Gedankenaustausch

Schwierige Suche nach Wegen aus der Personalnot

Templin / Lesedauer: 5 min

In Templin gab es die Gelegenheit, sich zum Thema Fachkräftemangel auszutauschen, der inzwischen ein Arbeitskräftemangel ist.
Veröffentlicht:15.09.2023, 17:51

Von:
  • Horst Skoupy
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Das Thema Fach- oder Arbeitskräftesicherung ist in der Uckermark, wie anderswo auch, allgegenwärtig. Es gibt kaum eine Branche, die nicht auf der Suche nach neuen Mitarbeitern ist. Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass nur wenige Vertreter aus der Wirtschaft neugierig darauf waren, welche Antworten oder Erkenntnisse ihnen ein Podiumsgespräch in Templin vermittelt. Die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihrem Landesbüro Brandenburg hatte unter dem Titel „Dringend gesucht: Arbeitskräfte! Was gegen den Personalmangel getan werden kann“ am Mittwochabend in die Aula der künftigen Europäischen Schule Templin (est) eingeladen. 

Als Gesprächspartner hatte die Stiftung Silke Hartwig von der Industrie und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg, Evelyn Berger, Regionalgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ostbrandenburg sowie den SPD-Bundestagsabgeordneten Stefan Zierke gewonnen. Die Journalistin Cosima Schmitt moderierte die Runde. 

Babyboomer gehen in Rente

Stefan Zierke spannte den Bogen der Gesprächsrunde gleich zu Beginn weit. Sei zunächst von Fachkräftesicherung die Rede gewesen, habe sich das Problem inzwischen zu einem Arbeitskräftemangel entwickelt. In Bereichen, wie beispielsweise der Touristik oder im Dienstleistungssektor, gebe es einen enormen Bedarf — nicht nur an ausgebildeten Fachkräften. „Wir brauchen Menschen, die arbeiten wollen“, sagte er. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich die Situation ab 2025 noch weiter zuspitzen könnte, wenn die sogenannten Babyboomer sich aus dem Arbeitsleben verabschieden und in Rente gehen.

Vorsichtigen Optimismus konnte Silke Hartwig verbreiten. „Nach den aktuellen Zahlen Ende August können wir feststellen, dass insbesondere das Gastgewerbe einen Aufschwung erlebt“, sagte die Leiterin des Fachbereiches Ausbildung bei der IHK Ostbrandenburg. Auch in der Uckermark würden die Ausbildungszahlen wieder steigen. „Pandemiebedingt hatten wir in den letzten Jahren einige Rückgänge, die wir jetzt 2023 wieder aufgeholt haben.“ Ein pauschales Erfolgsrezept zu geben, wie Unternehmen junge Menschen für ihre Ausbildungsplätze gewinnen können, sei schwierig. Unter den Jugendlichen würde sich eine gute Ausbildungsqualität herumsprechen. Dabei sei es egal, ob es sich um kleinere Betriebe oder ein größeres Unternehmen handelt.

Zeit der „Bestenauslese“ ist vorbei

Auch für den DGB bestätigte Evelyn Berger die Trendumkehr. Es gebe mehr Ausbildungsstellen, als Bewerber da sind. Die Gewerkschaft sieht auch den Arbeitskräftemangel. „Wir haben aber auch nicht die Patenlösung. Wir können immer wieder nur sagen: attraktive Arbeitsbedingungen, attraktive Ausbildungsbedingungen“, sagte sie. Für die Unternehmen sei die Zeit der „Bestenauslese“ aus den Absolventen der Schulen vorbei. Das sei aber in den Unternehmen auch angekommen. Dort habe ein Umdenken eingesetzt, sich „extrem kümmern zu müssen“. Gerade für den Handwerksbereich prognostizierte Evelyn Berger „glänzende Zeiten“. Sie sieht aber auch, dass es für heimatverbundene Jugendliche eine Sache ist, in der Region eine Ausbildung zu finden, eine andere aber, danach auch in der Region zu bleiben. In Berlin denke man inzwischen — ähnlich wie beim Studentenwerk, das Studierende unterstützt, — über ein Azubiwerk nach. Vielleicht sei das auch ein Thema für Brandenburg.

