Ansage aus dem Exil
„Entweder auswandern oder den Mund halten“
Malchow / Lesedauer: 3 min

Claudia Marsal
In der Malchower Kirche wird demnächst erneut ein streitbarer Geist erwartet. Als Gesprächspartner angesagt hat sich Chaim Noll. Der 1954 als Hans Noll in Berlin geborene Referent ist Journalist und Schriftsteller, der schon für die FAZ, den Focus und das Neue Deutschland geschrieben hat und freiberuflich tätig ist.
DDR-Bürgern dürfte auch sein Vater, der bekannte Autor Dieter Noll, ein Begriff sein. Dieser galt im Dritten Reich als „Halbjude“. Doch was es bedeutet, jüdisch zu sein, wusste Chaim Noll nach eigener Aussage in seiner Kindheit nicht. Später dafür umso mehr. Noch als Student hatte er sich 1980 auf spektakuläre Weise der Einberufung zur NVA widersetzt. Er ließ sich kurzerhand in die Psychiatrie einweisen, was seine Ausmusterung zur Folge hatte.
In den Westen ausgewandert
Als erklärter Regimegegner reiste er vier Jahre später in den Westen aus. Anfang der 1990er Jahr ging er mit seiner Frau nach Italien, später nach Israel, wo er bis heute in der Wüste lebt, seit 1998 als israelischer Staatsbürger. Noll ist neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch Uni-Dozent. In sein Geburtsland reist er bis heute regelmäßig zu Vorträgen und Lesungen.

Im Herbst 2020 gehörte er hier zu den Erstunterzeichnern des „Appell für freie Debattenräume“. Auf dem Einband seines Buches „Der Rufer aus der Wüste“, das er als „Ansage aus dem Exil“, betitelt, ist Folgendes zu lesen: „Was ist in Deutschland geschehen? Die Demokratie wurde durchorganisiert, gesäubert, ordentlich und überschaubar gemacht. In den so bereinigten Machtstrukturen bedarf es nur noch eines verabredeten Signals, um eine unliebsame Person durchgängig auszuschalten.“
Einfach ausgeladen
Chaim selbst hat damit wiederholt Erfahrung gemacht, unter anderem in Form einer Ausladung von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die eine Lesung von ihm in Leipzig unerwartet abgesagt hatte — drei Tage vor dem vereinbarten Termin und ohne Angabe von Gründen. Der 69-Jährige erklärte sich das damals mit seiner wiederholten Kritik an der Nahostpolitik des zu dieser Zeit noch von SPD-Minister Heiko Maas geführten Auswärtigen Amtes: „Ich habe daran erinnert, dass diese antiquierte, ideologiegesteuerte, erfolglose Politik den deutschen Steuerzahler jährlich Millionen kostet ...“
Wenn er noch jung wäre ...
Sein Fazit: „Ich bin in der glücklichen Lage, den Verlust von Honoraren in Deutschland zu verschmerzen. Wenn ich jetzt aber jung wäre und in Deutschland auf irgendeine Weise meine Existenz bestreiten müsste, würde ich das Zeichen der Stiftung dahingehend verstehen, entweder auszuwandern oder in Zukunft meinen Mund zu halten, kritische Regungen zu unterdrücken und die Politiker dieses Landes den Pleiten entgegensteuern zu lassen, die sie verdient haben und für die sie dann, wie üblich, Millionen Unbeteiligte bezahlen lassen.“
Das schrieb er übrigens schon im April 2019. Sein Resümee: „Die alte Bundesrepublik, vierzig Jahre lang von den Vertretern gestandener Demokratien beaufsichtigt, war eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat ...“ Wer Lust hat, mit dem Gast zu diskutieren, kann sich am Donnerstag, dem 21. September, um 18 Uhr in der Kirche Malchow bei Prenzlau einfinden. „Es verspricht, ein interessanter Abend zu werden. Wir werden ihn garantiert nicht ausladen“, macht der Organisator, Pfarrer Thomas Dietz, neugierig.