Gnadenhochzeit

Kinderfreundschaft in Lychen hält ein Leben lang

Lychen / Lesedauer: 6 min

Seit der dritten Klasse hatten Brunhilde Irmscher und Fredo Bock Augen füreinander. Vor 70 Jahren wurden sie ein Paar, doch der Weg war schwierig.
Veröffentlicht:27.07.2021, 18:41
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  • Author ImageHorst Skoupy
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Brunhilde und Fredo Bock verbindet eine Leidenschaft füreinander, die ihre zarten Anfänge schon in der dritten Klasse genommen hat. Da nämlich war der kleinen Brunhilde Irmscher in der Lychener Volksschule der Junge aufgefallen. „Er war so ein Stiller, Ruhiger. So ganz anders als viele seiner Mitschüler“, erzählte die heute 90-Jährige. Und auch Fredo, inzwischen 91-jährig, hatte damals an dem Mädchen mit den langen Haaren Gefallen gefunden. Beide erinnern sich noch, wie Fredo sie geneckt hatte. „Einmal hat er mir meine Geldbörse weggenommen. Ich wollte sie natürlich wiederhaben. Als er sie endlich zurückgab, war plötzlich ein Passbild von ihm darin“, so Brunhilde Bock. Was als Kinderfreundschaft begann, krönten die beiden am Dienstag mit ihrer Gnadenhochzeit. Vor genau 70 Jahren hatten sie sich die Ehe versprochen. Seither hat ihre Liebe zueinander und ihr Verständnis füreinander über viele Höhen und Tiefen in ihrem Leben hinweggeholfen.

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Dabei hatte es der Zweite Weltkrieg mit seinen Begleiterscheinungen den beiden nicht einfach gemacht, zueinander zu kommen. Im Mai 1944 hatte Fredo gerade seine Lehre als Baumaschinenschlosser in Lychen angefangen, als er noch zum Wehrdienst eingezogen wurde. Im Frühjahr 1945 kam er nach Wittstock/Dosse. „Wir sollten in Berlin den Führerbunker schützen. Doch dort kamen wir schon gar nicht mehr hin, weil dort die Russen schon standen. Wir sind damals Richtung Schwerin geflüchtet“, erinnerte sich der Lychener. Prompt nahmen die Amerikaner den damals erst 15-Jährigen fest und steckten ihn in ein Kriegsgefangenenlager in Köln.

Schneiderin aus Passion

Bis zum Frühjahr 1946 musste Brunhilde warten, bis Fredo wieder nach Lychen kam. In der Heimat war es ihr indes nicht viel besser ergangen. „Zu Kriegsende herrschte in Lychen das Chaos. Alles war hier voller Flüchtlinge“, erinnerte sie sich. Dazu seien viele Häuser von deutschen Soldaten angesteckt worden. Die Russen hatten damals die Stadt besetzt. Es gab kaum Nahrungsmittel. Wer Brot haben wollte, musste zum Arbeitseinsatz. „Wir haben Schützengräben zugeschüttet, Kartoffeln gelegt und das Krankenhaus in Hohenlychen aufgeräumt. Dort wollten die Russen rein. Alles ohne Bezahlung. Am Abend gab es eine Marke, für die man Brot bekam.“ Zum Glück kannte ihre Mutter eine Schneiderin, bei der Brunhilde arbeiten konnte. „Sie hatte aber nur eine Gesellenprüfung und durfte nicht ausbilden“, erzählte sie. Ihr Leben lang hatte Brunhilde geschneidert, bis ins hohe Alter – für die Familie und für viele andere Menschen. Und alles, ohne je einen Berufsabschluss in der Hand zu halten. „Für meine Rente wäre der natürlich besser gewesen“, sagte sie heute.

Im Tanz vereint

Fredo indes konnte im Sommer 1946 seine Lehre fortsetzen. „Zur Gesellenprüfung 1947 bin ich mit dem Fahrrad bis nach Zehdenick gefahren. Bus oder Züge fuhren damals ja nicht.“ Danach konnte er als Traktorist bei der Maschinen- und Traktorenstation (MTS) anfangen. 1948 schien es, als wenn aus der Freundschaft zwischen den beiden mehr werden könnte. „Wir sind ins Kino gegangen, haben uns zum Tanz verabredet. Wir waren beide leidenschaftliche Tänzer“, schwelgte Brunhilde Bock noch heute in Erinnerungen. Sie liebte den Walzer, den Fredo allerdings nicht so gut tanzen konnte. Den Tango dafür umso mehr, verriet der Senior. Und dennoch sollte es eine weitere Bewährungsprobe für die aufkeimende Liebe geben.

