Forschungsvorhaben Cross–InnoNet
Planspiel: Studierende schlagen Trostpflaster für Apotheker vor
Boitzenburg / Lesedauer: 5 min

Sigrid Werner
Im ländlichen Raum scheint gerade vieles den Bach runterzugehen. So verschwinden Geschäfte, Gaststätten, Apotheken, Arztpraxen, Bankfilialen aus der Fläche. Das Boitzenburger Land kann ein Lied davon singen. Im August 2022 hat es in Boitzenburg die Apotheke getroffen. Vor allem ältere Bürger liegen Bürgermeister Frank Zimmermann seither im Ohr, für Ersatz zu sorgen. Doch so einfach ist das nicht. Vermittelt durch das Investor Center Uckermark (ICU) haben Studierende der Gemeinde jetzt etwas auf die Sprünge geholfen. Zumindest gedanklich.
Mobilität und Gesundheit
Am 25. und 26. Mai veranstalteten Studenten der Universität Potsdam und der HNE Eberswalde in Boitzenburg auf Einladung des Landkreises und der Gemeinde ein Planspiel zur Apothekenversorgung im Rahmen des Seminars „Kommunale Daseinsvorsorge in Brandenburg“ am Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam. Unterstützt wurde das Planspiel durch das Bundesprogramm „Zukunftswerkstatt Kommunen“ und das Bundesforschungsvorhaben „Cross–InnoNet“, das im Fachgebiet Regionalplanung der BTU Cottbus–Senftenberg bearbeitet wird. „Es beschäftigt sich mit der Daseinsvorsorge in Nordostbrandenburg zwischen Berlin und Szczecin und legt dabei den Fokus auf Verknüpfungen zwischen Mobilität und Gesundheit sowie zwischen Deutschland und Polen“, berichtete Leonard Weiß von der BTU Cottbus. Im Planspiel schlüpften die Studierenden in die Rollen von verschiedenen Handelnden. Für die Spielzeit wurden sie zum Bürgermeister, zu Vertreter von Landkreis, Apothekerkammer oder Verkehrsgesellschaft ...

Schwierige Rahmenbedingungen
Für den fachlichen Hintergrund sorgten zuvor Miriam Priegnitz als Kämmerin des Boitzenburger Landes, Raik Maiwald von der ICU, Ortsvorsteherin Anet Hoppe, Jens Dobbert, Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg, Michael Kranz, Inhaber der Grünen Apotheke in Prenzlau, und Elli Horn, Netzwerkkoordination Pflege vor Ort. Die Rahmenbedingungen ließen sich schnell zusammenfassen: dünne Besiedlung, immer älter werdende Bevölkerung, geringe Kaufkraft, Konkurrenz um die wenige Kunden, schlechte (mobile) Internet–Verbindungen, ausgedünnte öffentliche Verkehrsangebote, aber eine Region, die vom nachhaltigen Tourismus leben will. Anet Hoppe hoffte gar darauf, dass die Studenten mit der Apotheke vielleicht sogar einen wirtschaftlichen Anker für die Alte Feuerwache als künftiges Gemeindezentrum finden und Boitzenburg Apotheken–Modelldorf im Land werden könnte.
Lieferservice als Zwischenlösung
Michael Kranz hat schon praktisch Initiative ergriffen und in Absprache mit dem Bürgermeister einen Medikamenten–Lieferservice als Zwischenlösung organisiert. Patienten werfen ihr Rezept in einen Kasten am Frischemarkt. Eine stundenweise beschäftigte Mitarbeiterin — keine pharmazeutische Fachkraft — fährt seit November täglich die Medikamente aus und nimmt die Rezepte mit. Im Schnitt handelt es sich pro Tag um etwa zehn Rezepte. „Ich habe ein gutes Bauchgefühl dabei“, sagte Kranz. Ob es sich wirtschaftlich rechnet, werde er nach einem Jahr kalkulieren.
