Agrardialog

Uckermärker Landwirte vor extremen Herausforderungen

Schwedt / Lesedauer: 5 min

Selten in der Geschichte des Agrardialogs Uckermark waren die Zeiten so unsicher. Experten versuchten Landwirten, ein wenig Orientierung zu geben.
Veröffentlicht:26.05.2022, 17:57

Von:
  • Sigrid Werner
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„Haben ist besser als brauchen” – mit diesen Worten eröffnete Chris Röwert, Vertriebsleiter der AGRAVIS Ost GmbH & Co KG, den 18. Agrardialog an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Obwohl die Veranstaltung von AGRAVIS und Bauernverband statt wie gewohnt im Februar erst im Mai stattfand, war der Saal nach der Coronapause 2021 gut gefüllt.

Mehr zu dem Veranstaltungsformat: Landwirte wollen säen, nicht palavern

Landwirte aus der Uckermark und angrenzenden Regionen hatten Austauschbedarf. Denn wohl noch nie in der Geschichte des Agrardialogs mussten Agrarhändler wie Chris Röwert konstatieren: Produkte und Dienstleistungen für und in der Landwirtschaft sind ein knappes Gut geworden. Keines davon stehe in diesen Wochen in Menge, Qualität und gewohnten Preisen zum benötigten Zeitpunkt stabil zur Verfügung. Die Herausforderungen für die Landwirte seien komplexer, die Reaktionszeiten für Entscheidungen kürzer, aber Planungshorizonte länger geworden.

Zur Landwirtschaft in der Uckermark: So stellen sich Bauern Landwirtschaft der Zukunft vor

Die Rede sei von Kornkrieg und Ernährungskrise. Wie sind in solchen Zeiten die auf dem Weltmarkt drastisch gestiegenen Preise für Getreide und Raps zu bewerten und was sollten Bauern in der Uckermark auf dem Schirm haben? „Wir hoffen, dass es kein Wunschdenken ist, dass die Wahrnehmung und Wertschätzung Ihrer Leistung in Politik und Gesellschaft jetzt wieder steigt”, sagte Röwert an die Landwirte gewandt. Denn trotz gestiegener Erzeugerpreise stehen die Bauern vor riesigen Herausforderungen. Auch die Preise für Energie, Kraftstoff, Logistik, Personal und Düngemittel steigen rapide. Die Landwirte müssen wissen, was braucht der Markt im nächsten Jahr und was müssen sie unbedingt haben, um liefern zu können.

Ukraine-Krieg nicht der einzige Grund

Bernhard Chilla, Agrarmarkt-Analyst von Agravis Raiffeisen, beleuchtete die weltweit knappen Versorgungsbilanzen von Getreide und Ölsaaten und deren Auswirkungen auf den deutschen Agrarmarkt 2022/2023. Der Ukraine-Krieg sei längst nicht die einzige Ursache für die Unsicherheiten, er habe das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Denn auf einem globalen Markt hängt alles mit allem zusammen. Aus den USA wurden Ertragsverluste beim Winterweizen avisiert. Dieselrationierungen schränken Bauern in Argentinien ein. Aus Iran und Irak würden trockenheitsbedingte Ertragsverluste prophezeit. Trockenheit macht auch in Frankreich und Deutschland Ernteprognosen unsicher. Eine Hitzewelle in Indien lässt Exportbeschränkungen zur Sicherung der eigenen Versorgung befürchten. All das trage zur Verknappung der Bestände weltweit bei, auch unabhängig vom Ukrainekrieg. Größter Unsicherheitsfaktor sei der chinesische Markt. Coronabeschränkungen treffen dort die Wirtschaft hart. Chinas Nachfrage entscheide über die Versorgungslage bei Getreide weltweit.

Wer schließt die Versorgungslücke?

Die Frage sei deshalb, wie fallen die Ernten 2022 aus? Wer kann die Versorgungslücke aus der Ukraine schließen? Russland mit einer Rekordernte, aber wer wolle von dort importieren? Bulgarien, Rumänien, die baltischen Staaten, Polen, Deutschland? Für die Sommermonate erwartet Chilla eine sehr starke Exportnachfrage. Die Weizenvorräte reichten weltweit nur für 49 Tage im ständigen Wechsel von Produktion und Verbrauch auf beiden Erdhalbkugeln. Es sei die engste Weizenversorgungsbilanz seit Langem. Bei guten Ernten könnte sich die Produktion erholen, aber ein Aufbau der Bestände sei nicht in Sicht. Europa decke 50 Prozent des weltweiten Bedarfes ab.

Selbstversorgung bei Rapssaaten nur zu 25 Prozent

Die Rapspreise hingen wesentlich von der Ernte in Kanada ab. Bei Rapssaat hat die Ukraine einen Anteil von 20 Prozent am weltweiten Export, bei Sonnenblumen von 43 Prozent. Der Krieg schaffe unkalkulierbare Exporthindernisse. Da wirke sich auch die Tank-gegen-Teller-Diskussion um Biodieselproduktion in Deutschland aus. Denn bei Ölsaaten deckte Deutschland 2020/2021 seinen Bedarf selbst nur zu etwa einem Fünftel, ist in Versorgungsbilanzen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nachzulesen.

Schwacher Euro stützt Erzeugerpreise

Zu Rekordpreisen bei Getreide (400 Euro pro Tonne Weizen) und Raps hätten übrigens nicht nur der Rückgang der Exportbestände geführt. Auch der schwache Euro stütze hierzulande die Erzeugerpreise, so Chilla. Zinsschwankungen führten dazu, dass Preise pro Tag nicht um fünf, sondern um 50 Euro pro Tonne (rauf oder runter) schwanken. „Schützen und pflegen Sie Ihre Bestände, wir brauchen mehr und gute Qualitäten”, so der Analyst zu den Landwirten.

Mehr zur Preissituation: Bauern wegen Düngerpreisen in Sorge

Der Schwedter Martin Ihrke von Agravis Ost stellte beleuchtete die Lage auf dem Düngemittelmarkt. Noch im vorigen Frühjahr konnten die Händler mit überschaubarem Preis-Risiko und bei entspannter Versorgungssicherheit einkaufen. Das habe sich komplett geändert. Inzwischen belasten Preissteigerungen für Erdgas und Stickstoff die energielastige Düngerproduktion. Die Händler bekämen oft nur limitierte Mengen. Es fehlten Züge und Schiffe. Die Logistik wurde teurer. Für die Händler sei es schwierig, überhaupt noch Transportkapazitäten zu finden. Landwirte kämen schon mit ihren Treckern. Wie sich die Düngerproduktion in Polen als wichtiger Lieferant für Deutschland gestalte, sei offen, seit Russland kein Gas mehr dorthin liefere. Ein mögliches Gasembargo oder ein Lieferstopp könnten auch Produktionskapazitäten in Deutschland bedrohen. Ihrke riet den Landwirten, rechtzeitig eigene Liquidität zu klären, Nährstoffbedarf genau zu analysieren und selbst am Markt aktiv zu werden, um – flexibel bei den Produktmarken – rechtzeitig zuschlagen zu können.