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Corona-Protest

Pfarrer wendet sich gegen die „totale Panikmache“

Schönfeld / Lesedauer: 9 min

Aus persönlicher Betroffenheit mischt sich Thomas Dietz in die Corona-Debatte ein. Von der ersten Demo kehrte er beeindruckt nach Schönfeld heim.
Veröffentlicht:27.08.2020, 19:17

Von:
  • Claudia Marsal
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Thomas Dietz hätte sich am Wochenende gern wieder auf den Weg nach Berlin gemacht – zur Corona-Demo. Bei der ersten am 1. August war er bereits dabei. Aber diesmal verhinderte das sein Terminplan – bereits Wochen vorher standen die Konfirmationen drin. Diese Familien wollte er nicht enttäuschen. Bei der Entscheidung fürs Bleiben konnte er allerdings nicht ahnen, dass es die für den 29. August geplante Kundgebung auch gar nicht geben wird. Der Senat hat sie Mittwoch verboten.

Ein Unding, wie der 60-Jährige, der 1989 in Schönfeld ordiniert wurde und seitdem für viel Bewegung im ganzen Pfarrsprengel gesorgt hat, findet. Denn um die Menschen und vor allem um die Situation vor Ort macht sich der 2015 mit dem Bundesverdienstorden geehrte Kirchenmann zunehmend Sorgen.

Bereits am 20. April schickte er deshalb einen offenen Brief an Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke (SPD) und Ministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/Grüne). Darin schilderte er unverblümt die Situation auf dem Land: „Seit nunmehr fünf Wochen liegt das öffentliche Gemeindeleben unserer Kirchengemeinden durch die Regierungsbestimmungen in unserem Land am Boden ... Dies ist in der 800-jährigen Geschichte unserer Kirchengemeinden einmalig.

Selbst zu Pestzeiten möglich

Selbst zu schlimmsten Kriegs-, Diktatur- und Pestzeiten war dies möglich und hat den Menschen Trost, Orientierung und Hoffnung gegeben. Und das alles passiert überall in unserem Land und hier speziell in einer der sozial schwächsten Regionen Deutschlands, für die ich spreche und wo Sie froh und dankbar sein sollten, dass es solche Aktivitäten gibt – trotz so vieler Widrigkeiten!“

Die Schäden, so Dietz, die jetzt infolge der Regierungsbestimmungen eintreten würden, stellten sich für ihn als unverantwortlich dar: „Sie türmen sich vor uns auf und werden über Jahre und Jahrzehnte nachwirken. Die Menschen benötigen dringend das Gespräch und die Gemeinschaft.“ Sie seien in den vergangenen Wochen in eine Angstpsychose versetzt worden, „die ich so in meiner über 32-jährigen Arbeit als Seelsorger noch nie erlebte! Völlig berechtigt haben die Menschen Angst um ihr Lebenswerk und ihre weitere Existenz.

Dabei geht es nicht um den Erhalt von Luxusreisen nach Thailand, Ägypten oder Neuseeland, sondern um ihr Lebenswerk und die Perspektiven, um die von ihnen und ihrer Kinder. Dies ist eine Angst, die tötet! Ich frage: In welcher Statistik erscheint eigentlich diese? Der Präsident der Bundesärztekammer hat Ende April in einem Interview darauf hingewiesen, dass weder aus wissenschaftlicher noch aus medizinischer Sicht es Gründe gibt, die derzeitigen Einschränkungen so fortzusetzen. Wie sind die derzeitigen Beschränkungen, die Kontaktsperren, die Verbote der freien Religionsausübung noch verstandesgemäß nachzuvollziehen? Ich kann es nicht mehr! Vielleicht ist mein Horizont zu begrenzt?“

