Debatte

Händler wollen keinen Luxus-Rewe in Prenzlau

Prenzlau / Lesedauer: 8 min

Der Großteil der Stadtverordneten, die sich heute Abend auch über den geplanten Neubau eines Fachmarktzentrums am Neustädter Damm austauschen wollen, stehen dem Vorhaben der REWE-Gruppe positiv gegenüber. Der Bürgermeister hat mit zusätzlichen Verkaufsflächen Bauchschmerzen, und ein Teil der Innenstadthändler sowie Gastronomen lehnen die Ansiedlung an diesem Standort komplett ab.
Veröffentlicht:18.02.2021, 10:23

Von:
  • Ines Markgraf
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Die geplante Ansiedlung eines Fachmarktzentrums am Neustädter Damm Süd, praktisch hinter dem bestehenden Norma, schien in den vergangenen Wochen kein Thema mehr zu sein. Nach der Vorstellung des Projektes und des „Vorabchecks“ der Gesellschaft für Markt und Absatzforschung mbH im Ausschuss für Wirtschaft-, Stadt- und Ortsteilentwicklung am 3. November durch den Grundstückseigentümer Michael Baier, der gleichzeitig Investor ist, und den Expansionsmanager der Rewe Ost GmbH, Michael Rudolph, war es ruhig geworden. Scheinbar, denn die Zeit nutzte der Investor, um seine Planungen voranzutreiben. Dem Uckermark Kurier wurde ein Ausschreibungsblatt Brandenburg/Berlin vom 15. Februar zugeschickt, in dem die Bauleistungen ausgeschrieben wurden. Geplanter Baubeginn: Frühjahr 2022, Bausumme: 4 000 000 Euro.

Investor hat keine Ausschreibung veranlasst

„Das ist völliger Unsinn“, sagt Investor Michael Baier auf Nachfrage. „Zum einen steht dort, dass Rewe der Bauherr ist, was nicht stimmt. Außerdem kann ich noch gar keine Ausschreibung machen, da die Pläne noch nicht so weit sind und wir die Genehmigungen erst abwarten.“ Baier, selbst völlig fassungslos, kündigte rechtliche Schritte gegen diese Unwahrheiten an. (Die Firma bi-medien, die die Ausschreibung veröffentlicht hat, bekam die Infos dazu von der Berliner Firma DTAD, die ihre Informationen an diese Plattform weitergab. Die Ausschreibung, mit der weder Rewe noch Michael Baier etwas zu tun haben, wie sie versicherten, wurde nun entfernt. DTAD wurde von der Redaktion angefragt, bis Redaktionsschluss gab es keine Auskunft, woher die Infos stammen).

Drogeriemarkt dm in Aussicht gestellt

Die Baier Group plant einen 1800 bis 2000 Quadratmeter großen Rewe-Markt im Stil der „Green Building“-Architektur (große Glasflächen, Photovoltaik und Nutzung von Regenwasser) und stellt die Ansiedlung des Drogeriemarktes dm in Aussicht (800 qm) ist. „Wir möchten den Standort modernisieren und zukunftsfähiger gestalten.“ Geplant seien nach heutigem Stand 160 Parkplätze. „Wir werden auf die Wünsche unserer Mieter eingehen ... Heute möchten wir mit den Stadtverordneten ins Gespräch kommen und hören, wie sie zum Vorhaben stehen.“

Nach dem aus seiner Sicht positiven Feedback im November hatte er die Pläne Anfang des Jahres in den Fraktionen vorgestellt. Nun erwartet er die Einleitung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanverfahrens.

Händler sammeln Unterschriften

Doch nun regt sich unter den Unternehmen und Händlern enormer Widerstand. Sie wollen die Ansiedlung des Lebensmittelmarktes, der zudem innenstadtrelevante Sortimente (der Drogeriemarkt) anbietet, verhindern. Britta Buse, Vorsitzende der Werbegemeinschaft in Prenzlau, hat nach einer Unterschriftensammlung – organisiert von Händlern der Friedrichstraße – am Montag einen entsprechenden Brief an die Stadtverordneten verschickt.

