Wolfsschutz
Der Wolf rückt in der Uckermark näher an Siedlungen
Küstrinchen / Lesedauer: 7 min

Sigrid Werner
Es ist der vierte Wolfsriss seit etwa einem Jahr, der sich ganz nahe bei Küstrinchen ereignet hat, erzählt Einwohnerin Heike Hellwich–Klöpper. 50 Meter vom letzten Wohnhaus entfernt auf dem Feld ist dieser Tage ein tragendes Damtier offensichtlich von einem Wolf gerissen worden. Frauen aus dem Dorf hätten die Schreie der Hirschkuh gehört. Eine breite Blutspur hatte die Jägerin und ihren Hund am nächsten Morgen an den Ort des Geschehens geführt. Das ist Natur, weiß sie und will den Ball flach halten. Dass der Wolf auch in ihrem Jagdrevier angekommen ist, mache sie nicht zwangsläufig unruhig. Die Küstrinchener hätten auch jeden Riss durch einen ehrenamtlichen Wolfsberater beurteilen lassen. Der Wolf rücke immer näher ans Dorf. Heike Hellwich–Klöpper beobachtet, dass sich manche Frauen nicht mehr durch den Wald trauen, um baden zu gehen, und Kinder davon abhalten, im Wald zu spielen. Ganz zu zu schweigen davon, dass der Anblick der „Reste“ der Raubzüge für Unvorbereitete verstörend wirke.
Wolfssichtungen häufen sich
Selbst die Wolfssichtungen werden immer häufiger, nahe am Dorf, sogar im Dorf. Früher habe es geheißen: Der Wolf sei ein scheues Tier. Dass der Mensch ihn zu sehen bekomme, sei eher unwahrscheinlich. Aber langsam fragt sich selbst die passionierte Jägerin, wie lange das noch gut gehe. „Viele auf dem Dorf halten Tiere, Schafe, Pferde, Ponys, Hunde“, erinnert sie. Es sei vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis der Wolf da leichte Beute finde. Die Scheu vor den Menschen scheine jedenfalls nicht sehr groß.
Fluchtdistanz gesunken
Solche Berichte machten inzwischen fast täglich die Runde unter Jägern in der Uckermark, bestätigt Harald Löschke. Er ist seit 50 Jahren Jäger. Ihn stört es nicht, wenn der Wolf im Wald Tiere reißt und sich das Einstandsverhalten seiner Beutetiere dadurch verändert. „Ich muss nicht schießen, ich freue mich, wenn ich Wild sehe“, sagt er. Er sei auch kein Jäger, der ausnahmslos jeden Blattfresser aufs Korn nehme. „Ich möchte auch nicht, dass jeder Wolf tot geschossen wird“, sagt er. Aber nach seiner Ansicht habe der Beutegreifer angesichts der strengen Schutzmaßnahmen den Respekt vor den Menschen verloren und wage sich immer näher an die Siedlungsbereiche. Auch Löschke hat nach eigenen Aussagen einen Wolf schon in Templin direkt neben der Kurmeile auf dem Acker gesehen. Dessen Fluchtdistanz vor dem Menschen von üblich 400 bis 500 Metern scheine hier in der Region auf 30 bis 50 Meter geschrumpft, schlussfolgert er aus den ihm bekannt gewordenen Wolfsichtungen. Dabei würden die klugen Tiere ganz schnell lernen, wo ihnen Gefahr drohe, und diese Gebiete meiden, wenn ihnen Grenzen gezogen würden, zum Beispiel vor Viehweiden, an oder in Ortschaften. Aber selbst das Vergrämen des streng geschützten Tieres sei ja nur unter großen Hürden möglich. Der Vertreter des regionalen Jagdverbandes Templin würde sich freuen, wenn in der Politik ideologische Vorbehalte einer sachlicheren Beurteilung der Wolfsbestände weichen würden.
Anhörung im Bundestag zum Jagdrecht
Anläufe dafür gebe es. Gerade hat die CDU/CSU–Bundestagsfraktion einen Antrag auf Bejagung von Wölfen als Teil eines Bestandsmanagements und eine unverzügliche Definition des Erhaltungszustands des Wolfes gefordert. In einer öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss Mitte Januar 2023 stieß sie damit allerdings auf geteiltes Echo. Die Meinungen reichten von Ablehnung — die Bejagung führe nicht zur Befriedung von Konflikten — über die Forderung nach besserer fachlicher Begleitung des Herdenschutzes (nach EU–Recht zu 100 Prozent förderfähig) bis hin zur Zustimmung, übergriffige Wölfe unverzüglich entnehmen zu dürfen. Allerdings ohne gleich eine Jagdquote festzulegen, die zu geschwächten Rudeln führten und diese erst recht zu den Weiden treibe, wie es Schafhalter auch befürchten.
