Unterkunft in Prenzlau
Erste Flüchtlinge im Gewerbegebiet Ost nicht vor Jahresende 2023
Uckermark / Lesedauer: 7 min

Heiko Schulze
Der Beschluss des Kreistages, das Bürohaus im Prenzlauer Gewerbegebiet Ost zur Erstaufnahmeunterkunft für bis zu 300 Flüchtlinge auszubauen, wird weiterhin kontrovers diskutiert. Heiko Schulze führte zu diesem brisanten Thema ein Gespräch mit Uckermark-Landrätin Karina Dörk, ihrem Beigeordneten Henryk Wichmann und Sozialamtsleiter Marko Ulrich.
Was sind die nächsten konkreten Schritte, nachdem der Kreistag am Dienstag entschieden hat, das Bürohaus im Gewerbegebiet Prenzlau Ost zu einer Erstaufnahmeunterkunft für bis zu 300 Flüchtlinge und Asylbewerber auszubauen?
Ende April wird dazu ein Beschluss der Aufsichtsräte der kreiseigenen Gesellschaften UDG und UEG gefasst. Deren Geschäftsführer Mike Förster geht davon aus, dass bis Ende des Jahres zwei Etagen in diesem Gebäude für die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen bezugsfertig sein werden. Die weiteren Etagen sollen bis Ende 2024 fertig umgebaut sein.
Mit welchen Vorlaufzeiten kündigt das Land das Ankommen weiterer Flüchtlinge im Landkreis Uckermark an?
Wir haben vom Land für 2023 als Landkreis das Aufnahmesoll von 1756 Personen übermittelt bekommen, von denen bislang 314 eingetroffen sind.
In diesem Jahr gab es bereits drei Zwangszuweisungen von bis zu 40 Personen mit einer Woche Vorlauf. Wir erfahren dabei nicht, ob es Familien sind und aus welchen Herkunftsländern sie kommen. Deshalb ist es so entscheidend, dass wir eine Erstaufnahmeeinrichtung mit Verteilfunktion haben, um deren weitere Unterbringung steuern zu können.

Wenn keine anderweitigen Möglichkeiten bestehen, die Flüchtlinge und Asylsuchenden unterzubringen, kann die Zahl von maximal 300 in der Brüssower Allee 91 weiter erhöht werden?
Nein, das ist ausgeschlossen. Es gibt klare Standards der Unterbringung, von Raumgrößen bis hin zu Sanitäranlagen.
Wird die Notunterkunft im ehemaligen „Telekom‟-Gebäude in der Brüssower Allee 97 bei Inbetriebnahme der Erstaufnahmeeinrichtung als solche wieder aufgegeben?
Das wurde in der Begründung des Kreistagsbeschlusses zugesichert. Es soll in Prenzlau nicht drei zentrale Unterkünfte geben.
Wie viele Asylbewerber und Geflüchtete haben Stand heute Unterkunft im Landkreis Uckermark?
In der Zuständigkeit des Sozialamtes sind es 1257 aus sogenannten Drittstaaten, zwei Drittel davon leben in Gemeinschaftsunterkünften, ein Drittel in Wohnungen. Hinzu kommen 1200 Ukrainer in Zuständigkeit des Jobcenters, die alle in Wohnungen untergekommen sind.
Das Flüchtlingsheim in der Berliner Straße in Prenzlau betreibt die Human Care GmbH. Warum will der Landkreis die neue Einrichtung im Gewerbegebiet Ost von den kreiseigenen Töchtergesellschaften (UEG bzw. GUB) ausbauen und bewirtschaften lassen?
Wir möchten, dass das Geld, das in die Gebäude investiert wird, im Landkreis verbleibt. Auch mit Blick auf eine spätere Nachnutzung. Zur „Flüchtlingskrise‟ 2015 haben wir beispielsweise die ehemalige Förderschule in Angermünde als Flüchtlingsunterkunft umgebaut. Heute dient dieses Gebäude der Gesellschaft für Leben und Gesundheit (GLG) als Campus.