Diese werden am heutigen Donnerstag in ihrer Sitzung über die Neuansiedlung diskutieren. Allerdings hinter verschlossenen Türen. Dort sollen, so erklärt Bürgermeister Hendrik Sommer (parteilos), grundsätzlich zu klärende Fragen behandelt werden. „Bevor der Antrag des Investors auf Einleitung eines Vorhaben bezogenen Bebauungsplanverfahrens eingereicht und von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen werden muss, kann auch mit Festlegung der Tagesordnung ein Thema vorab nichtöffentlich nochmals diskutiert werden, zumal in diesem Falle keine Beschlussvorlage vorliegt. Das erforderliche Bauleitplanverfahren ist jedoch zwingend im öffentlichen Teil zu behandeln.“

Langes Sterben der Innenstadt

Händler und Gastronomen wären gern dabei, wenn es, aus ihrer Sicht, um das Überleben der Innenstadtanbieter geht. „Durch derartige Größenordnungen und innenstadtrelevante Sortimente außerhalb des jetzigen Innenstadtkerns ist das langsame Sterben des Handels in der Stadt nur noch eine Frage der Zeit. Wie schädlich das für den innenstädtischen Einzelhandel und die Gastronomie werden kann, können Sie im benachbarten Pasewalk, meiner Heimatstadt, beobachten“, so Buse.

Prenzlau hat zu viele Verkaufsflächen

Aus ihrer Sicht gibt es genügend Einkaufsmöglichkeiten. Mit Marktkauf und Kaufland existieren bereits zwei Vollsortimenter, hinzu kommen sieben Discounter, darunter Lidl und Norma, die ihre Verkaufsflächen noch vergrößern. Mit dem neuen Aldi in Prenzlau und dem im Oktober des vergangenen Jahres eröffneten Netto in Gramzow sind weitere Verkaufsflächen hinzugekommen. Auch Bürgermeister Hendrik Sommer hat mit dem neuen Rewe seine Bauchschmerzen. „Die Verwaltungsspitze begrüßt grundsätzlich alle Investoren, die sich in Prenzlau engagieren wollen. In diesem Falle weisen wir darauf hin, dass in Prenzlau bisher bereits eine sehr hohe Einzelhandelsdichte vorliegt laut aktuellem Einzelhandelskonzept mit Beschluss der Stadtverordneten vom 19. September 2019 (24 Ja-Stimmen, zwei Enthaltungen, keine Nein-Stimme, Anm. d. Red.). Danach gibt es bislang 2,6 Quadratmeter Gesamtverkaufsfläche je Einwohner bei einem Brandenburger Durchschnitt von 1,6 (Berlin 1,3). Zusätzlich ist zu beachten, dass man die Fehler aus Anfang der 1990er Jahre, innenstadtrelevante Sortimente an den Stadtrand zu verlagern, nicht wiederholen sollte. Daher wird die Ansiedlung von innenstadtrelevanten Sortimenten an dieser Stelle kritisch gesehen, da es dem vorliegenden Einzelhandelskonzept widerspricht.“

Bürgerversammlung geplant

Klare Worte eines Bürgermeisters, dem ein breit gefächertes Angebot in der Innenstadt am Herzen liegt. Mit seiner Meinung wird er, so hoffen die Unterschriftengeber, auch nicht hinterm Berg halten. Zudem hat er den Stadtverordneten vorgeschlagen, vor einem noch zu fassenden (Eröffnungs)-Beschluss des Planverfahrens, eine Bürgerversammlung durchzuführen. „Der Vorschlag wurde von den Stadtverordneten positiv aufgenommen“, sagte er.

Britta Buse, die einen Haushaltswaren- und Geschenke- laden plus Postfiliale in der Friedrichstraße betreibt, will vor der heutigen Diskussion sicherstellen, dass die Fakten auf den Tisch kommen. Verwundert ist sie von der Tatsache, dass das gleiche Unternehmen – die Gesellschaft für Markt und Absatzforschung mbH – sowohl das Einzelhandelskonzept für Prenzlau vor zwei Jahren und nun den Vorabcheck für Rewe angefertigt hat. „Hier widersprechen sich einige Aussagen. Auch das Einzugsgebiet wurde einfach in Richtung Templin erweitert, andererseits wird der Kurstadt aber kein Kaufkraftverlust bescheinigt. Wie geht so was?“ Für sie ist es ein „Schönrechnen“, denn mit dem Wunsch, dass die Kunden aus Richtung Templin den neuen Rewe (sowohl Prenzlau als auch Templin haben bereits eine Filiale) für sich entdecken, soll sich der geplante Umsatz um rund 2,3 Millionen Euro auf rund 10 Millionen Euro erhöhen. Auch das „Versprechen“, dass mit der Ansiedlung mindestens 30 bis 40 Arbeitsplätze (Rewe sprach in den Fraktionssitzungen von bis zu 50) entstehen, glaubt Britta Buse nicht. „Hier geht es wahrscheinlich um Teilzeit- und Minijobs“.