Keine Antwort

Danach wartete der Kirchenmann auf Antwort. Vergebens, deshalb ging Anfang Mai erneut Post auf den Weg, diesmal auch noch an Bischof Dr. Christian Stäblein adressiert. „Viele Menschen haben mich gefragt, ob ich auf meinen offenen Brief eine Antwort erhalten habe. Leider ist das nicht der Fall. Ich bedaure das zutiefst, weil es anscheinend nicht mehr zur politischen Kultur in unserem Land gehört! Und ich bedaure das umso mehr in einer Zeit, in der Aufklärung und Nachvollziehbarkeit des regierenden Handelns nötiger denn je ist! Vor 30 Jahren erlebte ich als damaliger DDR-Bürger das Wunder des friedlichen Endes der kommunistischen Diktatur und die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Das war für mich ein unglaubliches Geschehen, mit dem ich niemals gerechnet hatte. Zurzeit erlebe ich, dass unsere Grundrechte wesentlich eingeschränkt sind, ohne erkennbare und überzeugende Gründe...

Sie schüren Angst! Wollen Sie das? – An diesem Wochenende sind im Spiegel die täglichen Todesfälle im ersten Quartal diesen Jahres im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren veröffentlicht worden. Es gibt keine Übersterblichkeit!

Es gab sie auch nicht! Warum wird dann nicht endlich dieser todbringende Lockdown beendet? Sterben erlebe ich, aber ganz und gar anders: Ich erlebe, wie mühsam aufgebaute Existenzen einbrechen, wie Menschen ruiniert werden, wie Menschen vereinsamen, wie Menschen nicht einmal von ihren Angehörigen Abschied nehmen dürfen, wie die Bildung von Kindern und Jugendlichen auf Wochen und Monate hin unterbrochen und auf ein niedriges, billiges Niveau gefahren wird, ich erlebe, wie Menschen in Depressionen versinken, ich erlebe, dass Enkel sich nicht trauen ihre Großeltern zu besuchen und in die Arme zu nehmen ... ich erlebe, wie Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit um sich greifen, dass erkrankte Menschen nicht im Krankenhaus aufgenommen werden, obwohl dies zur Hälfte leer steht, ich erlebe, dass Angehörige Patienten nicht besuchen dürfen, dass Kinder verwahrlosen, weil der einzige Ort, an dem sie tagsüber gut aufgehoben waren, die Kindertagesstätte, seit Wochen geschlossen ist... Ich erlebe, wie die Gemeinschaft in dieser Gesellschaft zerbricht! Und begleitend: Ich erlebe auch traurig und enttäuscht, dass meine eigene Kirche versagt und keine Stellung bezieht.

DDR-Kirche hatte Mut

Dies ist ganz und gar anders als in der Kirche zur DDR-Zeit! Dort hat Kirche Mut bewiesen, auch wenn nicht alles richtig war. Die Gleichgültigkeit gegen über all diesen Erscheinungen macht mich sehr betroffen...“ Wieder erhielt er keine Antwort von der Landesregierung, aber der Bischof nahm sich ausführlich Zeit zu einem langen Gespräch.

Im August fuhr Pfarrer Dietz dann zur Demo nach Berlin und schrieb noch in der Nacht folgende Gedanken nieder: „Ein unvergessliches Erlebnis – das Volk war auf der Straße – so habe ich es zuletzt November 1989 erlebt! Damals war ich angehender Pfarrer (29), heute, 31 Jahre später, bin ich mit meinen Kindern (21 und 25) und einem Freund, einem Benediktiner-Mönch (69) dabei gewesen und zutiefst dankbar dafür! ... Ich habe noch nie so viel Menschen auf einmal gesehen! Unvergesslich! Durchweg waren die Demonstranten friedlich, gut gesonnen, konstruktiv. Ich sah viele Regenbogenfahnen, nur eine Reichskriegsfahne. Hochachtung vor den Organisatoren... Jede Demokratie könnte stolz und dankbar für solche Menschen sein! Zu Beginn ein langer, ich schätze zehn Kilometer führender Gang durch die Stadt, trotz Hitze alles dabei: eine 84-jährige Oma aus Eisenach schenkte mir eine Blume, – Familien, Verkäuferinnen, Ärzte, Rechtsanwälte, ein türkischer Koch, Biker aus München, Lehrerinnen, unzählige Jugendliche, Studenten, muslimische Frauen, immer wieder Ehepaare und Familien aus allen Bevölkerungsschichten – ich habe so viel nette und tolle Leute kennengelernt! Von einem solchen Publikum kann ein Kirchentag nur träumen! Dann wären wir Volkskirche! Tolle, phantasievolle Plakate! Manchmal musste ich herzhaft lachen...