Kleine Anfragen im Landtag
Auch im Landtag Brandenburg ist das Wolfsmanagement immer wieder Thema. Im Oktober 2022 hieß es auf eine kleine Anfrage der CDU, dass die Zahl der Nutztierrisse durch Wölfe von einst ein bis zwei Fällen im Jahr auf 165 Fälle im Jahr 2021 gestiegen sei, wobei 718 Schafe und Ziegen und 22 Rinder auf das Konto des Wolfes gingen. Der zuständige Minister schätzte in seiner Antwort aber auch ein, dass sich die meisten Übergriffe von Wölfen auf unzureichend geschützte Tierbestände von Hobbyhaltern ereigneten. Ende Januar 2023 fragte die Landtagsabgeordnete von BVB/Freie Wähler Christine Wernicke nach dem Umgang mit „auffälligen Wölfen. Im Wolfsjahr 2021/2022 hatte das Landesamt für Umwelt 47 Rudel, zwei weniger als im Vorjahr, 14 Paare und 160 Welpen in 61 Wolfsgebieten im Land bestätigt. Nach der Wolfsverordnung des Landes dürfen unter anderem Wölfe, die in räumlichem Zusammenhang und innerhalb eines Abstands von höchstens vier Wochen mindestens zweimal in geschützte Weidetierbestände eingedrungen seien und dort Weidetiere oder Herdengebrauchshunde gerissen oder verletzt haben, von berechtigten Personen getötet werden. Vor solchen Maßnahmen — auch die zur Vergrämung — muss aber die Fachbehörde für Naturschutz und Landschaftspflege erst bestätigen, dass es sich um auffällige Tiere handelt. Auffällig ist demnach auch, wenn sich Wölfe Menschen bis auf 30 Meter aktiv nähern.
Lizenzjagd in Schweden als Beispiel?
Harald Löschke reicht diese Art des Wolfsmanagements nicht aus. „Wir haben hier so viele Wölfe, wie es mittlerweile in ganz Skandinavien gibt“, sagt er. Dort lebten 2020/2021 48 Rudel und 27 Paare, ist auf der NABU–Internetseite zu lesen. Im EU–Land Schweden werden Lizenzen für die Jagd von Wölfen vergeben, die aber noch die Überlebensfähigkeit der Population sichern sollen. Deshalb sei dort 2019 und 2020 auch die Jagd ausgesetzt worden. Harald Löschke fände dies eine Möglichkeit, die Wolfspopulation überlebensfähig, aber im Rahmen zu halten.
Überprüfung des Schutzstatus durch EU
In europäischen Staaten ist der Wolf durch die Berner Konvention von 1979 und in der EU seit 1992 zusätzlich durch das Regelwerk der Fauna–Flora–Habitat–Richtlinie streng geschützt. Das EU–Parlament hat im November mehrheitlich eine Resolution angenommen, in der die EU–Kommission aufgefordert wurde, den Schutzstatus von Populationen zu überprüfen und Änderungen in bestimmten Regionen zuzulassen, sobald der erwünschte Erhaltungszustand erreicht ist. Die EU–Kommissionspräsidentin hatte Ende November eine Prüfung in Aussicht gestellt.
Jagdhunde in Gefahr?
Für Harald Löschke ist das alles noch wenig greifbar. Im Übrigen wolle er wie vermutlich viele Hundehalter wissen, wie er sich regelgerecht verhalten könne, sollte sein Jagdhund von einem Wolf angegriffen werden. Denn er würde um sein Tier kämpfen, das sei doch nachvollziehbar. Warum solle ein Leben wertvoller sein als ein anderes, fragt er. Aufmerksam verfolgt er in dem Zusammenhang das Gerichtsverfahren gegen einen niederländischen Jäger, der 2019 im Fläming einen Wolf getötet hatte, um seinen Jagdhund zu retten. In erster Instanz war der Mann vom Amtsgericht Potsdam freigesprochen worden.
Berufungsverhandlung am 21. Feburar
Viele Jäger sahen in dem Urteil die Anerkennung einer Notlage. Der Deutsche Jagdverband hatte das Urteil begrüßt und Rechtssicherheit für Jäger gefordert. Das Urteil macht bis heute in sozialen Medien die Runde. Doch die Staatsanwaltschaft sieht in der Tötung des Wolfes weiter eine Straftat nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Sie hat Berufung eingelegt. Für den 21. Februar 2023 ist nun die Berufungsverhandlung am Landgericht Potsdam terminiert.