Händler warten auf Überbrückungshilfen

2013 gab es schon einmal in der Kreisstadt eine ähnliche Diskussion. Damals wollten sich Aldi, das Dänische Bettenlager und der Drogeriemarkt dm neben Marktkauf ansiedeln. Doch gegen den Widerstand aus der Händlerschaft und von Einwohnern wollte die Mehrheit der Stadtverordneten das Projekt nicht befürworten. „Wozu noch mehr Verkaufsfläche? Die Bevölkerungszahl geht laut Prognose bis 2025 um vier Prozent zurück“, fragt Britta Buse. Zudem findet sie es traurig, dass „28 Stadtverordnete über das Schicksal der durch die coronabedingten Schließungen gebeutelten Unternehmen entscheiden. Hier fragen sich die Händler auch, wie oft die gewählten Vertreter der Stadt, die Geschäfte im Zentrum besuchen und dort einkaufen – und so den lokalen Handel stärken. Besonders jetzt wird doch deutlich, was ein weiterer Vollsortimenter anrichten kann. Die meisten Händler und Dienstleister sind seit Wochen dazu verdammt, ihre Läden zu schließen. Sie müssen um ihre Existenz bangen, denn sie warten seit Monaten auf die Überbrückungshilfen, die nun für Ende März angekündigt sind. Währenddessen im Kaufland und im Marktkauf Blumen, Schreibwaren, Technikartikel, Haushaltswaren und vieles mehr verkauft werden. Wünschenswert wäre eine Stärkung der Innenstadt hinsichtlich des Ausbaus des bestehenden Rewe oder auch neue Verkaufsflächen und Erweiterungen.“

IHK ist nicht begeistert vom Vorhaben

Unverständnis äußert auch Diplom-Betriebswirtin Uta Häusler, Referentin HandelService der Industrie- und Handelskammer Ost. An sie war Britta Buse herangetreten, um eine fachkundige Meinung zu erhalten. „Ich bin etwas erstaunt über das Vorantreiben einer Rewe-Neuansiedlung in dieser Größenordnung und sehe dies sehr kritisch“, heißt es in einem Schreiben. Vor allem macht sie darauf aufmerksam, dass es einen deutlichen Überhang der Verkaufsfläche im Lebensmittelbereich gibt. „Prenzlau wies bereits 2019 761 qm Verkaufsfläche je 1000 EW im genannten Sortiment gegenüber dem Branchendurchschnitt mit 612 qm/1000 EW aus. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass seit der Erstellung des Einzelhandelskonzeptes (EHZK) einige Discounter und Supermärkte ihre Flächen ausweiteten beziehungsweise dies noch planen.“ Schon im besagten Konzept, das wie bereits erwähnt, 2019 mit sehr großer Mehrheit der Stadtverordneten befürwortet wurde, gab es die Empfehlung, dass „kein weiterer Flächenausbau erforderlich sei.“ Die Nahversorgung am geplanten REWE-Standort sei durch Norma, eine Bäckerfiliale Steineckes Heidebrot und den A-Z-Getränkemarkt gesichert. „Es ist daher in keiner Weise nachzuvollziehen, warum bereits nach so kurzer Zeit das beschlossene EHZK durch nicht nachvollziehbare Entscheidungen außer Kraft gesetzt wird. Die Neuansiedlung eines Rewe-Marktes muss abgelehnt werden. Denn ein solcher Bau hätte deutlich größere Auswirkungen auf den Bestand und würde die Wirtschaftlichkeit aller anderen Standorte wesentlich beeinflussen, bis hin zu Standortschließungen“, gibt Diplom-Betriebswirtin Uta Häusler zu bedenken.