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Nach Gewaltvorfällen

Demo der AfD polarisiert in Prenzlau

Prenzlau / Lesedauer: 8 min

Die AfD macht sich Gewalttaten von Tschetschenen zunutze, um gegen Migranten zu mobilisieren, das behaupten zumindest die Teilnehmer der Gegendemo.
Veröffentlicht:21.03.2023, 19:35

Von:
  • Oliver Hauck
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Mit der Ankündigung „Kein Ort für kriminelle Migrantenclans“ hielt der Kreisverband der AfD am Montagabend eine Kundgebung auf dem Prenzlauer Marktberg ab. Als Reaktion darauf hatte sich im Vorfeld ein Aktionsbündnis „Gemeinsam gegen Rechts“ aus SPD, Die Linke, Bündnis 90/Grüne, VVN–BdA und dem Landesverband Jüdischer Gemeinden Brandenburg zusammengeschlossen und seinerseits eine Kundgebung an der Marienkirche angemeldet.

Die AfD sieht im Lande „die Zukunft unserer Heimat und die Sicherheit unserer Kinder“ in Gefahr. Das Aktionsbündnis richtete sich „gegen Fremdenhass, das Schüren von Angst und gegen den Aufruf zur Selbstjustiz.“ Und mittendrin stand am Montagabend Prenzlaus parteiloser Bürgermeister Hendrik Sommer, der die Aufforderung der AfD angenommen hatte, ebenfalls auf dem Marktberg zu sprechen. Anfang März war es in zwei Ausschüssen im Rathaus nach den Mitteilungen des Bürgermeisters zu Wortgefechten zwischen Sommer und den AfD–Mitgliedern Felix Teichner und Klaus–Martin Bastert gekommen. Hintergrund war die jüngste Eskalation der Gewalt, wobei eine Gruppe junger Männer, darunter mindestens zwei Tschetschenen, am 2. März versucht hatte, in eine Wohnung im Robert–Schulz–Ring einzudringen. In den sozialen Medien kursierten im Anschluss Videos des Überfalls, der Uckermark Kurier berichtete.

Mit Verletzungen in die Notaufnahme

Kurz vor 18 Uhr hatten sich auf dem Marktberg der Kreisstadt mehrere Hundert Menschen versammelt. Vor Beginn der Redebeiträge sprach der Uckermark Kurier mit einigen Besuchern. Ein 70–jähriger Mann sagte, es sei „nicht normal“, was derzeit in Prenzlau passiere. Seine Frau arbeite im Krankenhaus und erlebe dort, wie junge Leute nach gewaltsamen Konflikten mit Verletzungen in die Notaufnahme eingeliefert würden. Eine weibliche Besucherin (43) sagte, sie sei heute Abend zur Kundgebung gekommen, weil sie miterlebt habe, wie der Sohn einer Bekannten von jungen Tschetschenen wochenlang in der Schule bedroht und schließlich krankenhausreif zusammengeschlagen worden sei. Der Junge habe nicht mehr in die Schule oder aus dem Haus gehen wollen. Trotz vieler Anzeigen bei der Polizei sei daraufhin nichts passiert. Ihre Erwartung sei, dass „das Problem endlich mal oben gehört wird.“ Sie habe selbst zwei Söhne, die sich abends beim Ausgehen in Prenzlau nicht sicher fühlten. Ein 53–jähriger Selbstständiger aus Prenzlau ist wütend auf die Presse. Die spiele alles herunter. Seine Hoffnung sei, dass die Leute „mal wach werden und auf die Barrikaden gehen. Hier ist Deutschland und kein Schlaraffenland für sämtliche Ausländer.“

AfD attackiert Prenzlaus Bürgermeister

Felix Teichner, Kreisvorsitzender und Landtagsabgeordneter seiner Partei, stellte Sommer vor als „Mann, den ich sehr schätze und achte.“ Streitbar sei er, aber trotz auseinandergehender Meinungen habe man bislang stets miteinander arbeiten können an Lösungen für die Bürger der Stadt. Hendrik Sommer wehrte sich in seiner rund zehnminütigen Rede gegen Vorwürfe der AfD, er schaue tatenlos zu, nenne die Dinge nicht beim Namen oder entziehe sich der Diskussion. Er verwies auf den Brief, den er am 6. März mit Ludger Melters (CDU), dem Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, verfasst habe. Darin forderten beide von Brandenburgs Landesregierung, dass die Justiz entsprechende Maßnahmen gegenüber Gewalttätern ergreifen solle, nachdem die Polizei ermittelt hat.

