Himmelsbäume in Prenzlau
Der Wald der toten Kinder
Prenzlau / Lesedauer: 3 min

Claudia Marsal
Anja Hanemann hatte drei Stunden mit ihrem Sohn. Dann schloss der Kleine für immer die Augen. Das Drama ist mittlerweile sechs Jahre her. Doch es vergeht kein Tag, an dem die Prenzlauerin nicht an ihn denkt. Ihr Erstgeborener ist stets präsent. Aber das lähmt sie nicht mehr so sehr wie am Anfang. Darf es auch nicht, denn mittlerweile ist die junge Frau erneut Mutter geworden und wird gebraucht. „Den Tod zu akzeptieren und damit weiterzuleben, das stellt für verwaiste Eltern eine große Herausforderung dar“, sagt die gebürtige Thüringerin, die einer gleichnamigen Selbsthilfegruppe vorsteht.
Jeden letzten Donnerstag im Monat treffen sich in ihrer Regie Mütter und Väter, die ihre Kinder gehen lassen mussten ‐ unter dem Dach des Uckermärkischen Hospizvereins. Sie kommen zusammen, um sich in ihrem ganz individuellen Trauerprozess zu unterstützen und Kraft zu geben.

Furchtbarer Verlust
Zu denen, die regelmäßig dabei sind, gehört Cordula Lüpke. Ihr Sohn hatte vor neun Jahren Selbstmord begangen und sie in tiefster Verzweiflung zurückgelassen. Bis heute kann die Krankenschwester nicht über den Verlust sprechen, ohne dass die Tränen fließen. Dass ihr Benjamin mit nur 25 Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden ist, bleibt nach wie vor unbegreiflich für sie.
Die 60-Jährige weiß, dass das Umfeld von Hinterbliebenen oft erwartet, dass irgendwann mal genug getrauert ist und die Betroffenen zur Tagesordnung zurückkehren. Aber sie kann bis heute den Moment nicht vergessen, in dem ihr Jüngster in einer SMS seinen Suizid angekündigt hatte. Ein Vierteljahrhundert, mehr war ihr nicht mit ihm vergönnt.
Nur wenige Jahre
Silke Bernhard hatte sogar nur 23 Jahre mit ihrem Karl-Friedrich. Der junge Bauer starb vergangenes Jahr bei einem tragischen Arbeitsunfall und hinterließ eine verzweifelte Familie.
Noch im Mutterleib hörte das Herz von Paul Jonas, dem Kind von Judith K., auf zu schlagen. Das war 2021, in der 33. Schwangerschaftswoche, und ließ die junge Frau in ein tiefes Loch fallen. Zweieinhalb Jahre später hat auch sie mit der Selbsthilfegruppe eine wichtige Anlaufstelle gefunden. Wenn die Prenzlauerin hier spricht, können alle anderen nachempfinden, wie es ihr geht: „Mir hat damals sehr geholfen, dass ich meinen kleinen Sohn in einer stillen Geburt zur Welt bringen und danach noch im Arm halten konnte. Ich bin daran gewachsen, das war eine Zäsur.“
In der Kleinen Heide
Für ihr totes Baby und all die anderen verstorbenen Kinder sollen künftig in der Kleinen Heide „Himmelsbäume“ in die Höhe wachsen. Die Idee dazu hatte ein Mitglied, welches diese Tradition aus den alten Bundesländern mitgebracht hat. Die Prenzlauer Selbsthilfegruppe fand das schön und will das Projekt nun gemeinsam mit Stadtförster Jens Rackelmann in die Tat umsetzen. Die Mitglieder trafen sich deshalb in dieser Woche mit dem Forstexperten zu einer Begehung. Er hatte da schon einen Hauptweg im Blick, an dem das geschehen kann.
Jens Rackelmann: „Wichtig ist Platz, denn die Bäume sollen ja groß werden.“ So wie es denen, denen sie gewidmet sind, leider nicht vergönnt war. Aus zehn verschiedenen Baumsorten können die verwaisten Familien wählen, denn nicht jeder Baum eignet sich im hiesigen Wald; darunter sind Esskastanie, Spitzahorn und Roteiche.
Flatterulme fürs Sternenkind
Anja Hanemann weiß schon, dass sie ihrem Sternenkind eine Flatterulme widmen wird. Doch längst nicht alle sind schon schlüssig, weshalb man nun übereingekommen ist, die Pflanzaktion etwas nach hinten zu schieben. Die Mitstreiter sind mit der Idee an die Öffentlichkeit gegangen, weil sie hoffen, noch andere Angehörige erreichen zu können. Wer seinem toten Kind ein lebendiges Andenken setzen will, darf sich gern melden.
Kontakttelefon: 0162 7539465