Können Sie sagen, über welchen Zeitraum hinweg das ehemalige AWP-Verwaltungsgebäude als Erstaufnahmeunterkunft dienen soll?
Das lässt sich heute nicht seriös vorhersagen. Es ist abhängig von der Entwicklung der Flüchtlingsströme, aber auch von möglichen Veränderungen der Asylpolitik der EU, des Bundes und des Landes. Der Druck, der diesbezüglich aus Kommunen und Landkreisen kommt, unabhängig von Parteizugehörigkeiten, ist immens. Das kann nicht ohne Reaktionen und Veränderungen bleiben.
Wie könnte eine Nachnutzung der Erstaufnahmeunterkunft im Bürohaus des Gewerbegebietes Ost aussehen?
Da gibt es bereits einige Überlegungen, die wir zusammen mit der Stadt vertiefen möchten. Denkbar wäre ein Internat für das Oberstufenzentrum, die Medizinische Schule Uckermark will ihr Angebot um die Sanitäterausbildung erweitern, und auch der Katastrophenschutz braucht Räumlichkeiten.
Gibt es im Landkreis überhaupt Unterkünfte und Wohnungen, in die
die Flüchtlinge von Prenzlau aus zeitnah verteilt werden könnten?
Zum 1. Juli und zum 1. November sollen jeweils 90 Plätze in der Gemeinschaftsunterkunft in Schwedt zur Verfügung stehen, die gegenwärtig in zwei Bauabschnitten ausgebaut wird. Im Mai kommen weitere 160 Plätze in der ehemaligen OSZ-Turnhalle in Schwedt hinzu. In Angermünde soll die Flüchtlingsunterkunft, die durch einen immensen Wasserschaden derzeit nicht genutzt werden kann, mit einem Neubau auf dann 180 Plätze erweitert werden. Dazu wird es im Juni eine Kreistagsvorlage geben. Doch in der Summe sind diese Unterbringungsmöglichkeiten weit von der Zahl entfernt, die wir aufnehmen müssen.
Im Barnim und in der Prignitz haben die Landkreise leerstehende Wohnung von den Wohnungsgesellschaften für Flüchtlinge angemietet. Warum geht der Landkreis Uckermark nicht auch diesen Weg? Immerhin liegt die Leerstandsquote in der Uckermark aktuell bei durchschnittlich zehn Prozent...
Wir hatten am 17. Januar Bürgermeister, Amtsdirektoren und kommunale Wohnungsunternehmen zu einer Flüchtlingskonferenz eingeladen. Im Ergebnis gab es 50 Wohnungsangebote mit insgesamt 395 Plätzen. Als Landkreis als Mieter für die einzeln verteilten Wohnungen aufzutreten, wäre mit einem riesigen bürokratischem Aufwand verbunden. Und leer gezogene Häuserblöcke in Ortsteilen mit Flüchtlingen zu belegen, würde dort zu großen Spannungen führen.
Wohnungsunternehmen haben allerdings 2015 in Einzelfällen schlechte Erfahrungen mit der direkten Vermietung an Flüchtlinge gemacht. Diese waren plötzlich verschwunden, Betriebskosten waren unbeglichen, Wohnungen danach renovierungsbedürftig. Vor diesem Hintergrund bieten wir den kommunalen Wohnungsunternehmen zusätzlich zur Mietkaution eine sogenannte Kostenübernahmeerklärung an, um finanzielle Risiken für kommunale Vermieter zu vermeiden.
Ist die Aufnahme von Flüchtlingen und der Betrieb der Einrichtung durch kreiseigene Unternehmen auch finanziell ein lukratives Geschäft? Gerade mit Blick auf eine Lücke von 12,5 Millionen Euro im Kreishaushalt?
Nein. Laut Landesaufnahmegesetz gibt es einmalig 2300 Euro für jeden neu geschaffenen Platz und aus einem „Brandenburg-Paket‟ einmalig 7000 Euro für den Zeitraum von zwei Jahren, zusammen also 9300 Euro. Die zusätzlichen Mittel aus dem Brandenburg-Paket sind für den Landkreis gedeckelt auf rund fünf Millionen Euro.
Bei 250 bis 300 neu zu schaffenden Plätzen im Gewerbegebiet Ost wären dieses circa 2,79 Millionen Euro. In den Umbau müssen wir 2,5 bis 3 Millionen Euro investieren, plus circa 427 000 Euro für den Ankauf inklusive Nebenkosten. Auch die Gemeinschaftsunterkunft in Schwedt kostet uns am Ende 5,2 Millionen Euro, wovon das Land 1,7 Millionen Euro übernimmt.
Es sind so oder so Steuergelder, doch wenn die sanierten Gebäude in unserem Eigentum verbleiben, gehen die Investitionen unserem Landkreis – auch mit Blick auf eine spätere Nachnutzung – nicht verloren.
Welche Mittel stehen für die soziale Infrastruktur zur Verfügung?
Dazu erhalten wir für den Zeitraum von zwei Jahren einmalig insgesamt 4.8 Millionen Euro aus dem „Brandenburg-Paket‟. Kosten für den Wachschutz, die Migration und Betreuung (1 Sozialarbeiter auf 80 Bewohner) sowie laufende Betriebskosten werden über das Landesaufnahmegesetz beglichen.
Im bislang unsanierten ehemaligen AWP-Verwaltungsgebäude profitierten ansässige Unternehmen im Gegenzug bisher von vergleichsweise niedrigen Mieten. Welche Alternativen haben Sie für diese?
Die Auslastung des Bürogebäudes liegt aktuell bei 17 Prozent. Wir werden zeitnah das Gespräch mit den Mietern, aber auch mit den umliegenden Einrichtungen und Unternehmen suchen, um ihre Fragen und Sorgen aufzugreifen und gemeinsam Lösungen zu suchen.
Die Kreistagsentscheidung wurde am Dienstag unter anderem gegen den Willen des Prenzlauer Bürgermeisters und des Vorsitzenden der Prenzlauer Stadtverordneten getroffen. Wie soll da künftig eine vertrauensvolle Zusammenarbeit noch möglich sein?
Die Landrätin hat am Donnerstag einen Brief an den Bürgermeister und Vorsitzenden der Stadtverordneten geschrieben und darin noch einmal versichert, die Sorgen, Ängste und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen. Es wird intensiv daran gearbeitet, zeitnah Konzepte und Lösungen vorzuschlagen, die berechtigten Interessen Rechnung tragen. Die kommunale Gemeinschaft kann nur mit gegenseitigem Verständnis funktionieren und in einem Miteinander, auch und gerade in solch schwierigen Situationen, die weder Landkreise, noch Kommunen wie Prenzlau sich ausgesucht haben. Wir stehen aber gemeinsam in der Verantwortung, damit umgehen zu müssen. Die Einschätzung und Kritik, dass uns die Asylpolitik von EU, Bund und Land überhaupt erst in diese Situation gebracht hat, teilen wir.