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In dem Schreiben kritisierten beide auch das Ausbleiben der Rückführung von straffälligen Migranten. Dass es „einen großen Unmut“ in der Stadt gebe wegen der Kriminalität von tschetschenischen Jugendlichen, sei ihm klar. Es mache Angst, wegen „der neuen Dynamik“. Es habe Festnahmen gegeben, und es sei geplant, die Situation im Asylbewerberheim Berliner Straße zu entschärfen, etwa durch Verlegung von tschetschenischen Familien. Im Namen des Weißen Rings bot er Opfern von Gewalt finanzielle Unterstützung und Hilfe an. Von den im Jahr 2021 von unter 25–Jährigen begangenen Straftaten gingen rund 14 Prozent auf das Konto von Ausländern, so Sommer. Er sage dies, ohne bagatellisieren zu wollen. Abschließend erinnerte er daran, dass Straftaten nach deutschem Recht bestraft gehörten, egal, ob es sich dabei um Ausländer oder Deutsche handele.

Die anderen Stimmen Prenzlaus stellen sich. (Foto: Oliver Hauck)

Teichner entgegnete daraufhin vom Podium, dass die öffentliche Hand „nicht ganz tatenlos“ gewesen sei, doch alle wüssten, das habe „nicht gereicht.“ Um zu belegen, dass man in der Kreisstadt mit den gewaltbereiten tschetschenischen Jugendlichen in der Vergangenheit zu nachsichtig gewesen sei, zitierte er aus dem Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses vom 10. September 2018. An diesem Tag habe Bürgermeister Sommer von mehreren Fällen berichtet, die sich innerhalb einer Woche an Prenzlauer Schulen ereignet hätten. Zwei Schülern seien Klappmesser abgenommen, einem Kind ein Zahn ausgeschlagen worden. Das achtjährige Mädchen sei Übergriffen durch zwei Jungs aus dem Asylbewerberheim ausgesetzt gewesen. Das Kind habe daraufhin nicht mehr die Schule besuchen wollen, die hilflose Mutter sei von einer Stelle zur nächsten verwiesen worden.

AfD spricht von „kollektivem Versagen“

Bereits vor fünf Jahren, so Teichner, habe sich „kollektives Versagen“ abgezeichnet und, dass „die Menschen im Stich gelassen werden, die Schutz brauchen vor denen, die lediglich vorgeben, unseren Schutz zu brauchen.“ Daran habe sich bis heute nichts gebessert, so Teichner. Mit Bezug auf den Überfall vom 2. März zeichnete er ein düsteres Zukunftsbild von Prenzlau. Diejenigen, die solche Übergriffe begingen, seien derzeit im Begriff, den Drogenhandel in der Stadt zu kontrollieren. „Wenn ihnen das gelingt, werden sie Waffen, Autos und Immobilien erwerben.“

Ein Video zur Demo hat Uckermark-TV heute veröffentlicht.

Dann habe man Zustände wie in Berlin und anderen Großstädten. Was die AfD tun werde, sei „der Aufbau eines Informationsnetzwerkes, in dem wir in Kooperation mit den zuständigen Behörden Informationen und anonyme Hinweise aufnehmen und auswerten“. Ziel sei, „zu erkennen, zu wissen und zu kommunizieren, wer wann und wo in Prenzlau gegen die rechtmäßige Ordnung verstößt und wer gegen diese Verstöße unseren besonderen Schutz braucht“. Zur Rechtsstaatlichkeit gehöre, „dass jedem Bürger, der selbst Opfer von Gewalt oder Zeuge von Gewalt gegenüber anderen wird, das Recht auf Notwehr und Nothilfe zusteht.“

