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Untertanengeist?

Historiker entsetzt von Lust am Denunzieren

Prenzlau / Lesedauer: 5 min

Dr. René Schlott beobachtet mit Sorge, wie viele Menschen Freude am Gehorsam und am Funktionieren haben und wie sehr der Staat auf Ausgrenzung setzt.
Veröffentlicht:29.10.2021, 18:11

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Angst war eins der großen Themen beim jüngsten Gemeindeabend in der Malchower Kirche. Mit dem Historiker Dr. René Schlott hatte Pfarrer Thomas Dietz abermals einen streitbaren Geist in die Uckermark eingeladen. Der Politologe stellte gleich zu Beginn seines Vortrages klar, „dass die durch Staat und Medien bewusst geschürte Angst” eine Erklärung für die unsägliche Entwicklung der letzten Monate sei. Er habe es von Anfang an als sehr besorgniserregend empfunden, mit welcher Selbstverständlichkeit die Einschränkungen von den Menschen hingenommen wurden. Als im Frühjahr 2020 dann ein internes Strategiepapier des Innenministeriums geleakt wurde, habe er sich bestätigt gesehen: „Denn da gab es klare Anweisungen, was getan werden soll, um der Bevölkerung Angst zu machen.“

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Das Wort Ausgangssperre beispielsweise habe er bis dahin nur aus seiner Forschung zu Diktaturen gekannt, räumte der 44-Jährige ein. „Als das dann bei uns ins Gespräch kam, fragte ich mich: Wieso sagt denn jetzt niemand was? Wieso stellt keiner in Frage, ob das angemessen und gerechtfertigt ist? Bei diesen tiefen Eingriffen in die Freiheiten hätte ich mehr Gegenwind erwartet. Ich kann mir das bis heute nur mit den Bildern aus China und Italien sowie den angstschürenden Nachrichten erklären, mittels derer die Bevölkerung bewusst in Panik versetzt wurde.“

Enttäuscht von Intelektuellen

Der Dozent räumte ein, dass er zunächst wahnsinnig enttäuscht war, weil die großen Intellektuellen des Landes alle schwiegen. Dass er sich dann schon sehr früh öffentlich äußerte, hatte mit einem von ihm verfassten Artikel zu tun. „Danach trafen bei mir hunderte Mails und Briefe ein. Es schrieben mir Lehrer, Krankenschwestern, Kommunalbeamte, Ärzte und viele andere, um mir zu danken für meinen Mut. Bis dahin hatte ich das noch gar nicht als sehr mutig empfunden. Ich wollte auch nie ein Corona-Aktivist werden. Dieses positive Feedback hat mir aber gezeigt, dass man vielleicht doch nicht allein ist und dass andere diese Ermunterung brauchen.“

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Auf die Frage, was der einzelne denn tun könne, sagte Schlott: „Es muss nicht jeder demonstrieren gehen. Die, die das tun, haben meinen vollsten Respekt. Aber ich denke, es reicht schon, wenn jeder an seinem Platz aufpasst, dass er dort menschlich bleibt.“ Der gebürtige Thüringer räumte ein, ganz bewusst gegen Regeln verstoßen zu haben. „Wir haben im Lockdown beispielsweise Kindern, die mit ihren Familien in engen Wohnungen lebten, erlaubt, in unserem großen Garten zu spielen. Ich habe auch meinen Sohn über den verschlossenen Spielplatzzaun gehoben.“ Die abgesperrten Spielplätze seien ein Bild gewesen, das sich ihm eingebrannt habe. „Ich habe viele Fotos gemacht, um für die Nachwelt festzuhalten, mit welch martialischen Mitteln versucht wurde, die Kinder fern zu halten. Da gab es Bauzäune, dicke Schlösser, Polizeiabsperrband und Draht – ich fand das echt schockierend. Und eigentlich noch schlimmer, dass keiner dieser Menschen, die damit beauftragt waren, Nein gesagt hat. Auch nicht, als es darum ging unsinnige Verweilverbote oder anderen Verordnungen durchzusetzen, also dass das Leute durchgeführt haben, ohne mit der Wimper zu zucken. Ebenso wie andere Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen Alte und Kranke einsam sterben ließen – mit Billigung der Gerichte und Medien.“

Nach Beerdigung angeschwärzt

Als Historiker habe er immer gedacht, dass es vorbei sei mit dem deutschen Untertanengeist. „Aber heute registriere ich tatsächlich wieder, dass es eine Lust am Gehorsam und am reinen Funktionieren gibt, und die Mentalität, dass man ungeheuer gern aufpasst, ob die anderen auch gehorchen.“ Als Beispiel führte er das Anschwärzen nach einer Beerdigung an. „Ich weiß von einem Fall, wo ein Mann gerade seine Frau verloren hatte und nach der Beisetzung zwei Freunde mit nach Hause nahm. Noch während diese zum Trost beisammen saßen, kam die Polizei, weil ihn Nachbarn gemeldet hatten.“ Aus der Erfahrung der letzten Monate müsse er leider sagen, dass Denunziantentum etwas sei, „was tief in der deutschen Seele liegt.”

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An manchen Stellen seines Vortrages musste Dr. René Schlott sichtbar schlucken: „Ich frage mich tatsächlich, was der Staat vielleicht noch tun kann, ohne dass die Leute sich verweigern.“ Momentan habe er ein wahnsinniges Gefühl der Ernüchterung, „Ich spüre, dass das nicht mehr meine Gesellschaft ist.“ Gefragt, was er als Entscheidungsträger in der jetzigen Situation täte, erklärte der Wissenschaftler: „Ich würde von oben ein Signal senden, dass wir eine Bevölkerung sind und nicht einen Teil davon verächtlich machen dürfen. Die Menschen müssen verstehen, dass der Feind nicht die Ungeimpften, die Querdenker, die Reiserückkehrer oder wer auch immer sind, sondern einzig und allein das Virus. Die aktuell zu beobachtenden Mechanismen der Ausgrenzung kennzeichnen eine Diktatur und sind ein ganz beliebtes Mittel, um von anderen Problemen abzulenken. Diese Art der Politik beschert mir ein ganz schlimmes Gefühl.”

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Am Ende des Abends stockte dann wiederum vielen im Publikum der Atem, als Dr. René Schlott die letzte Frage beantwortete. Ein Zuschauer hatte noch wissen wollen, welches Gesellschaftssystem er hier bei uns als nächstes sehe: „Wenn wir nicht ganz doll aufpassen, halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass es das chinesische System sein wird. Viele Vorzeichen deuten darauf hin. Ich sehe immer mehr Leute, die damit liebäugeln und davor graut mir sehr.”

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