Hohe Anforderungen an Apotheke auf dem Lande wenig wirtschaftlich
Der Kammerpräsident sah das weniger optimistisch und bestätigte, was Kranz bereits an hinderlichen Rahmenbedingungen benannt hatte, um in Boitzenburg eine inhabergeführte Apotheke oder wenigstens eine Zweigstelle zu eröffnen. Der alte Standort sei nicht barrierefrei. Apotheker müssten hohe Investitionen tätigen, für eine Filiale mindestens 110 Quadratmeter Ladenfläche nachweisen, ein Labor einrichten, einen ausgebildeten Apotheker für den Standort einstellen, mindestens sechs Tage in der Woche für jeweils sechs Stunden täglich öffnen, mittwochs drei Stunden, 13 Tage Notdienst absichern. Das rechne sich nur bei mindestens 150 bis 200 Kunden am Tag. Die meisten Apotheken in so kleinen Kommunen wie das Boitzenburger Land würden schon heute die nötigen Umsatzgrößen nicht erreichen. 2022 habe es in der Uckermark noch 24 Apotheken gegeben, die von 17 Inhabern geführt werden. Sieben dieser Kollegen würden bis 2033 in Rente gehen. Dobbert rechnet damit, dass damit neun Apotheken geschlossen werden könnten. Eine Aufweichung der strengen Niederlassungsbedingungen sieht er dennoch nicht als Lösung, auch nicht Shop–in–Shop–Systeme. Das würde zu Lasten der Qualität gehen, glaubt er. Wie sollten sich die Inhaber geführten Apotheken sonst von den Versandapotheken abheben? „Verschreibungspflichtige Medikamente für Tiere dürfen in Deutschland nicht versandt werden, Medikamente für Menschen ja."
Größtes Hindernis: Fachkräftemangel
Als Ursachen für das Apothekensterben identifizierte Dobbert neben der Konkurrenz durch den Versandhandel vor allem den Fachkräftemangel, nicht nur bei den Apothekern, sondern auch bei den Pharmazeutisch–technischen Assistenten, und den hohen Drang des Berufsnachwuchses nach guter Work–Life–Balance. Die wenigsten wollten noch Vollzeit arbeiten. So werde heute zwei Fachkräfte gebraucht, wo früher eine reichte.
Idee von einer Apotheken–Genossenschaft
Und so reihte sich „Ein geht nicht“ an das andere. Ausgerechnet Studierende sollten da den Stein der Weisen finden? Eine Gruppe schlug ein „Trost–Pflaster“ für Apotheker in Form eines „Rundum–sorglos–Paketes“ von Gemeinden zum Gewinn eines Apothekers vor. Dies könnte Unterstützung bei Miete, Anschaffungskosten und Wohnortsuche, Kindergarten– und Schulplatzgarantie für die Familie umfassen. Land oder Landkreis könnten finanzielle Risiken in der Startphase abfedern. Sie schlugen die Einführung eines Start–Apotheken–Fonds (Start AP) durch das Land vor. Juristische Rahmenbedingungen müssten auf Bundesebene (zur der geteilten Inhaberschaft und Haftungsfragen) angegangen werden. Für Boitzenburg schlugen die Studierenden die Gründung einer Genossenschaftsapotheke vor, bei der sich mehrere Apotheken zusammenschließen. Dieses Modell funktioniere anderswo bereits und könnte in Boitzenburg als Brandenburger Pilotprojekt erprobt werden.
Studiengang Pharmazie in Brandenburg angeregt
Darüber hinaus empfahlen sie die Einführung eines Studienganges für Pharmazie in Brandenburg. Denkbar wäre aus ihrer Sicht auch eine Erweiterung der Dienstleistungen von Apotheken um Impfungen und Blutabnahmen. Bürgermeister Frank Zimmermann zeigte sich dankbar für so manche neue Idee aus der Studentenrunde. Maurice Heilmann zeigte sich erfreut, als Student die theoretischen Kenntnisse endlich in der Praxis anwenden zu können. „Kommunen sind zur Daseinsvorsorge gesetzlich verpflichtet, nur an der Umsetzung hakt es oft“, so sein Eindruck. „Wir müssen aus der Negativspirale herauskommen“, sagte er. Die Ergebnisse des Planspiels sollen im Rahmen der Zukunftswerkstatt „Mobilität & Gesundheit“ am 8. Juni 2023 im Haus mit Zukunft Angermünde vorgestellt werden.