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1949 ging Fredo zur Kasernierten Volkspolizei nach Brandenburg an der Havel. Wieder war er weg. Nur wenn er auf Heimaturlaub war, konnten sie sich treffen. Immerhin hatte er die Zeit genutzt, um mit 18 Jahren seine Fahrerlaubnis zu machen, Fahrlehrer und Lehrausbilder zu werden – Dinge, die ihm später noch nützen sollten. Doch im Frühjahr 1951 passierte es. „Ich wurde schwanger. Ein Kind zu bekommen, ohne verheiratet zu sein, das gab es damals nicht. Also haben wir uns im März im Urlaub verlobt und im Sommer dann geheiratet“, erzählte Brunhilde. Selbstverständlich hatte sie ihr Brautkleid selbst genäht. Noch im gleichen Jahr kam der erste Sohn der kleinen Familie auf die Welt.

Rückkehr nach Lychen

Um den kleinen Henry musste sich die junge Mutter zunächst selbst sorgen. „Meine Mutter, deren Mann im Krieg geblieben war, hatte selbst eine neue Liebe gefunden und war weggezogen. So blieb ich allein. Aber ich hatte Hilfe von meinem Schwiegervater und meinen Freunden.“ Erst 1953 kehrte Fredo vom Dienst bei der Kasernierten Volkspolizei zurück. Im August konnten sie endlich ihre erste gemeinsame Wohnung beziehen. Ein Jahr später kam ihr zweiter Sohn Karsten zur Welt. Heute zählen drei Enkel und acht Urenkel zur Familie.

Familie im Mittelpunkt

Endlich in der Heimat konnte Fredo Bock in Lychen auch beruflich Fuß fassen. Er begann als Kraftfahrer bei der Forst, später dem Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb, gab den Beruf als Ausbilder auch an Lehrlinge weiter, unter anderem in den 1970er Jahren an laotische Gastarbeiter. Ein Job, der ihn bis zur Wende begleiten sollte. Er musste kurz vor der Rente miterleben, wie der Staatliche Forstwirtschaftsbetrieb aufgelöst wurde. Er wurde selbst für zwei Jahre arbeitslos, bis er mit 65  Jahren in Rente gehen konnte. Brunhilde Bock führte den Haushalt, verdiente sich für die Familie mit Schneiderarbeiten etwas dazu, kümmerte sich um die Kinder. Rückblickend sagten beide, dass es ihnen nie an etwas gefehlt habe. „Wir haben uns in unserem Leben eingerichtet, wie es eben möglich war. Wir haben mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund Urlaubsreisen unternommen, auch ins Ausland. Unsere Kinder waren immer mit dabei. Fredo hat über 40  Jahre lang leidenschaftlich Volleyball gespielt, bis hinauf in die Bezirksliga. Wir liebten den Tanz, der uns beide zusammengebracht hat. All das hat uns als Familie zusammengehalten“, sagte Brunhilde Bock.

Dem Leben dankbar

Die vielen Lebensjahre gingen an den beiden Senioren nicht spurlos vorüber. Krankheiten, Operationen hatten sich in den vergangenen Jahren gehäuft. Nach dem letzten Klinikaufenthalt von Fredo hatte der Arzt dem Ehepaar nahegelegt, ihn im Betreuten Wohnen unterzubringen. Doch davon wollte Brunhilde nichts hören. Sie ist noch so fit, dass sie den Haushalt der Familie allein führen kann. Die Söhne kommen täglich, um mit Fredo Spaziergänge zu unternehmen. Und auch sonst hilft die Familie nach Kräften. „Wieso soll ich dann Fredo in ein Heim geben?“, gab sie sich selbstbewusst. Solange es geht, wollen die beiden zusammen bleiben. Sie sind dankbar dafür, dass sie gemeinsam so einen seltenen Jahrestag wie die Gnadenhochzeit erleben dürfen. „Wir haben das große Glück, uns all die Jahrzehnte gut zu verstehen“, sagte Brunhilde Bock.