Hendrik Sommer bei seiner Rede am Montagabend. Rechts neben ihm seine Beigeordneten, Marek Wöller-Beetz (re.) und Dr. Andreas Heinrich. (Foto: Oliver Hauck)

Sich im Ernstfall auch körperlich zu verteidigen, sei Selbstschutz, anderen im Ernstfall beizustehen, sei Zivilcourage. Ein Aufruf zu Zivilcourage sei kein Verbrechen, so Teichner. Danach wandte er sich an die Gegendemonstranten vor der Marienkirche: „Hass zu verbreiten gegen diejenigen, die sich dem Hass und der Gewalt entgegenstellen, ist blanke Verdrehung der Tatsachen. Unter dem Deckmantel von Toleranz sollen nicht die Verursacher der Missstände zur Verantwortung gezogen, sondern die Überbringer der Nachrichten an den Pranger gestellt werden.“

Die starke Polizeipräsenz sorgte für Sicherheit in der Kreisstadt. (Foto: Cindy Mutschler)

Der AfD–Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck forderte Abschiebungen, um das Problem der Kriminalität von Migranten zu lösen. Im Gegensatz zu Hendrik Sommer könne er „frei und ehrlich“ über die Probleme in der Region sprechen. Die AfD habe immer vor offenen Grenzen und Masseneinwanderung gewarnt. Er verwies auf seinen Eintrag bei facebook vom 16. Februar unter der Überschrift „Tschetschenenterror in der Uckermark stoppen!“ Man müsse sich „gegen die importierte Gewalt wehren“ und „maximalen Druck aufbauen“. „Die da oben“ leugneten alle Probleme. Unter Multikulti würden Täter mehr beschützt als Opfer, „kritische Bürger stärker angegangen als ausländische Kriminelle“. Man wolle nicht zu Berlin, Dortmund oder Hamburg werden. Diese seien „ein kunterbunter Wahnsinn.“

Jemand schrieb seine Botschaft auf einen Blumenkasten der Stadt Prenzlau. (Foto: Cindy Mutschler)

Weitere Redner waren an diesem Abend Tony Riller und Klaus–Martin Bastert (beide AfD). Nach dem Abspielen der Nationalhymne machte sich ein Teil der Versammlung im Rahmen eines Montagsspazierganges auf den Weg zum Robert–Schulz–Ring, dem Schauplatz des Überfalls vom 2. März. Laut Auskunft der Polizei verlief die Kundgebung dort ohne größere Zwischenfälle. Ein offensichtlich angetrunkener Mann habe zur Gewalt aufgerufen, sei daraufhin der Versammlung verwiesen worden und müsse mit einer Strafanzeige rechnen.

AfD Instrumentalisierung vorgeworfen

Zurück blieben die Teilnehmer der Gegendemonstration vor der Marienkirche. Immer wieder waren die Redebeiträge auf dem Podium der AfD von ihren Trillerpfeifen begleitet worden. Aus dem Konzept bringen ließen sich die Redner davon nicht. Lothar Priewe von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ kritisierte gegenüber dem Uckermark Kurier, dass die AfD „als Selbstverteidigung zur Gewalt aufrufe.“ Wie könne man die Abschiebung von Tschetschenen fordern, wissend, dass diese aus politischen Gründen nicht zurückkehren könnten? Patrick Telligmann, Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Grüne, sagte, der AfD gehe es überhaupt nicht darum, Probleme zu lösen. Stattdessen würden Fronten aufgemacht. Probleme mit der Integration löse man, indem man sich engagiert, sodass Geflüchtete in die Gemeinschaft hineinwachsen könnten.

Vertreter der Organisation der Prenzlauer Montagsdemo zählten zu den Demonstranten. (Foto: Cindy Mutschler)

Martin Stransky, Vorsitzender der Jusos der Uckermark, sagte: „Es fehlen Sozialarbeiter an den Schulen. Die Geflüchteten brauchen eine Perspektive, dann kann auch Integration geschehen.“ Hetze und Stimmungsmache helfe dabei nicht.