Siegmund Bäsler hatte beim dritten Landestag der Jugendagentur in Schwedt genau hingehört, was junge Azubis wollen. „Sie wünschen sich, ab vierte, sechste, siebente Klasse mit Unternehmen in Kontakt zu kommen, um für sich selbst zu testen, was sie morgen möglicherweise machen möchten“, erzählte der Geschäftsführer der WDU Dienstleistungs GmbH. Leider würden das die Regularien des Schulsystems nicht zulassen. Die Unternehmervereinigung Uckermark, deren Ehrenpräsident er ist, sei in diesem Jahr an drei Gymnasien in Angermünde, Templin und Schwedt in den Klassenstufen sieben bis zwölf gewesen. Zwischen zehn und 23 Firmen seien dort in Kontakt gekommen mit 400 bis 450 jungen Menschen. Viele von ihnen hätten erstaunt reagiert, welche Berufe sie in der Uckermark überhaupt ergreifen können. 

Handwerk fordert Werkunterricht

Dem Ansatz konnte Karin Rohde nur beipflichten. Nach Gesprächen mit Betrieben, Schulen, Umfragen mit den Landesinnungsverbänden gebe es eine deutliche Forderung nach Werkunterricht ab der Klasse drei. „Das merkt man wirklich frühzeitig, dass die Kinder das brauchen: bohren, sägen, hämmern“, sagte die Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Uckermark. Die Gesprächsrunde war sich einig darin, dass die Voraussetzungen dafür im Bildungsgesetz des Landes verankert werden müssen.

Paul Fürstmann befürchtet indes amerikanische Verhältnisse in der deutschen Wirtschaft. Er beobachtet, besonders für die Region Templin, wo er Regionalpräsident der Unternehmervereinigung Uckermark ist, dass Betriebe aufgeben, weil sie keinen Nachfolger finden. Das habe zwei Effekte: Wertschöpfung findet nicht mehr in der Region statt, sondern verlagere sich anderswohin. Darüber hinaus würden Fachkräfte abwandern und seien ebenfalls für die Region verloren. In Amerika sei das in den vergangenen Jahren der Fall gewesen. Jetzt versuche die Politik, mit Milliardenpakten gegenzusteuern. Der Unternehmer aus Prenzlau befürchtet, dass sich das in Deutschland wiederholen könnte.

Willkommenskultur angemahnt

Noch viele weitere Themen kamen an dem Abend zur Sprache. So ist Stefan Zierke davon überzeugt, dass es Deutschland nicht allein schaffen wird, sein Arbeitskräfteproblem mit der eigenen Bevölkerung zu lösen. Die Politik müsse daher die Rahmenbedingungen schaffen, um illegale Einwanderung zu begrenzen und sie durch legale Einwanderung abzulösen, mit Menschen, die bereit sind, in Deutschland zu arbeiten. Ein Blick in die uckermärkischen Krankenhäuser, wo Ärzte oder Pflegepersonal aus dem Ausland bereits arbeiten, zeige, dass es geht.

Dass die Integration ausländischer Bürger, die durchaus Potenzial zur Gewinnung von Arbeitskräften mit sich bringe, ihre Schattenseiten hat, machte Christian Hartphiel (SPD) deutlich. Er berichtete dem Publikum von drei Fällen, bei denen Ausländer zwar Jobs bekommen haben, aber wegen Anfeindungen auf offener Straße, im Betrieb oder in sozialen Netzwerken der Uckermark den Rücken gekehrt haben. Wenn das Problem des Arbeitskräftemangels gelöst werden soll, bedürfe es auch einer Willkommenskultur für Ausländer in der Köpfen der Uckermärker. Stefan Zierke sprach davon, dass die Lösung des Problems ohnehin nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Bürgern sein kann.