Kirche schläft

Mit unzähligen Leuten habe ich mich unterhalten. Sie waren völlig baff, als sie hörten, dass ich Pfarrer bin. ‚Die Kirche schläft total‘ war der Grundtenor!... Ich war traurig. Ich habe mich geschämt... Am Rande des Umzugs beobachtete ich, wie ein RBB-Team versuchte, Menschen anzusprechen und nach den Beweggründen ihrer Teilnahme zu fragen. Die Menschen lehnten ab und ich hörte wiederholt die Begründung: ‚Ihr habt uns gestern als Corona-Leugner und Rechtsradikale verunglimpft. Mit euch sprechen wir nicht.‘ Ich ging daraufhin zu dem Team und erklärte meine Beweggründe: Dass ich im Frühjahr drei Beerdigungen hatte von Menschen, die nicht an oder mit Corona; sondern seelisch vor Einsamkeit zu Tode verkümmert sind, und dass ich das für eine menschliche Gesellschaft für unwürdig halte. Ich erzählte ihnen, dass meine Frau statt mit 25, mit 35 Teilnehmern in die Sommerfreizeit fuhr, weil die Eltern seelig waren, dass endlich irgendetwas mit ihren Kindern veranstaltet wurde und diese Gemeinschaft erfuhren. Ich erzählte ihnen, dass zuvor das Brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport großartige Förderung für jedes Kind angekündigt hatte.

Und als es um die Klärung der Formalita ging, war keiner zuständig und trotz mehrfacher Anrufe und Mails meinerseits bekam ich nicht einmal eine Antwort ... Ich erzählte ihnen, dass ich in der unmittelbaren, sowieso schon gebeutelten Umgebung den Niedergang von zwei Gasthöfen und jeglicher Kultur erlebte...

Diffamierung unerträglich

Ich sagte ihnen auch, dass ich die Diffamierung der Teilnehmer als Corona-Leugner und Rechtsradikale schmerzlich und für unverantwortlich halte! Bereits um 14.30 Uhr meldeten „öffentliche“ Medien völlig lächerliche Teilnehmerzahlen und den Abbruch der Demonstration. Tatsächlich erfolgte der Abbruch erst circa zwei Stunden später. Ich hatte das Gefühl, dass er geplant war. Man hatte Angst, dass noch mehr Menschen kommen! Völlig unnötig, unverhältnismäßig erfolgte dieser Abbruch durch die Polizei ... Die Menschen ließen sich nicht durch die massenweise provokant aufmarschierende bewaffnete Polizei beirren.“

Der Pfarrer hat diese Schreiben öffentlich gemacht, nicht um zu agitieren, wie er sagt: „sondern aus meiner persönlichen Betroffenheit heraus, die mir niemand nehmen kann.“ Als Dietz vom Verbot der Demonstration am Sonnabend hörte, war er enttäuscht: „Enttäuscht, weil damit weiterhin eine öffentliche kritische Diskussion über die Maßnahmen verhindert wird und ich zunehmend um den Frieden in unserem Land fürchte.“

Wenig später sei er auf einen Text des inzwischen verstorbenen katholischen Pfarrers Lothar Zenetti aus Leipzig gestoßen: „Den gibt es auch vertont von Konstantin Wecker und Reinhard May. Das ermutigt.“ Zenetti schrieb: ‚Was keiner wagt, das sollt ihr wagen. Was keiner sagt, das sagt heraus. Was keiner denkt, das wagt zu denken. Was keiner anfängt, das führt aus. Wenn keiner ja sagt, sollt ihr‘s sagen. Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein. Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben. Wenn alle mittun, steht allein. Wo alle loben, habt Bedenken. Wo alle spotten, spottet nicht. Wo alle geizen, wagt zu schenken. Wo alles dunkel ist, macht Licht.“ In diesem Sinne!