, wenn Greta Thunberg in den großen Gremien gesprochen hat. Doch Veränderungen am Klimawandel konnte es nicht bewirken, im Gegenteil, die Erderwärmung steigt weiter.“ Deshalb sei von der Initiative „Letzte Generation“ das Fazit gezogen worden, dass diese Art, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, „gut und wichtig ist, aber nicht ausreichend Veränderung bewirkt, um uns vor dem Erreichen der Kipppunkte zu bewahren. Im Moment erleben wir die Folgen des Klimawandels in Europa hautnah. Extreme Hitze und extreme Unwetter, wie in Griechenland. zerstören unsere Lebensgrundlagen“, setzt die Kreisstädterin hinzu.
Emotional belastend
Die Umgangsweisen der Menschen mit den emotional belastenden Informationen zur Bedrohung durch den Klimawandel seien ganz unterschiedlich, führt sie weiter aus: „Angefangen von Verdrängung, also dass man es nicht emotional an sich ranlässt, es von sich fernhält, weil es zu weh tut; über Leugnung, also dass man behauptet, es gäbe keinen menschengemachten Klimawandel und damit auch keine Notwendigkeit, sein Verhalten zu verändern, bis hin zu Ersatzhandlungen nach dem Motto: Wenn ich nur meinen Müll brav trenne, wird schon alles gut.“

Lasse man sich aber emotional darauf ein, dann erzeuge die Diskrepanz zwischen den übermächtigen Bedrohungen und den völlig unzureichenden politischen Maßnahmen eine Wutkraft, die es auch brauche, um Veränderung zu bewirken, bekräftigt die Prenzlauerin. Folgerichtig habe sich Roman der „Letzten Generation“ angeschlossen, „deren Aktivisten das in gewaltfreier Form total ehrlich auf die Straße getragen haben, um uns alle aufzuwecken. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass die normalen alltäglichen Abläufe gestört werden, weil es bei dieser massiven Bedrohung notwendig ist, den Alltagstrott zu unterbrechen und gravierende Veränderungen vorzunehmen.“
Trotzdem mitfühlend
Sie seien dabei trotzdem mitfühlend, auch zu den blockierten Autofahrern, versichert Karin Weber: „Wir würden alle gerne in Ruhe so weiter machen wie bisher, aber der bereits bestehende Klimawandel erlaubt kein einfaches Weiterso, denn wir rasen auf die Klima-Kipppunkte zu, von denen es dann kein Zurück mehr gibt.“ Dass seit einigen Wochen in Bayern demonstriert werde, habe damit zu tun, dass hier vor 75 Jahren die Verfassung verabschiedet wurde, deren Artikel GG 20A Leben schützen soll, erklärt Romans Mutter. „Uns nicht vor dem Klimawandel zu schützen, ist verfassungswidrig. Die 20 Prozent der Reichsten stoßen mehr CO2 aus als die 80 Prozent der anderen, unter anderem die Autoindustrie (BMW und Porsche), die immer noch 80 Prozent Verbrennermotoren verkauft und damit den Klimawandel vorantreibt.“

Zur Erschütterung der Eltern sei die „Letzte Generation“ in Bayern eingestuft als terroristische Vereinigung, das heißt, dass Präventivhaft gegen Aktivisten beim Begehen von Ordnungswidrigkeiten möglich sei. „37 Aktivisten sind zur Zeit inhaftiert, ohne eine Strafe zu verbüßen, sondern nur, um abgehalten zu werden, ihren Protest auf die Straße zu bringen“, mahnt Karin Weber, die die Unverhältnismäßigkeit aufzeigen möchte, also die strafrechtliche Willkür, dass für die gleiche Ordnungswidrigkeit (Ankleben auf die Straße) unterschiedliche Strafen verhängt werden (von Freispruch, Platzverweis, Inhaftierung von zwei Tagen, 14 Tagen bis zu einem Monat).
Roman bleibt weiter inhaftiert, dafür, „dass er eine intensive Auseinandersetzung mit dem Klima und gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg sowie Ernährungsbewusstheit lebt ... Nach den persönlichen Begegnungen in der KüfA (Küche für alle im Headquarter der ‚Letzten Generation‘) haben wir tiefen Respekt vor diesen ernsthaften, tiefsinnigen und verantwortungsbewussten jungen Menschen entwickelt. Widerstand, Unbequemlichkeiten, persönliche Konsequenzen lassen sie nicht von ihrem Veränderungswillen und Ziel abbringen.“