Schwan verletzt
Tierretterin steht plötzlich als Wilddiebin da
Boitzenburg / Lesedauer: 3 min

Ines Markgraf
Hinter einer Boitzenburgerin liegt eine Odyssee. Die Seniorin hatte am Donnerstagmittag einen verletzten jungen Schwan mit hängendem Flügel auf der Landstraße zwischen Hardenbeck und Lychen entdeckt. „Er ließ sich nicht verscheuchen, lief immer wieder auf die kurvenreiche Fahrbahn. Der nächste Holzlaster hätte ihn erwischt, oder es wäre zu einem schlimmen Unfall gekommen“, ist sie sich sicher. Darum entschied sie sich, den Vogel mitzunehmen. „Ich hatte die Idee, den Schwan dem Templiner Tierarzt Ingo Börner vorzustellen.
Vogelexperte leider nicht erreichbar
Er ist Experte, und ich hatte schon in der Vergangenheit sehr gute Erfahrungen mit ihm gemacht.“ Doch als sie in der Praxis anrief, erfuhr sie vom Anrufbeantworter, dass der Veterinär im Urlaub sei. Über die Bereitschaftsnummer war niemand erreichbar. Dann telefonierte sich die Tierfreundin durch: Egal, ob Untere Naturschutzbehörde, Naturschutzbund, Landratsamt oder Wildtierrettung — alle hoben die Hände. „Niemand konnte mir helfen. Der Tenor ging dahin, dass ich den Schwan auf keinen Fall hätte mitnehmen dürfen beziehungsweise ihn wieder aussetzen soll, das würde die Natur schon regeln. Doch hätte ich ihm seinem Schicksal überlassen sollen?“, fragt sie und ist entsetzt darüber, dass sie jetzt als „Wilddiebin“ gelten soll.
Rettungsleitstelle informiert Jagdpächter
Nach Recherchen des Uckermark Kurier wäre der zuständige Jagdpächter für den Schwan, der unter jagdbares Wild zählt, zu verständigen gewesen. Das übernimmt die Leitstelle Nord–Ost für den Melder, der unter 112 oder 03334 30480 anrufen kann. „Der Jagdpächter entscheidet dann vor Ort, was mit dem Tier passiert“, erklärt Tierarzt Dr. Alexander Genschow auf Nachfrage.
Wildtiere dürfen nicht mitgenommen werden
Man mache sich strafbar, wenn man ein Wildtier mitnehme. So eine emotionale Entscheidung habe Konsequenzen, die der Finder in diesem Augenblick nicht überschauen kann. „Rehkitze, die allein aufgefunden und mitgenommen werden, müssen in Auffangstationen gebracht werden, weil die Mutter sie nicht mehr annimmt“, verdeutlicht Genschow. Auch bei Schwänen sei die Mitnahme in der Brutzeit problematisch, denn Schwäne brüten paarweise und wechseln sich ab. „Ich bin nicht der Typ, der jedes Tier mitnimmt, aber ich finde, der junge Schwan hat eine zweite Chance verdient. Es gibt immer weniger Schwäne bei uns ...“, meint die Boitzenburgerin und äußert ihr Unverständnis darüber, dass ein Naturschützer ihr am Telefon geraten habe, dem Schwan „eins über den Kopf zu hauen“.
Finder muss Arztkosten zahlen
Vielen Findern sei ebenfalls nicht klar, so Dr. Genschow, dass sie, wenn sie sich eines Tieres annehmen, auch für die Tierarztkosten aufkommen müssen. Er weist darauf hin, dass, wenn aus welchen Gründen auch immer, ein Bereitschaftstierarzt nicht erreichbar ist, man einen der sieben Tierärzte im Altkreis Templin anrufen kann. „Wir helfen uns untereinander und sind für die Tierfreunde auch außerhalb der Sprechstunde meistens erreichbar.“
Keine Wildtierstation in der Uckermark
Bei großen Vögeln, die verletzt oder hilflos an Straßenrändern sitzen, sind die Untere Naturschutzbehörde sowie ehrenamtliche Wildtierstationen der Ansprechpartner, heißt es in einem Faltblatt der Naturwacht Brandenburg. Allerdings gibt es in unserer Region keine Wildtierstation mehr: Die in Woblitz wurde am 1. Februar 2023 geschlossen.
Schwan kommt zum Storchenhof
Bei ihrer Suche nach einem Zuständigen traf die Schwanen–Retterin auf den Storchenpflegehof Papendorf e. V.. Vereinschef Jens Krüger versicherte ihr, das Tier am Dienstag, wenn er wieder vor Ort ist, kostenlos aufzunehmen. Seit 1996 kümmert er sich um Großvögel und arbeitet mit verschiedenen Tierärzten zusammen. „Wir agieren Ländergrenzen übergreifend“, sagt er. Derzeit leben rund 15 Vögel auf dem Hof (Telefon: 03973 229077). Bis dahin wird der Schwan im Stall in Boitzenburg versorgt. „Er frisst und ist in guter Verfassung“, so die Seniorin.